Von Amts wegen
Über die absurden Folgen (Opens in a new window) der unter Draghi erfolgten Justizreform habe ich in meinem Newsletter schon mehrmals geschrieben. Jetzt gibt es eine neue Variante, die so hinrissig ist, dass selbst die regierungsfreundliche italienische Presse (also praktisch alle, bis auf ein, zwei Ausnahmen) nicht mehr anders kann, als sich zu empören: Weil die Anzeige des Opfers bei bestimmten Straftaten seit dem 1. Januar zur Voraussetzung für die Strafverfolgung geworden ist - dazu gehören Kleinigkeiten wie Entführung, Körperverletzung, Raub oder Diebstahl - berichten die Zeitungen täglich über auf frischer Tat ertappten Tätern, die nach ihrer Verhaftung sofort wieder auf freien Fuß gesetzt werden mussten, weil die Opfer keine Anzeige gegen sie erstattet haben (entweder aus Angst, wie es bei Mafiadelikten häufig der Fall ist, oder aus dem einfachen Grund, weil das Opfer des Einbruchs gerade im Urlaub ist oder weil es sich um Touristen handelt, die nicht wissen, dass sie, nachdem sie beraubt wurden, Anzeige erstatten müssen): Es wird, dank der Justizreform nicht mehr einfach "von Amts wegen" ermittelt. Fertig.
Die größten Schweinereien werden in Italien ja stets mit den Worten „ce lo chiede l’Europa“ gerechtfertigt: "Europa verlangt das von uns". Gemeint sind damit die Milliarden des europäischen Aufbauplans NextGenerationEU, die an Reformen gebunden sind, die vor allem die überbordende Bürokratie und die lange Dauer der Prozesse in Italien betreffen. Und um die Justiz zu beschleunigen, hat die Justizministerin Cartabia bei ihrer Justizreform wohl einfach eine italienische Redensart angewendet: "Wenn es keine Lösung gibt, gibt es auch kein Problem".
Am 18. Januar erscheint mein Venedigbuch in Frankreich, unter dem Titel "Venise n'est pas à vendre" (Opens in a new window), der Figaro (Opens in a new window) hat mich dazu vorab interviewt und stellte fest: »In der Übersetzung von Gabriella Zimmermann aus dem Deutschen wird der Geist und die Ironie dieser literarischen Erzählung eindringlich wiedergegeben, die uns in der topetta der Autorin auf der Suche nach der Identität der Stadt mitnimmt. Petra Reski, die sich vehement gegen eine Eintrittsgebühr für Venedig ausspricht, hält ein leidenschaftliches Plädoyer dafür, die Stadt der Dogen aus den Fängen des Overtourism und der Spekulanten zu retten.«
Seitdem mein Buch in Italien unter dem Titel "Venezia, atto finale" ("Venedig, der letzte Akt") erschienen ist, haben sich bereits ganze Denkschulen zu der Frage gebildet, ob der italienische Titel oder der deutsche "Als ich einmal in den Canal Grande fiel" passender ist. Es gibt deutsche Anhänger des italienischen Titels und vehemente italienische Verteidiger des deutschen Titels. Folglich wunderte es mich nicht, dass ich nach der Ankündigung des französischen Titels "Venise n'est pas à vendre", was so viel heißt wie "Venedig ist nicht käuflich", sich sofort eine neue Denkschule bildete: "Warum dieser Titel in Frankreich, warum nicht der italienische Titel?", fragte ein italienischer Leser.
Buchtitel zu finden, ist nicht einfach. Davon zeugt auch die wunderbare Sendung "Mops des Monats" (Opens in a new window), auf Deutschlandfunk Kultur, in der vor allem die durchgeknalltesten Buchtitel vorgestellt werden.
Für mich ist die andauernde Diskussion um den Titel meines Buches ein Zeichen, dass mein Venedigbuch für die Leser zur Herzensangelegenheit geworden ist. Beweis dafür war auch meine letzte Lesung am vergangenen Montag in Venedig, die im venezianischen Kulturinstitut Ateneo Veneto stattfand - das in meinem Buch auch als Schauplatz auftritt: als Ort, in dem die "Bruderschaft der Gehenkten" ihren Sitz hatte. Da wurden wir förmlich überrannt, als der venezianische Journalist Sebastiano Giorgi (Opens in a new window)und der venezianische Schauspieler und Regisseur Alessandro Bressanello (Opens in a new window) mein Buch im Ateneo Veneto vorstellten. Mir tat es nur leid für all diejenigen, die (trotz des Regens!) gekommen waren und wieder umkehren mussten, weil der Saal zu klein war.
Der Ansturm hat unzweifelhaft bewiesen, wie viel Energie in den Venezianern steckt - und dass es immer noch ein großes Engagement zur Verteidigung unserer Stadt gibt, um sie davor zu schützen, dass sie von den Profiteuren ganz aufgefressen wird.
Der (bürgermeisterfreundliche und politikerfreundliche) venezianische Gazzettino berichtete auch über meine Buchvorstellung - und weil der Artikel dem Feuilletonchef vielleicht zu wohlwollend war, hat er ihm die Überschrift: »Venedig, letzter Akt: Die neue Anklage von Petra Reski« verpasst - was sehr lustig ist: Wenn der Gazzettino über mich berichtet, taucht immer das Wort "Anklage" auf. Für den Gazzettino bin ich wohl etwas wie eine Serienanklägerin.
Apropos Anklage: Glücklicherweie bin ich nicht die einzige hier. Im Giornale dell'Arte (Opens in a new window)hat der venezianische Kunst- und Kulturkritiker Enrico Tantucci unter der schönen Überschrift "Grand Hotel Venezia" aufgeführt, dass in den letzten Jahrzehnten nahezu alle venezianischen Palazzi in Hotels verhext wurden. Verhökert, um die Kassen des italienischen Staates oder der Stadt Venedig aufzufüllen. Einer der letzten eklanten Fälle ist der des ehemaligen Sitzes der venezianischen Handelskammer in der Via XXII Marzo, einem Jugendstil-Palazzo, in dem nun eines der weiteren - inzwischen nahezu unzähligen - Fünfsterne-Hotels entstehen wird. Die Genehmigung dazu wurde abweichend (das Zauberwort auf Italienisch heißt: "deroga") von der geltenden Vorschrift erteilt, der zufolge keine neuen Genehmigungen für neue Hotels mehr erteilt werden dürfen. Inzwischen gibt es hier so viele "Abweichungen", dass die Vorschrift nur noch auf dem Papier existiert. Denn wenn man, wie die Betreiber des zukünftigen Hotels in der ehemaligen Handelskammer, einen Obolus von 8,5 Millionen Euro in die Stadtkasse zahlt, drückt man beide Augen zu. Von Amts wegen.
Aus dem Grandhotel Venezia grüßt Sie herzlich, Ihre Petra Reski
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