Die Erzählung von den Deutschland-Feinden
Guten Morgen,
diese Woche hat wohl die meisten von uns die FDP mit ihrem Strategiepapier beschäftigt, das nicht nur von einem “D-Day” spricht, sondern auch von einer “Offenen Feldschlacht”. Schwierige Wortwahl eines internen Papiers wie wir finden.
Interessant ist aber noch ein weiteres Narrativ, das im Strategiepapier vorgeschlagen wird. Dort ist unter anderem davon die Rede, dass die Menschen sich bei einer Neuwahl entscheiden müssten - und zwar zwischen “Planwirtschaft oder Sozialen Marktwirtschaft”.
Planwirtschaft? Das kennen wir doch aus der DDR? Eine Parallele zwischen BRD und DDR zieht natürlich auch die AfD immer wieder, um Wähler:innengruppen zu erschließen. Auch nicht unproblematisch.
Heute soll es aber nicht um die FDP gehen, sondern um eine klassisch rechte Erzählung, die vor allem von Anhänger:innen der AfD immer wieder gebraucht wird: der angebliche Hass auf Deutschland und Deutsche.
Los gehts!
Bleibt achtsam miteinander und einen angenehmen 1. Advent wünschen wir euch, falls ihr ihn feiert.🕯️
PS: Schaut doch mal beim Verfassungsblog (Si apre in una nuova finestra) vorbei, da haben 17 Verfassungsrechtler:innen ihre Einschätzung zu den Erfolgschancen eines AfD-Verbotsverfahrens gegeben - sehr lesenswert.
Um was geht’s?
“Sie können Deutschland nicht gut regieren und sie wollen es nicht. Sie richten Deutschland zugrunde. Und ich sage Ihnen auch, warum: Weil Sie Ihr eigenes Land, weil Sie Deutschland hassen. Diese Regierung hasst Deutschland.”
Das sagte Alice Weidel (Si apre in una nuova finestra) in einer Rede im Januar 2024 über die Bundesregierung.
Der rechtsextreme Björn Höcke (Si apre in una nuova finestra) legt sich präziser auf eine Partei fest, wenn er, leicht abgewandelt von den “heimathassenden Grünen” auf Facebook schreibt.
Auch der AfD-Bundestagsabgeordnete Karsten Hilse (Si apre in una nuova finestra) sagt: “Ich bin davon überzeugt, dass der Großteil der grünen Kommunisten Deutschland und das deutsche Volk wirklich hasst. Und je mehr Menschen sich von ihrer grünen menschenverachtenden und freiheitsfeindlichen Politik abwenden, desto größer wird dieser Hass.”
Der AfD-nahe Deutschland-Kurier (Si apre in una nuova finestra) schreibt: “Der Deutschland-Hass der Grünen - plötzlich ist das Thema in aller Munde.”
In regelmäßigen Abständen unterstellt die AfD also Institutionen oder Politiker:innen Deutschenfeindlichkeit oder Hass auf Deutschland.
Die Strategie dahinter
Aber von vorne: Das Narrativ der Deutschenfeindlichkeit ist sehr alt. Zunächst beschrieb es die Ablehnung anderer Länder gegenüber Deutschland, insbesondere zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Es hatte eine mehr oder minder gewöhnliche außenpolitische Bedeutung.
Schnell wurde der Begriff aber von rechtsextremen Kräften vereinnahmt. Sie missbrauchten ihn, um die Deutschen als Opfer darzustellen: Sie seien aufgrund der Handlungen anderer Länder, geschürt durch immensen Hass auf Deutschland, in den Zweiten Weltkrieg gezwungen worden.
Die Erzählung vom Deutschenhass hat damit fast seit Anbeginn eine geschichtsrevisionistische Komponente.
Nicht Täter, sondern Opfer - diese sogenannte Selbstviktimisierung werde laut der Migrationsforscherin Yasemin Shooman von Rechtsextremen und rechtspopulistischen Gruppierungen unter den Schlagworten “Anti-Germanismus”, “Deutschenhass” oder eben auch “Deutschenfeindlichkeit” propagiert.
Shooman schreibt weiter, dass es sich daher um rechtsextreme Kampfbegriffe handelt, die vor allem dazu dienen, einen “Opfermythos” aufzubauen.
Für diesen deutschen Opfermythos wird beispielsweise bis heute von Rechtsextremen die Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg instrumentalisiert. Die Bombardierung wird als Beweis dafür herangezogen, dass Deutsche in ihrer Heimat niemals sicher sein konnten oder sein können vor der Deutschenfeindlichkeit, heißt es bei der Bundeszentrale für politische Bildung (Si apre in una nuova finestra).
Letztlich geht es immer darum, das eigene radikale bis gewalttätige Handeln zu legitimieren, indem anderen hassgetriebene Motive unterstellt werden.
Diese anderen werden, je nach Bedarf, ausgetauscht und die Erzählung um ihre bösartigen Absichten gegen Deutschland und die Deutschen angepasst.
Während das Narrativ lange Zeit vor allem in rechtsextremen Kreisen, etwa im Umfeld der NPD (heute Die Heimat) kursierte, gehört aber auch zur Wahrheit, dass vor einigen Jahren der vermeintliche “Deutschenhass” Eingang in das Vokabular demokratischer Parteien gefunden hat.
So sagte die damalige Familienministerin Kristina Schröder von der CDU beispielsweise 2010: “Auch Deutschenfeindlichkeit ist Fremdenfeindlichkeit, ja Rassismus. Denn hier wird jemand diskriminiert, weil er einer bestimmten Ethnie angehört.”
Auch Schröder sei, so ging ihr Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (Si apre in una nuova finestra) weiter, “Opfer solcher Deutschenfeindlichkeit geworden”. Sie sei als “deutsche Schlampe” beschimpft worden, nachdem sie sich zum Thema Islamismus geäußert habe.
Im selben Artikel wird der damalige Grünenvorsitzende und heutige Landwirtschafts- und Bildungsminister Cem Özdemir zitiert, der sich ebenfalls dazu äußerte: “Deutschenfeindlichkeit auf Schulhöfen ist genauso wenig akzeptabel wie jede andere Form von Diskriminierung. Aber anstatt darüber zu klagen, müssen wir endlich an die Ursachen herangehen.”
Es war eine laute Debatte damals, die im Jahr 2010 geführt wurde, um angeblich “deutschenfeindliche” (vor allem junge) Menschen mit Migrationsgeschichte. Der damalige CSU-Vorsitzende Horst Seehofer forderte gar einen kompletten Zuwanderungsstopp.
Dass sowas passiert, dass etablierte Parteien rechtsextreme Narrative und Begriffe übernehmen, ist immer ein Erfolg für die extremen Akteure, weil dadurch ihre Positionen normalisiert werden.
Aber, soweit wir das überblickt haben, vermeiden Politiker:innen etablierter Parteien den Begriff mittlerweile - was nicht bedeutet, dass er im Bundestag nicht regelmäßig auftaucht. Heute nutzt ihn vor allem die Neue Rechte und ihr parlamentarischer Arm, die AfD.
Sie setzt es sogar als sogenanntes Metanarrativ ein, also eins, das eine Vielzahl von Themen und Feindbilder miteinander verknüpft.
Thema Nr. 1: Deutschlandfeinde wollen das deutsche Volk vernichten
Das Narrativ der Deutschlandfeindlichkeit wird oft im Zuge der Erzählung vom angeblichen “Volkstod” verwendet (wir haben dazu einen Newsletter geschrieben (Si apre in una nuova finestra)).
Diese Verschwörungsgeschichte geht auf die NS-Zeit zurück, als sie als wirkmächtiges Propagandainstrument herbeifantasiert wurde und als Begründung für die völkische Bevölkerungspolitik und die “Rassenhygiene” herangezogen wurde.
Modernere (Si apre in una nuova finestra) Spins des Volkstods berufen sich auf den Great Reset. Das ist die Erzählung, dass das deutsche Volk durch “Kulturfremde”, also Migrant:innen, unterwandert und ausgetauscht werde.
Es ist eine fremdenfeindliche Erzählung, die zugleich einen ethnisch definierten Volksbegriff vertritt - also eine Abstammungslogik, die grundgesetzwidrig ist. Sie suggeriert, dass “diejenigen, deren Verhalten mit diesem Begriff problematisiert werden soll, keine Deutschen sind und auch nicht sein können (Si apre in una nuova finestra)”. Es wird somit eine Trennlinie zwischen “ethnisch Deutschen” und “Passdeutschen” gezogen.
Letztlich ist es eine apokalyptische Erzählung, die mobilisieren und emotionalisieren soll. Um das zu erreichen, werden Feindbilder kreiert. Diese Feindbilder haben eine Motivation: Hass auf Deutschland.
Im Kontext des Great Reset sind das zwei Feindbilder: Zunächst einmal die Geflüchteten, die nach Deutschland kommen. Durch ihre Aufnahme im Land würden sie zu einer “schleichenden Umvolkung” und einem “Genozid am deutschen Volk” beitragen, so das Narrativ. Und dann gibt es noch eine zweite Gruppe - denn der sogenannte Great Reset wird verschwörungsideologisch als Geheimplan erzählt, den deutschlandhassende linke Eliten ausgeheckt haben und durchführen (dazu später mehr).
Thema Nr. 2: Rassismus gegen Weiße
Der “Hass gegen Deutsche” sei am Ende nichts anderes als “Rassismus gegen Weiße” - so geht eine zweite neurechte Erzählung. Deshalb sollte Deutschenhass in den Volksverhetzungsparagrafen aufgenommen werden.
Das haben schon einige extrem Rechte versucht, zuletzt die AfD 2018 (Si apre in una nuova finestra). In einem Bundestagsantrag schrieb sie: “Zweck sei es, auch die deutsche Bevölkerung […] zu schützen, indem Volksverhetzungen gegen Deutsche ausdrücklich für strafbar erklärt werden.”
Yasemin Shooman erklärt das Ziel dieses Vorhabens so: “Das […] hat implizit zum Ziel, Deutschenhass mit Rassismus und Antisemitismus auf eine Stufe zu stellen. Dieser Viktimisierungsdiskurs [Also der Dialog über den eigenen Status als Opfer - Anm.d.Red.] eint Rechtsextreme und Rechtspopulisten wie die AfD, die zuvor bereits in mehreren Landtagen, in Hamburg, Sachsen-Anhalt und in Mecklenburg-Vorpommern, erfolglos Anträge zu einer solchen Ausweitung des Volkverhetzungsparagrafen eingebracht hat.”
Die Erklärung von Shooman: Würde der “Hass auf Deutsche” in diesen Paragrafen aufgenommen, würde das den Schutz von Minderheiten und Rassismus und Antisemitismus delegitimieren. Stattdessen könnten sich die “echten Deutschen” als Opfer eingewanderter Minderheiten stilisieren und ihren Rassismus in “Selbstverteidigung” transformieren.
Ganz ähnlich ordnete das auch die Linken-Politikerin Martina Renner ein, die sich 2018 gegen den Bundestagsantrag der AfD gestellt hatte. Sie sagte in ihrer Rede, dass sich die AfD auf diese Weise mal wieder “als Opfer stilisieren und die eigentlichen Opfer aus der Öffentlichkeit verdrängen” wolle.
In einem Übersichtswerk (Si apre in una nuova finestra) des Netzwerk Courage zur Neuen Rechten findet sich genau dazu eine Strategieerläuterung. So würden Übergriffe und Gewalt gegen weiße Deutsche, sofern es sich bei Täter:innen um Nichtdeutsche handelt, immer wieder und mit besonderer Betonung mit “Deutschenfeindlichkeit” erklärt.
Daraus werde dann ein umgreifender Rassismus gegen Weiße abgeleitet, der Deutsche “pauschal als Opfer von Ausländergewalt” darstellt. Und der gleichzeitig Nichtdeutsche pauschal als Täter:innen brandmarkt.
Hier nochmal eine kleine Wiederholung zum Thema “Rassismus gegen Weiße”.
Blicken wir auf die Aussage von Kristina Schröder 2010 zurück, die sagte, auch sie sei bereits als “deutsche Schlampe” bezeichnet worden. Viele Menschen erleben das: Sie werden als “Kartoffel”, “Alman”, “scheiß Deutscher” oder anderes beschimpft - und dadurch situativ beleidigt und diskriminiert aufgrund ihrer Nationalität oder Hautfarbe.
Der Unterschied zeigt sich in der Definition von Rassismus. Die Vereinten Nationen definieren Rassismus als auf “der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird”.
Quarks erklärt dazu: “Nicht jegliche Beleidigungen entlang von Kultur oder Nationalität ist rassistisch, sondern nur solche, die die Gleichberechtigung im öffentlichen Leben untergraben.”
Der Rassismusforscher Karim Fereidooni wird von Quarks wie folgt zitiert: “Wenn jemand zu dir Kartoffel sagt oder dich als Weißen beleidigt, erfährst du situativ eine Diskriminierung. Aber das Wort Kartoffel hat keine rassistische Traditionslinie. Wenn du diese spezifische Situation verlässt, dann weißt du ganz genau: Maximilian, wenn du eine Wohnung suchst, bist du privilegierter als Karim. Wenn du eine Ausbildung suchst, bist du privilegierter, wenn du auf dem Bahnhof stehst, wirst du nicht kontrolliert, zumindest nicht so häufig wie Karim. Du musst deine Daseinsberechtigung nicht unter Beweis stellen.”
Wenn Kristina Schröder die Situation, in der sie rassistisch beleidigt wurde, verlässt, werden ihre potenziellen Kinder in der Schule immer noch bevorzugt behandelt, aufgrund ihres deutschen Namens und ihrer weißen Hautfarbe. (Uns ist über die genauen Lebensumstände von Frau Schröder nichts bekannt - die Weiterführung ihrer Aussage, dient hier lediglich als Beispiel.)
Auch die Amadeu Antonio Stiftung (Si apre in una nuova finestra) schreibt im Falle der tätlichen Übergriffe von Nicht-Deutschen auf Deutsche, dass gezielt „einzelne Konfliktfälle als vorgeblich grassierende und verschwiegene Deutschenfeindlichkeit verkauft“ werde.
Suggeriert werden soll, dass es eine Menge deutschenfeindlicher rassistischer Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland gibt, die auch so handeln.
Nur: Definitorische Voraussetzungen für Rassismus werden dabei vollständig ausgeblendet, um die eigene Argumentation führen zu können. “Weiße” Menschen - wobei “weiß” hier als soziale Kategorie verstanden wird und nicht ausschließlich als Aussage über die Hautfarbe - erfahren in Deutschland keine strukturelle Diskriminierung, also keinen Rassismus.
Thema Nr. 3: Feindbild Grüne
Ein weiteres zentrales Thema der Erzählung betrifft die sogenannten deutschenhassenden Eliten. Die AfD und ihr neurechtes Netzwerk attackieren hier seit Jahren vor allem die Grünen - auch wenn sich zuletzt der Fokus auf die CDU (Si apre in una nuova finestra) gelegt haben könnte.
Jahrelang aber unterstellte die AfD den Grünen, dass sie Deutschland mit ihrer progressiven Politik (Themen wie gendersensible Sprache, Klimaschutz, Feminismus, usw.) verdummen, deindustrialisieren, vernichten würden. Oft sprechen AfDler davon oder suggerieren, dass der Grund für “grüne Politik” im Deutschlandhass liege.
Schon vor Jahren hat der Ideologe Götz Kubitschek diese Strategie festgelegt, als er schrieb, dass zwischen den Grünen und der AfD “die Frontlinie (Si apre in una nuova finestra)” verlaufe. Zwei unversöhnliche Lager, das eine sei “für” und das andere “gegen” das Volk: “Das ist dann der Moment, in dem aus einem politischen Gegner ein weltanschaulicher Feind wird”, fasste er zusammen.
Aus dieser Logik heraus stellt sich die AfD immer wieder maximal gegen Positionen der Grünen. Auf der einen Seite stehen die deutschlandhassenden Grünen - auf der anderen Seite die AfD, die angeblich zum Wohle Deutschlands handelt. Der dazugehörige Slogan: “Unser Land zuerst!”
Und mit dieser Politik ist die AfD zuletzt sehr erfolgreich gewesen.
Sie hat in den vergangenen Jahren in Umfragen und Wahlen zugelegt - besonders, als sie das Heizungsgesetz mit Robert Habeck personalisiert und dann ihn und die Grünen massiv bekämpft, geschrumpft und gleichzeitig davon profitiert hat.
Dieses Feindbild findet immer mehr Nachahmer:innen, Rechtsextremismus-Forscher Matthias Quent schreibt, dass “Grünen-Bashing (Si apre in una nuova finestra)” längst Volkssport sei. Gründe dafür seien, dass es auch demokratischen Parteien und Politker:innen Aufmerksamkeit gebe, dass es vom eigenen Versagen beim Klimaschutz ablenke und man sich Stimmengewinne bei AfD-Wähler:innen verspreche.
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