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Vom bösen Blick, Skepsis und anderen Kleinigkeiten

Uuh, das neue Jahr. Am Morgen des 1. Januar bin ich beim Verlassen des Hauses doch allen Ernstes in Bürgermeister Brugnaro reingerannt. Und weil ich den bösen Blick von mir und von Venedig abwenden wollte, habe ich im Vorbeigehen sofort den kleinen Finger und den Zeigefinger gespreizt (Opens in a new window)

Dass wir hier, was die Bekämpfung der Mafia betrifft, gerade eine Zeitreise erleben - mindestens 30 Jahre zurück, habe ich bereits mehrmals beschrieben (Opens in a new window). Justizminister Nordio setzt das zerstörerische Werk seiner Vorgängerin Cartabia mit großem Eifer fort. Mafiosi und korrupte Politiker können die Korken knallen lassen. Der Chefredakteur der Tageszeitung "Il Fatto Quotidiano" Marco Travaglio hat dazu in seiner Kolumne geschrieben (Opens in a new window)

Versetzen wir uns in die Lage eines profitorientierten Straftäters: Welche Ängste plagen ihn? 1) Entdeckt zu werden. 2) Verhaftet zu werden. 3) Vor Gericht gestellt zu werden. 4) Verurteilt zu werden. 5) Eine Haftstrafe zu verbüßen. 6) Das gestohlene Eigentum zu verlieren. 7) Aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen zu werden. 

All diese Probleme werden gelöst, weil Kleinigkeiten wie Untersuchungshaft, Amtsmissbrauch, Telefonüberwachung abgeschafft sind oder werden sollen, weil Haftstrafen unter vier Jahren nicht mehr im Gefängnis, sondern zu Hause abgesessen werden können. Weil Prozesse, die mehr als zwei Jahre in der Berufung und ein Jahr in der Kassation dauern, als "unzulässig" erklärt werden. Wer dabei erwischt wird, Steuern zu hinterziehen, zahlt den in dem betreffenden Jahr hinterzogenen Betrag und behält alle in den Vorjahren hinterzogenen Beträge. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Staat dies entdeckt, beträgt jedoch 1 %, und die Wahrscheinlichkeit, dass es ihm gelingt, die unrechtmäßig erworbenen Gewinne einzuziehen, beträgt 5 % von 1 %. Und wer - praktisch aus Versehen - wegen Korruption, Unterstützung der Mafia oder ähnlichen Kleinigkeiten verurteilt werden sollte, soll weiterhin für das Parlament kandidieren können. Ende.

Travaglios Kolumne trägt den Titel "Die Kriminellen bitte nicht stören" - eine kleine Abwandlung von Melonis Regierungsmotto "Stört nicht diejenigen, die etwas tun wollen" (Opens in a new window).

Da die italienischen Fernsehsender nun alle auf Regierungslinie sind, ist es es ein kleines Wunder, dass eine Investigativsendung wie Report auf Rai überhaupt noch existiert. Die letzte Sendung (Opens in a new window) hat sich den Attentaten 1992-1993 gewidmet. Spätestens seit dem Prozess um die "Trattativa" genannten Verhandlungen zwischem dem italienischen Staat und der Mafia wissen wir, dass die Mafia die Attentate in enger Zusammenarbeit mit Geheimdienstlern, Politikern und Staatsbeamten ausgeführt hat, Auftraggeber jedoch andere waren (wegen möglicher Beteiligung an Attentaten haben mehre Staatsanwaltschaften die Ermittlungen gegen Berlusconi und seine rechte Hand Marcello Dell'Utri aufgenommen). 

Jetzt verdichten sich auch noch die Indizien für die Beteiligung neofaschistischer Terroristen, speziell die von Stefano Delle Chiaie (Opens in a new window), dem Gründer der neonazistischen Bewegung Avanguardia Nazionale (Opens in a new window). All das fügt sich in das Bild von der Strategie der Spannung (Opens in a new window): Attentatsserien, die zum Ziel hatten, die öffentliche Meinung in Italien zu beeinflussen. Nur zur Erinnerung: Nach den Attentaten 1992-93 betrat Berlusconi 1994 die politische Bühne, von der er bis heute nicht mehr abgetreten ist. Der Berlusconismus hat sich bis in die Gegenwart gehalten: In der jetzigen Regierung war die Hälfte (11) der 25 Minister bereits Minister unter Berlusconi. 

Über die segensreiche Zusammenarbeit von Teilen des italienischen Staates und der Mafia bei den Attentaten habe ich in meinen drei Mafia-Romanen (Opens in a new window) geschrieben. Und natürlich auch über die extrem erfolgreiche Arbeit der Mafia in Deutschland. Und wenn ich sehe, wie sich manche deutschen Journalisten über italienische Antimafia-Staatsanwälte erheben, kann ich der Mafia in Deutschland nur zu ihrem Erfolg gratulieren. 

Zuletzt konnte man das in den Besprechungen der Süddeutschen (Opens in a new window) und der FAZ (Opens in a new window) von Sanne De Boers  "Ndrangheta" (Opens in a new window) nachlesen, dem Buch der niederländischen Journalistin, für das ich das Vorwort geschrieben habe. In der Besprechung der Süddeutschen werden ein paar absurde Behauptungen aufgestellt: "In Deutschland wird - auch eingedenk der Erfahrungen im Dritten Reich - die Unschuldsvermutung, der Datenschutz oder das Ermittlungsgeheimnis stark gewichtet. Das macht das Vorgehen gegen die 'Ndrangheta bisweilen mühsamer als in Italien. Doch der Zweck heiligt gerade auch in der Strafverfolgung nicht alle Mittel." 

Natürlich gibt es in Italien wie in jedem Rechtsstaat die Unschuldsvermutung, den Schutz des Ermittlungsgeheimnisses und des Datenschutzes. Es gibt aber auch Antimafia-Gesetze, die in Deutschland fehlen. Und die fehlen in Deutschland nicht aufgrund der Erfahrungen im Dritten Reich, sondern weil viele deutsche Politiker die Investitionen der Mafia in Deutschland immer noch für ein Konjunkturankurbelungsprogramm halten. 

Und der Polizeireporter der FAZ stellt in seiner Rezension  Thesen ohne jede Belege auf, etwa, dass die Mafia nicht nach dem Mauerfall sondern erst Mitte der 1990er Jahre in den Osten gezogen sei. Was etwas naiv ist, wenn man von den Bewegungen eines Teils der 'Ndrangheta (dem Clan aus Duisburg, der nach Erfurt zog) auf die gesamte Mafia schließt. Der Satz "Oder die Mär, dass journalistische Berichterstattung über die Mafia in Deutschland nicht möglich sei, weil deutsche Richter (warum auch immer) dafür sorgten, dass entsprechende Texte „zensiert“ würden.", ruft natürlich nach einem dicken Grinsesmiley, besonders, wenn so ein Satz von jemandem geäußert wird, von dem noch keine Gefahr einer wie auch immer gearteten Enthüllung ausgegangen ist. 

Eine Feststellung wie "Wann immer es in Berichten oder Büchern um die ’Ndrangheta geht, sind italienische Anti-Mafia-Staatsanwälte die wichtigsten Ansprechpartner, natürlich. Fast immer aber wird dabei übersehen, dass diese dazu tendieren, die Rolle und den Einfluss der Mafiaclans außerhalb Italiens zu überzeichnen, sei es aus ihrer kalabrischen Perspektive, sei es aus politischem Kalkül, wahrscheinlich spielt beides eine Rolle" erinnert mich daran, dass ich solchen Äußerungen in Deutschland immer wieder begegnet bin. Meist aus dem Mund hochrangiger politischer Beamter. Seit Jahren hält sich die deutsche Politik an dieses systematische Leugnen: Die Entscheidung, den Einfluss der Mafia auf die deutsche Wirtschaft konsequent zu negieren, ist eine politische. 

Wenn Journalisten ohne Not eine solche Haltung übernehmen, ohne nachzufragen, wird klar, dass es zu keiner europaweiten Solidarität im Kampf gegen die Mafia kommen kann. Vielmehr sorgen sie dafür, dass sich jeder sein Süppchen kocht und, wie in Deutschland, die Früchte des Laissez-faire genießt. Frei nach Melonis Regierungsmotto: Stört nicht diejenigen, die etwas tun wollen!

In Italien wurden die Antimafia-Gesetze, die im Übrigen nahezu jeder Regierung ein Dorn im Auge sind, geschaffen, wie man hier sagt, "als die Leichen noch warm waren." 

Gemeint sind, falls das nicht klar sein sollte, die Leichen der Antimafia-Staatsanwälte und ihrer Leibwächter.

Und weil Sie das alles wahrscheinlich gar nicht wissen wollten, hier auch noch etwas für die Seele: 

Das ist kein Geringerer als der Koloss von Konstantin dem Großen (Opens in a new window), zu sehen zur Zeit in der Fondazione Prada, in der Ausstellung "Recycling Beauty" (Opens in a new window). Ich muss sagen, dass ich extrem skeptisch war - skeptisch zu sein ist meine zweite Natur - weil: Prada (viel, viel Geld, womit man sich praktisch alles kaufen kann) und: Rem Koolhaas (der in Venedig den Umbau des Fondaco dei Tedeschi verbrochen hat). 

Ich wusste von der Ausstellung nicht mehr als den Titel und "Recycling Beauty" klang für mich ähnlich nichtssagend wie der Titel der Biennale des letzten Jahres "The Milk of Dreams". Aber dann haben mich Freunde mitgeschleppt. Und, was soll ich sagen: Ich muss mir den Mund mit Seife auswaschen. Denn der Titel der Ausstellung ist ganz konkret so gemeint: Es geht darum zu zeigen, wie antike Kunstwerke im Laufe der Jahrhunderte "recycelt" wurden - Teil eines anderen Kunstwerks und/oder kopiert wurden oder einem neuen Zweck dienten. Ausgestellt sind viele tolle Stücke, am meisten beeindruckt natürlich die Rekonstruktion der zwölf Meter hohen Kolossalstatue des römischen Kaisers Konstantin dem Großen, von der lediglich die Füße, eine Hand, der Kopf und Teile der Beine, Arme und der Brust existieren. 

Einer der Kuratoren der Ausstellung ist der von mir sehr geschätzte Archäologe, Kunsthistoriker und Kulturkritiker Salvatore Settis (Opens in a new window) - allein das schon ein Qualitätsmerkmal. Eine grandiose Ausstellung, lohnt die Reise nach Mailand! (Noch bis zum 27. Februar).

Und hier noch etwas fürs Herz: Nachts ist Venedig am schönsten. Weil man sich dann alles Schreckliche wegdenken kann. In diesem Sinne grüßt Sie aus Venedig, Ihre Petra Reski 

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