Selbstorga-Orientierung #1: Innere und äußere Dimension beachten
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Als ich angefangen habe, selbstorganisierte Teams zu begleiten, habe ich mich vor allem auf Strukturen und Methoden fokussiert – also die äußere Dimension von Selbstorganisation. Dass die innere Dimension – Haltung, zwischenmenschliche Kompetenzen und Kultur - relevant ist, war mir zwar irgendwie auch bewusst. Aber ich glaube, ich habe mich als Selbstorga-Coach in den Strukturen anfangs einfach sicherer gefühlt.
Je mehr Teams ich begleitet habe, desto klarer ist mir geworden, dass die Wirksamkeit von Strukturen und Methoden stark von der inneren Dimension abhängt. Wichtig ist zum Beispiel, dass es eine starke Feedback- und Konfliktkultur gibt, konstruktiv mit Fehlern umgegangen wird, dass Teammitglieder bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, fähig und willens sind, lösungsorientiert zu arbeiten, und vieles mehr. All das wird in starren, hierarchischen Systemen von Mitarbeiter:innen oft nicht verlangt und ist z.T. sogar nicht gewünscht. Wer lange in solchen Systemen gearbeitet hat, muss oft erstmal umlernen. Das betrifft auch ehemalige Führungskräfte, die in die Selbstorganisation starten. Für sie ist es entscheidend, neue Entscheidungsstrukturen zu respektieren und Vertrauen in die Kolleg:innen zu haben. Wenn das alles nicht gegeben ist, wird es schnell schwierig.
Sich nun hauptsächlich auf die innere Dimension zu fokussieren, führt meiner Erfahrung nach allerdings auch nicht weit. Innen und Außen wirken auf komplexe Weise zusammen. Wenn die Selbstorganisation gelingen soll, müssen die beiden Dimensionen in ihrem Zusammenspiel beachtet werden. Das ist nicht immer einfach, aber wichtig.
Klingt alles noch ein bisschen abstrakt? Mit den folgenden vier Beispielen möchte ich dir aufzeigen, wie die beiden Dimensionen in selbstorganisierten Teams (nicht immer gut) zusammenwirken. Und zum Schluss habe ich noch eine konkrete Handlungsempfehlung für dich 😊
Beispiel 1
Vor ein paar Jahren habe ich ein kleines Team auf dem Weg in die Selbstorganisation begleitet. Aber das Team musste diesen Wunsch wieder aufgeben: Eines der Teamitglieder war überfordert von den durch die neuen Strukturen an ihn gestellten Erwartungen. Die neuen Strukturen erforderten, selbstverantwortlich und lösungsorientiert zu agieren. Dieses Teammitglied wollte theoretisch Selbstorganisation. Er hatte aber Jahrzehnte lang mit seinen Führungkräften in einer Dynamik agiert, in der er sich über Probleme beschwerte, für die Lösung aber keine Verantwortung übernahm. Die neuen Zusammenarbeitsstrukturen der Selbstorganisation machten das nun sichtbar. Aus seiner Überforderung heraus und ohne ausreichend Reflexions- und Kommunikationskompetenz torpedierte dieses Teammitglied den gesamten Prozess. Das Team gab schließlich auf.
Beispiel 2
Anders als in Beispiel 1 möchte ich dir anhand eines persönlichen Beispiels hier erzählen, wie die neue Selbstorga-Strukturen die innere Dimension auch positiv beeinflussen können: Für meine eigene Entwicklung war der sogenannte integrative Entscheidungsprozess, ein perspektiven-integrierendes Verfahren, sehr hilfreich. Ich hatte in Entscheidungsprozessen früher oft unbewusst Angst vor anderen Meinungen, weil ich das, was ich wollte, in Gefahr sah. Durch das neue Verfahren lernte ich, wie sich Perspektiven leicht integrieren lassen und dadurch bessere Lösungen entstehen. Durch diese Erfahrung agiere ich heute viel perspektiven-integrierender und bin viel offener und neugieriger, wenn jemand einen Einwand gegen meinen ach so großartigen Vorschlag hat ;-)
Beispiel 3
Bei selbstorganisierten ehrenamtlichen Teams habe ich immer wieder erlebt, dass ein tolles Miteinander ohne klare Zusammenarbeitsregeln in der Regel nicht zu produktiver Zusammenarbeit führt. Diese Teams waren oft hoch motiviert, hatte eine passable Kommunikationskultur, wollten Verantwortung übernehmen, und und und…. und trotzdem knirschte es in der Zusammenarbeit. Es fehlten eigentlich immer sinnvolle Zusammenarbeitsstrukturen!
Beispiel 4
Ich habe einmal ein konfliktvermeidendes Team erlebt, das sich der Selbstorganisation überwiegend über die äußere Dimension genähert hat. Es führte neue Strukturen und Rollen ein – u.a. die „Harmonie“-Rolle. Aufgabe dieser Rolle war es, Konflikte im Team zu verhindern und in Konflikte einzuschreiten, bevor die Konfliktparteien überhaupt um Hilfe gebeten hatten. Das ist beides natürlich nicht hilfreich. Konflikte sind normal. Die Frage ist: wie gehen wir mit Ihnen um? Und das ungebetene Intervenieren in Konflikte infantilisiert Kolleg:innen. Die neue Rolleninhaberin bemerkte genau diese Problematiken recht schnell. Ihre neue Rolle machte auf struktureller Ebene sichtbar, was in der Konfliktkultur des Teams nicht hilfreich war.
Was also tun? Hier kamen die neuen Selbstorga-Strukturen ins Spiel, insbesondere das sogenannte Governance-Meeting. Das ist ein Meeting-Format, in dem Regeln und Rollen mithilfe eines perspektiven-integrierenden Entscheidungsprozess angepasst werden können. Dieses Meeting ermöglichte der Rolleninhaber:in leichtfüßig Veränderungsvorschläge für die Rolle einzubringen, ein paar Perspektiven aus dem Team in ihren Veränderungsvorschlag zu integrieren…Und schwups, schon sah die Rolle ganz anders aus. Und der ganze Prozess hatte dem Team auch noch geholfen, sich in seiner Konfliktkultur zu reflektieren und weiterzuentwickeln.
Genau sowas liebe ich an der Selbstorganisation 😊
Mit welcher Dimension sollte man starten?
Mit den vier Beispielen habe ich nun die ganze Komplexität dieses Thema einmal aufgemacht 😃 Aber was heißt das für Teams, die sich auf den Weg machen in die Selbstorganisation? Wo sollten sie am besten starten?
Grundsätzlich kommt es auf das Team an. Ich würde aber immer erst schauen, ob die innere Dimension ausreichend stark ist, um als Nährboden für die strukturellen Veränderungen zu fungieren - damit die neuen Strukturen und Methoden sich auf diesem Nährboden gut entfalten können. Ich persönlich starte mit Teams daher in der Regel am liebsten auf der inneren Dimension. Und wenn wir dann zu der äußeren Dimension übergehen, lassen wir die inneren Aspekte weiterhin nicht aus dem Blick.
Du hast Gedanken zu diesem Artikel? Dann schreib mir gerne an mail@lynvonderladen.de (Opens in a new window) . Ich freue mich über Rückmeldungen 😊
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Herzliche Grüße
Lyn
(Foto von Jackalope West auf Unsplash)
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Über Lyn von der Laden
Als Coach und Beraterin für Zusammenarbeit (Opens in a new window) begleite ich Teams und Organisationen, ihre Zusammenarbeit wirksam, anpassungsfähig und freudvoll zu gestalten.
Außerdem schreibe ich auf Steady regelmäßig über meine Herzensthemen, z.B. über Selbstorganisation, psychologische Sicherheit oder die Bedeutung des Nervensystems für wirkungsvolle Teamarbeit.