WeinLetter #54: Sie verpacken es endlich an!
Liebe Wein-Freund*in,
Du liest den WeinLetter #54. Heute gibt's: jede Menge Flaschen in der Weinbranche! Also nicht die schlechtesten Winzer:innen Deutschlands. Es geht um: Weinflaschen. Da ist in der deutschen Landschaft ein ziemliches Wirrwarr entstanden. Große, kleine, für jede Rebsorte eine. In den schönsten Farben, die man sich nur malen kann. Schluss damit! Denn ehrlich: Warum soll die Weinbranche nicht auch Mehrweg bedienen wie die Bierbrauereien? Experten sagen: Sechs unterschiedliche Flaschentypen würden reichen. Auf der ProWein in Düsseldorf (19. bis 21. März) werden jetzt gleich zwei unterschiedliche Pfandsysteme vorgestellt. Die einen hängen sich tatsächlich an das Bier-Pfandsystem ran. Die anderen kreieren eine eigene Flasche und garantieren somit einen funktionierenden Rundlauf. Einmal Pfalz, einmal Württemberg. Kommt jetzt die Pfand-Revolution? Es könnte eine Initialzündung sein! Viel Spaß beim Lesen! Moment, was haltet ihr von Weintrinken aus Pfandflaschen? Schreibt mir an: weinletter@posteo +++ Empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte weiter. Unterstützt den WeinLetter gerne auch finanziell und werdet aktives Mitglied Und: Du kannst den WeinLetter jetzt auch verschenken! Aber vor allem:
Trinkt friedlich!
Euer Thilo
In Möglingen bei Ludwigsburg werden schon jetzt Wein-Literflaschen gereinigt und wieder in den Markt gebracht - bald gilt dies auch für die Viertelliterflaschen FOTO: BENJAMIN STOLLENBERG
Die Pfand-Revolution
Die Weinbranche hat Mehrwegsysteme immer abgewehrt. Das kann sich jetzt ändern. Auf der ProWein in Düsseldorf werden zwei innovative Modelle vorgestellt. Es könnte die Initialzündung sein.
von Thilo Knott
Die Zukunft des Weintrinkens heißt Longneck. Eine Zukunft zumindest. Longneck ist ein Flaschenname. Schlegelflaschen, Burgunder- und Bordeauxflaschen kennt man, den Boxbeutel in Franken, im Rheingau die Flöte. Aber Longneck? Beck’s (0,5 Liter) wird in einer Longneck abgefüllt. Sie hat einen langen, schmalen Hals, kam in der Bierwelt erst in den Nuller Jahren groß auf, mit dem Craft-Beer-Trend ist auch die Longneck Ale bekannt (0,33 l). „0,5 Liter ist eine ideale Menge für zwei Viertel für zwei Personen“, sagt Katja Galler, die mit ihrem Ehemann Ansgar das gleichnamige Weingut in Kirchheim an der Weinstraße führt. „Und es bleibt mit dieser Flaschengröße ein moderater Alkoholkonsum“, sagt sie.
Es ist eine Cuvée aus Sauvignac und Johanniter: "2/4 Wein" in der Longneck-Flasche FOTO: WEINGUT GALLER
Das Weingut Galler ist so eine Art Pionier in der nachhaltigen und modernen Betriebsweise eines Weinguts. 2012 haben sie angefangen konsequent traditionelle Rebsorten durch PiWis zu ersetzen, durch pilzwiderstandsfähige Rebsorten wie Sauvignac oder Cabernet blanc (beide weiß) oder Satin Noir (rot). 2024 werden PiWis 90 Prozent des Rebstockbestands ausmachen. Der Grund: Die Reduzierung des Rebdrucks und damit des Ausbringens von Spritzmitteln.
Das Weingut Galler bringt PiWis in die Bierflasche
„Wenn wir nachhaltig den Weinberg mit PiWis bewirtschaften, dann können wir nicht vor der Abfüllung stehen bleiben“, sagt Katja Galler. Sie haben sich also mit Pfandsystemen beschäftigt. Die großen Kegs? „Sind was für die Gastronomie“, sagt Katja Galler. Und sie beliefern Kund:innen „von Flensburg bis Garmisch“. Die Idee, die sie jetzt verfolgen: Sie hängen sich mit der Longneck an ein bestehendes und seit Jahren funktionierendes Mehrweg-System der Bierbranche ran: 6.000 dieser Longnecks füllen sie jetzt mit einer Weißweincuvée aus Sauvignac und Johanniter ab. Das sind immerhin schon mal zehn Prozent ihres Jahresvolumens. "2/4 Wein", steht auf dem Etikett. 7,99 Euro kostet die Flasche, es gibt 8 Cent Pfand. Im Herbst soll ein Rosé und ein Rotwein folgen.
Schon die Ankündigung hat sofort Aufmerksamkeit erzeugt. Ex-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat sich sogar geäußert. Wein sei keine Variante von Bier, sagte die ehemalige deutsche Weinkönigin t-online (Si apre in una nuova finestra), sondern habe einen eigenständigen Ansatz: "Hier geht es nicht um Durstlöschen. Weingenuss und Weinkultur sind etwas anderes." Viele Verbraucher könnten bei Wein in Bierflaschen "mehr als verwirrt" sein.
"Die Weinbranche ist sehr konservativ": Katja und Ansgar Galler FOTO: WEINGUT GALLER
Katja Galler glaubt das nicht. „Alnatura verpackt Mais und Kidney-Bohnen in Pfand-Joghurtgläser – das funktioniert bei dem Biomarkt auch, weil Nachhaltigkeit mittlerweile für viele ein Kaufargument ist.“ Naja, sagt sie: „Die Weinbranche ist eben sehr konservativ.“
Die Gallers stellen ihr Pfand-Modell schon bald auf der Messe „ProWein“ in Düsseldorf vor (19. bis 21. März). Von der ProWein könnte eine Initialzündung ausgehen, was Mehrweg-Systeme in der Weinbranche angeht. Denn dort wird noch ein weiteres Pfandsystem vorgestellt, das es so noch nicht gegeben hat. Denn auf einen Schlag sind Weinproduzenten dabei, die fünf Prozent des kompletten Weinanbaus in Deutschland (100.000 Hektar) repräsentieren. Ein großer Marktanteil. Die Pfand-Revolution geht dabei nicht vom Deutschen Weinbauverband aus. Nein. Auch nicht vom Verband der Prädikatsweingüter, kurz VDP. Nein. Es sind Genossenschaften aus Württemberg, aus dem Kreis Ludwigsburg, die an innovativen Lösungen in der Abfüllung tüfteln, die ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit vorantreiben. Die Branche hingegen steht Mehrweg-Systemen immer noch skeptisch gegenüber.
Warum gibt es ein Pfandflaschensystem in der Weinbranche noch nicht? Und warum könnten die neuen Ansätze Erfolg haben?
Drei Gründe, die ein Wein-Pfandsystem verhindet haben - und drei dafür!
Dass sich die Weinbranche bisher wenig um Mehrweg-Systeme kümmerte, hat hauptsächlich drei Gründe:
1. Mit der zunehmenden Selbstvermarktung des Weins, also der Abkoppelung von landwirtschaftlichen Zuliefer- und Mischbetrieben von den Kellereien und Genossenschaften, individualisierten sich auch Marketing und Design: Diese Individualisierung drückt sich in freaky-fancy-fröhlichen Etiketten aus. Und in einer Vielzahl neuer Flaschenformen und Flaschenfarben für den 0,75-Liter.
2. Es gab nie einen politischen und gesellschaftlichen Druck auf die Weinbranche. Seit 1991 gibt es in Deutschland eine Verpackungsverordnung. Sie war das erste Regelwerk, das die Verantwortung für die Verpackungen den Hersteller:innen zuschrieb. Doch die Weinbranche schlüpfte immer irgendwie durch. Wein blieb Einweg. Bis heute. Deshalb haben die Weinverbände immer nur die Empfehlung parat, auf weniger schwere Glasflaschen umzustellen.
3. Deutschland ist ein Wein-Importland. Mit einer Konsumquote eigener deutscher Weine von klar unter 50 Prozent kaufen die Deutschen also auch die Chianti-Pullen im Bastkörbchengewand. Und schmeißen sie hier in die Glascontainer. Das war ein Einwand der Weinbranche: Wie sollen wir auch noch diese Flaschen entsorgen? Sie mussten es bisher nicht.
Was für ein Tohuwabohu: Es gibt so viele Flaschenformen und -farben am Markt. Wie soll daraus ein vernünftiges Mehrweg-System entstehen? FOTO: DEUTSCHES WEININSTITUT
Dass sich Teile der Weinbranche jetzt um Mehrweg-Systeme kümmern, hat wiederum auch mit drei Gründen zu tun:
1. Glasflaschen sind teuer geworden. Der Angriffskrieg Wladimir Putins auf die Ukraine hat direkte Folgen: Die Glashütten in der Ukraine wurden zerstört oder konnten den Betrieb nicht mehr aufrechterhalten, teilweise bangten Winzer:innen, ob sie wegen des Bruchs der Lieferketten überhaupt noch Glasflaschen bekommen. Das hat die Preise für Glasflaschen in die Höhe getrieben. „Wir zahlen bis zu 30 Prozent mehr als vor einem Jahr“, sagt Katja Galler. Andere Faktoren, etwa Energiekosten, trieben die Produktionskosten weiter in die Höhe.
2. Die Nachfrage nach Wein geht zurück. Die gestiegenen Kosten können die Winzer:innen nicht einfach an die Verbraucher:innen weitergeben. Denn die wiederum plagen auch Inflation und erhöhte Energiekosten. Der Weinabsatz stagniert in Deutschland schon länger, 2022 ist der Pro-Kopf-Verbrauch bei 84,1 Millionen Einwohner:innen aber deutlich zurückgegangen auf unter 20 Liter (19,9) (Si apre in una nuova finestra), berechnet das Deutsche Weininstitut in Mainz. Das entspricht einem Minus von einer Weinflasche pro Kopf. „Ich will nicht schwarzmalen, aber man sollte den Tatsachen ins Auge schauen“, sagte Simone Loose, Professorin der Geisenheim Hochschule, Anfang März auf einer Veranstaltung des Wein-Frauennetzwerks Vinissima (Si apre in una nuova finestra). Sie riet dabei auch zu massiven Kostensenkungen. Mehrwegsysteme könnten ein Hebel sein.
3. Es gibt ein verändertes Konsumverhalten mit neuen Ansprüchen gerade junger Zielgruppen.Zugespitzt klaffen die Zielgruppen der Weinbranche gerade auseinander: Es gibt die betagte Zielgruppe. Die haut sich – je nach Budget – entweder die Trollinger-Viertele rein oder die Großen Gewächse und Auslesen, die gleichermaßen Statussymbol sind. Und es gibt eine junge Zielgruppe, die auf nachhaltige Wertschöpfung achtet, wenn sie Geld ausgibt für Weine, die hoffentlich mit 11,5 Prozent Volumen-Alkohol einem nicht gleich die Birne wegpusten. Mehrweg könnte in dieser Zielgruppe durchaus verfangen.
"Wir können die Mehrwegflasche bis zu 50 Mal befüllen"
„Mehrweg heißt Standard und Verzicht auf Individualität“, sagt Werner Bender ganz bewusst, „aber ich habe ja noch das Etikett.“ Werner Bender ist Geschäftsführer der Heuchelberg Weingärtner eG in Schwaigern. Und er ist seit kurzem Vorstand der Wein-Mehrweg eG. In dieser Wein-Mehrweg eG haben sich zwölf Genossenschaften vereinigt, darunter die Lauffener Weingärtner und die Lembergerland-Kellerei Rosswag in Vaihingen an der Enz. Werner Bender sagt: „Wir können die Mehrwegflasche bis zu 50 Mal befüllen, das spart Ressourcen und Energie, vermeidet Abfall und die Weinbranche wird deutlich unabhängiger.“ Klar, sie stellen das Mehrwegsystem zunächst auf der ProWein in Düsseldorf vor, und wollen in einer Pilotphase die Akzeptanz testen.
"So bekommen wir den Rundlauf hin": Werner Bender, Pfandflaschen-Pionier aus Württemberg FOTO: HEUCHELBERG WEINGÄRTNER
Aber was das für einen Einfluss auf die Diskussion haben kann, zeigt allein die Menge, die diese Wein-Mehrweg vereint. Allein die Heuchelberger Genossenschaft hat 900 Mitglieder, davon 300 aktive Betriebe. Die zwölf Genossenschaften bewirtschaften ein Anbaugebiet von gut 5.200 Hektar, das ist fast die Hälfte von Württembergs Weinflächen (11.000 Hektar) und immer noch 5 Prozent der deutschen Weinberge. Werner Bender zeigt das Potential eines Mehrwegsystems bei der normalen 0,75-Literflasche auf, Ziel sei aus seiner Sicht eine „signifikante Menge“. Er rechnet die 5.200-Hektar-Fläche hoch auf die Anzahl der potentiellen 0,75-Liter-Flaschen der Gemeinschaft und sagt dann: „Es könnten irgendwann 17 oder 18 Millionen Flaschen sein pro Jahr, die wir 50 Mal wiederverwenden könnten.“ Und es gibt kein Limit.
Die Württemberger Genossenschaften setzen schon bei der Literflasche ein Pfandsystem ein, sie haben also Erfahrung mit Mehrwegsystemen „Ich kenne aus meiner Jugend nichts anderes als die Liter-Pfandflaschen in den schweren Holzkisten“, erzählt Werner Bender. Die Literflaschen werden schon in der Weingärtner Servicegesellschaft in Möglingen gereinigt. Die Viertelliter-Flaschen sollen auch hier gereinigt werden. Sie mussten also nur in das Projekt investieren – und in eine komplett neue Flaschenform.
Das ist der eigentliche Trick. Sie setzen nicht auf bestehende Flaschenformen wie die Schlegel oder Burgunderflasche, sie kreieren eine ganz neue. „So bekommen wir den Rundlauf hin“, sagt Werner Bender. Die neue Flaschenform gehört der Wein-Mehrweg eG. Nur wer Mitglied ist, erhält die Lizenz, kann sie verwenden und profitiert vom 50-maligen Durchlauf. So vermeiden sie auch, was bei den Liter-Standardflaschen das Thema ist: Pfand erhält da auch, wer die Flasche woanders gekauft hat. Das wird mit der eigenen 0,75-Liter-Kreation vermieden.
Die neue Mehrweg-Weinflasche wird auf der ProWein in Düsseldorf vorgestellt
Die neue Mehrweg-Flasche der Württemberger wird auch bei der ProWein in Düsseldorf vorgestellt. Sie erhält dann einen Namen, er ist noch unbekannt. Es wird die Höhe des Pfandes genannt. Jede Genossenschaft, jeder Einzelbetrieb, in und außerhalb Württembergs, könne sich der Wein-Mehrweg-eG anschließen, sagt Werner Bender. Er kennt die Gründe in der Diskussion, warum es bisher kein erfolgreiches System gab und was jetzt dafür spricht. Er sagt: „Wir bringen ökologische Nachhaltigkeit mit ökonomischer Nachhaltigkeit zusammen.“ Heißt: Es ist nicht purer Idealismus, der die Württemberger Genossenschaften treibt. Es ist auch eine finanzielle Betrachtung, die für das Mehrwegsystem spricht. Gerade Genossenschaften haben eine Kundschaft, die eher im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) einkauft. Der Rückgang des Weinkonsums etwa wegen des Inflationsdrucks trifft sie härter. Auch sie spüren die Auswirkungen in gestiegenen Produktionskosten. „Der Glaspreis hat sich in 16 Monaten verdoppelt“, sagt Werner Bender.
Das neue Modell reduziert also den CO2-Abdruck einer 0,75-Liter-Flasche, denn ein Drittel der 900 Gramm entfallen allein auf die Flaschenproduktion, weil das Einschmelzen von Altglas viel Energie frisst. Das neue Modell reduziert aber auch die Kosten im Vergleich zur Anschaffung neuer oder gebrauchter Flaschen. Die Flaschen werden wohl noch in diesem Jahr im Getränke- und Weinfachhandel angeboten – der LEH soll später dazukommen.
Nachhaltigkeit ist mittlerweile ein Wert geworden. Doch der ökologische Aspekt ist vom ökonomischen nicht zu trennen. Werner Bender sagt es so: „Wir als Genossenschaften müssen innovativ und modern sein, damit wir uns am Markt behaupten können.“ Es könnte für andere bald auch gelten.
Weingut Galler und die Wein-Mehrweg eG auf der ProWein
Das ist die ProWein: Die ProWein in Düsseldorf ist die weltweit größte und wichtigste Fachmesse für Weine und Spirituosen. 6.000 Ausstellende aus mehr als 60 Ländern präsentieren ihr Angebot vom 19. Bis 21. März in 13 Hallen des Düsseldorfer Messegeländes.
Da geht‘s zum Weingut Galler und der Wein-Mehrweg eG: Das Weingut Galler präsentiert die Cuvée „2/4 Wein“ und ihr PiWi-Sortiment am Stand Halle 1/C 55. Etwas weiter, am Stand Halle 1/ C31 stellt die Heuchelberg Weingärtner eG die 0,75-Liter-Pfandflasche vor.
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