The Circus is in town
Idiot Wind, Blowing like a circle around my skull//From the Grand Coulee Dam to the Capitol, singt Bob Dylan.
Wenn sich (Toten)Schädel auf Capitol reimt.
Ich denke, der Wahlzirkus in den USA offenbarte in völlig unverblümter Weise das menschliche Befinden auf dem dunklen Bodensatz seines Wesens. Es war nicht knapp. Tatsächlich kann ich nur schlecht verstehen, warum in allen Medien von einem “Kopf an Kopf-Rennen” die Rede war. Womöglich wollte man der Wahrheit einfach so lange nicht ins Gesicht sehen, bis sie unübersehbar war?
Wenn Menschen eine Wahl haben zwischen der Einhegung ihrer destruktiven Seite mit einem zivilisiertem Überbau, kulturellen Techniken, Umgangsformen, womöglich Zugewandtheit oder gar Mitgefühl und der Abwesenheit von all dem, sogar der bewussten Hinwendung zum genauen Gegenteil, werden sie immer die zweite Möglichkeit wählen. Die Errungenschaft der Zeit nach 1945 war es, dass diese Möglichkeit nicht mehr zur Wahl stand. Jetzt konnte man sie wieder wählen.
Der nächste US Präsident, wird wahrscheinlich der erste sein, der seine Wahlversprechen vollumfänglich einlöst. Beim ersten Mal war er wohl selber überrascht vom Sieg, da ging es nur darum, mit der Kandidatur seine Familie in die höchste gesellschaftliche Position zu hieven. Vorher waren die Trumps nämlich nur etwas schmierige Parvenüs. Aber jetzt ist er vorbereitet. Die Warnungen davor haben das Wahlvolk erst recht befeuert. Jetzt dürfen wir dabei zusehen, wie das mächtigste Land der Welt alle Hemmungen fallen lässt. Früher, etwa beim Irakkrieg, mussten noch Lügen von Massenvernichtungswaffen bemüht werden, um Chaos vom Zaun zu brechen. In Zukunft wird das nicht mehr nötig sein. Ein monströser Stinkefinger streckt sich nun gegen alle jene, die für (in ihren Augen) elementare Kulturtechniken einstehen wie Gemeinsinn, Mitgefühl, Umsicht, Gleichberechtigung, Kunst. Das sind alles Dinge, die - im besten Fall noch - von nun an Privatsache sind. Es macht wohl auch keinen Sinn mehr, seine Kinder zu mitfühlenden, wahrheitsliebenden oder ihre Aggressionen beherrschende Wesen zu erziehen. Sie können bei entsprechenden Maßregelungen direkt auf den Donald verweisen. Ein Freund erzählte mir von einer Architekturprofessorin, die ihre Studis vor der ersten Vorlesung fragte, warum sie dieses Studium gewählt haben. Alle, durch die Bank, antworteten, dass sie schnell viel Geld verdienen wollten, mit reichlich Urlaub und schönen Autos. Niemand hat davon gesprochen, lernen zu wollen, schöne, nützliche, “nachhaltige” (eine komplett entkernte Worthülse mittlerweile) Häuser zu bauen. Und das war noch vor der neuen Ära.
Die grosse Lotterie ist eröffnet. Tief im Inneren der Leute sitzt ein unverwüstlicher Glaubenskern, selber einmal zu werden wie die Reichen, wenn man nur will und genug Skrupellosigkeit besitzt. Das ist wohl die wirkmächtigste Triebfeder, sich dem täglichen Übrlebenskampf überhaupt zu stellen. Wenn man dann noch regiert wird von einem, der das geschafft hat, der mit seinem Auftreten und Aussehen alle Insignien dieses Traumes auch für den hinterletzten DAU verständlich verkörpert, dann ist da kein Halten mehr. Vom Faschismus, vom Rassismus, vom Frauenhass haben wir da noch gar nicht gesprochen. Das alles kommt mit diesem Geschenkkorb aus der Hölle noch mit dazu, nicht mal hübsch oder verschämt verpackt, sondern ganz frech dazu gestellt, für alle sichtbar.
Seit ich denken kann, also so etwa seit 45 Jahren, würde ich in den allermeisten Fällen so ziemlich genau das Gegenteil machen von dem, was die Politik gerade tut. Ich bin also relativ hartgesotten, wenn es darum geht, dem Lauf der Dinge ausgesetzt zu sein. Und dabei war in der Schweiz aufzuwachsen und im Berlin der 90er Jahre seine jungen Jahre verbringen zu dürfen, noch ein geradezu luxeriöses Privileg. Ich gehörte halt einfach zu jenen, die kopfschüttelnd bei Volksabstimmungen und Wahlen zur Kenntnis nehmen mussten, dass das Stimmvolk in 90 Prozent der Fälle gegen die eigenen Interessen votierte, eben im Glauben, womöglich selber bald zu der kleinen Gruppe der oberen Klassen zu gehören. Wirtschaftliches Profitstreben gehörte nie zu meinen obersten Prioritäten. Mit viel Glück und einem Hauch Talent habe ich es bis jetzt geschafft, ein einigermassen agreables Leben zu führen. Ökologisch bin ich schon nur qua gesellschaftlicher Position: ich bin einfach zu arm, um einen nenneswert schädlichen Co2 Fussabdruck zu hinterlassen. Ob es für solche Typen wie mich noch eine Zukunft gibt, weiss ich nicht. Meine eigene Zukunft ist naturgemäss nicht mehr so weitläufig, wie sie mir in den 90er Jahren erschien. Vielleicht erlebe ich noch das Umkippen des Planeten in eine Kloake und ein durch den Faschismus geeintes Europa scheint in Reichweite zu liegen. Sie werden es “illiberale Demokratie” nennen und je reicher man ist, je weniger wird man mitbekommen, von der Kloake umgeben zu sein. Wenn ich ehrlich bin, ist es mir mittlerweile egal. Ich denke wir haben unsere Chancen gehabt, wir haben sie nicht genutzt. Ich mach jetzt weiter meine Musik, schreibe meine Textchen und gleite heiter und amüsiert in meinen Lebensabend, das Alter wird so oder so kein Fingerschlecken. Nur verbittern werde ich nicht. Sie werden es nicht schaffen, dass ich ihre Negativität, ihren verlogenen Zorn, ihr Gebrüll, ihre Angsmacherei und ihre Bösartigkeit weitertrage. Mein Herz bleibt so lange wie irgendmöglich ein heller und warmer Ort.
Wieder Bob Dylan:
Well, God is in heaven
And we all want what’s his
But power and greed and corruptible seed
seem to be all that there is
I’m gazing at the window
Of the St. James Hotel
And I know no one can sing the blues
Like Blind Willie McTell
Die Kapelle ist nun mit der Künstlerin und Filmemacherin José van der Schoot (Opens in a new window) um ihr wunderbares Pianospiel reicher. Die ersten Proben verliefen toll. Hier ein Mitschnitt, ganz roh aus ihrem Wohnzimmer. Der spezielle, französische Fin de Siègle Touch kommt aber gut rüber. Carolin Fürst (Opens in a new window) am Bass und Uwe F. Arens (Opens in a new window) an der Gitarre. Er hat auch das Selfie gemacht. Der Song “Oberhalb der Wahrnehmungsgrenze” wird auch nicht weniger aktuell in diesen Tagen.
Hier noch die lobende Erwähnung im Deutschlandfunk Kultur über das neuste Album Die Steine Auf Meinem Weg (Opens in a new window), von Carsten Beyer (Opens in a new window):
Sobald ich es vermag, wird es davon auch ein festes Trägermedium geben. Vinyl wäre eigentlich angemessen.