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Strategischer Politikerunfug mit Patriot erklärt

Patriot Radar bei einer Übung

Wiedermal hat ein Politiker mit einem kruden Vorschlag auf sich aufmerksam gemacht. Militärs und Fachleute nervt so etwas. Weil es zumeist fachfremder Unfug ist.
Ausschlaggebend dafür sind zwei Faktoren.

Der Abgeordnete der SPD Joe Weingarten hat in einem Spiegel Interview angedacht, man könne an der Grenze zur Ukraine Flugabwehr stationieren und so den Luftraum der Ukraine sichern. Wörtlich erwähnt hat er die Patriot.
Weingarten wurde in den Medien auch als „Verteidigungs-Experte“ bezeichnet. Das einzige, was in seiner Vita darauf hinweist, ist seine Mitgliedschaft im Verteidigungsausschuss.

Joe Weingarten

Solche Vorschläge nerven einfach nur. Weil sie wieder Zündstoff dafür geben, dass irgendwelche Fernsehsesselsoldaten und Russlandfreunde auf Social Media debattieren können.
Der breiten Öffentlichkeit ist sicher nicht bewusst, wie albern viele Gedankenexperimente sind. Was man anhand des Vorschlags aber wunderbar erklären kann.

Bevor wir aber in die Strategievorlesung für Dummies einsteigen, eine grundlegende Perspektive.
Und liebe Flugabwehrexperten: Bedenken Sie, das ist hier für Laien. Danke.

Die Fachkompetenz der Politiker

Politiker haben keine Ahnung.
Das ist provozierend, aber näher an der Wahrheit, als Politiker für Experten zu halten. Wie Präsident Schwarzenegger einmal bei den Simpsons sagte: „Ich bin hier um zu lenken, nicht um zu denken.“

In unserer Demokratie wird jemand auf unterer Ebene gewählt, meist Kommunal. Das kann eine Expertin für Müllentsorgung sein oder ein Hausmann. In der Partei erklimmt er oder sie dann die Leiter, wird vielleicht er irgendwo auch mal Mitarbeiter, sie kommt in den Landtag oder landet in einem Berliner Büro. Dann stellt man sich zur Wahl und wird Abgeordneter im Bundestag.
Das würden mehr Menschen verstehen, wenn mehr Menschen Mitglied einer Partei wären. Dann wird man nämlich zu solchen internen Wahlen und Parteitagen eingeladen.

Kommt die Partei dann an die Regierung, werden Posten vergeben. Welche Partei welche Posten an ihre Leute vergeben darf, wird meist in den Koalitionsverhandlungen ausbaldowert. Mit etwas Glück landen dann tatsächliche Fachleute auf einem Posten, beispielsweise wird ein Arzt und Gesundheitsökonom Gesundheitsminister oder ein Wirtschaftsmann Finanzminister.

Aber dann gibt es noch die anderen Posten.
In der Regierung der CDU/SPD ging der Posten der Drogenbeauftragten beispielsweise immer an die CDU. Und die hat den dann an die CSU gegeben. Und so waren über Jahre hinweg Bayerinnen Drogenbeauftragte: Erst eine gelernte Hopfenbäuerin (welch Ironie) und dann eine Expertin für Verkehr.
Die Menschen müssen sich einarbeiten. Sie haben einen Stab und Experten an der Hand. Sie müssen delegieren. Das ist ein echter Job, der eigene Kompetenzen erfordert.
Auch deshalb haben die grauen Eminenzen im Hintergrund sehr viel Macht, häufig Staatssekretäre. Dafür muss man den Berliner Zirkus aber intensiv verfolgen.

Das kann klappen, muss es aber nicht.
Aber um das direkt deutlich zu sagen: Eben darum ist das nicht wirklich schlimm. Wir sehen die Gesichter zwar im Fernsehen. Aber hinter vielen Entscheidungen stehen Gremien, Diskussionen, Meetings und Abstimmungen. Und das ist vielen dann schon zu komplex, weshalb sie lieber auf einzelne Politiker schimpfen.
Diejenigen, die über die Unfähigkeit der Politiker motzen, haben meist selber keine Ahnung.

Das wirklich Schlimme ist, wenn irgendwelche Hinterbänkler aus irgendwelchen Gremien aus politischen Motiven irgendetwas raushauen. Ohne eine Expertise zu haben, die Hintergründe zu kennen oder wenigstens mal jemanden zu fragen. Euphemistisch äußern sie einen „politischen Willen“, tatsächlich hauen sie aber sehr oft völligen Schwachsinn raus.

Ich habe selber an solchen Besprechungen für Briefings für Politiker teilgenommen, wie eines abgehört wurde (Si apre in una nuova finestra). Und mein alter Ausbilder saß später beim BND hat und hat genau so etwas gemacht: Die Lage für Laien (politiker und andere) erklärt.

Das Beispiel Patriot

Die Bundeswehr und die NATO unterliegen einer strategischen Gliederung.
Fünf Kompanien ergeben ein Bataillon, einige Bataillone eine Division, und so weiter. Es ist eine streng durchdachte Planwirtschaft, gemacht von Experten. Auf einem Leopard 2 sitzen vier Leute, eine Kompanie hat vier Züge a drei Panzer, plus einem Panzer vom Kompaniechef… so kommt man auf die Anzahl der Soldaten, die gebraucht werden und auf die Zahl der Panzer, die in einem Bataillon sind. Bei der Infanterie oder bei Pionieren kann das wieder ganz anders aussehen.

Um das also einschätzen zu können, muss man zwangsläufig ein wenig über das jeweilige Waffensystem und die Gliederung wissen. Wie es funktioniert, was dazu gehört, und so weiter. Erst dadurch erschließt sich die Übersicht.
Spielen wir das einmal für die Patriot durch, die laut Vorschlag die Ukraine helfen soll zu sichern.

Das geht dabei schon los, dass in den Medien immer die Starter der Patriot gezeigt werden. Üblicherweise auf einem LKW. Denn das ist ja das Spektakuläre, was die Menschen damit verbinden. Raketen, Piu Piu und Wusch.
Aber ein Starter alleine kann gar nichts. Das wäre das Niveau, mit dem die Hamas Raketen schießt. Was in der Artillerie funktionieren mag, aber nicht bei Raketen, die bei mehrfacher Schallgeschwindigkeit Flugzeuge oder Marschflugkörper treffen sollen.
Patriot funktionieren auch ohne LKW, beispielsweise die „abgesessenen“ Starter, die als Teil des Iron Dome in Israel irgendwo auf den Feldern stehen. Da sind nicht einmal Soldaten dabei. Das sind die Flaschen, in denen man zu Silvester seine Raketen steckt, sie anzündet und dann weggeht.

Fest installierter Patriot Starter

Die Patriot braucht also erstmal ein Gehirn, das die Informationen über die Flugzeuge und Raketen verarbeiten kann. Das ist der Gefechtsstand, häufig auch kurz „Feuerleit“ genannt. Das ist mobil auf einem LKW.
Dann braucht sie Nerven, die die Starter und den Gefechtsstand miteinander verbinden. Das kann man per Kabel machen, was dann natürlich sehr sicher ist. Aber man kann ja nicht mobil kilometerlange Kabel verlegen. Also braucht man eine Antenne, die die Komponenten miteinander verbindet.
Und dann braucht die Patriot einen Darm. Denn irgendwo muss die Energie ja herkommen. Also muss da auch ein Generator hin.
Damit die Patriot irgendetwas sieht, braucht sie aber auch Augen. Also gehört da immer auch ein Radar zu. (Titelbild)

Das ist das Minimum, das zu jeder Patriot-Einheit gehört. Immer.
Zur Veranschaulichung habe ich mir einmal das 244-Seitige Manual der US Army gezogen, das nur die Basics erklärt.

Hinzu kommt aber noch mehr. Wenn mehrere Kompanien zusammenkommen, kommt ein Gefechtsstand auf Bataillonsebene dazu. Zusätzlich kann der Kompaniechef eine eigene kleine Kabine haben, es gibt Kabinen für die Wartung, und so weiter.
Und ein solches System, eine Kompanie, kann bis zu acht Starter haben.

Übrigens: Einige Journalisten haben die Kompanie dann „Batterie“ genannt. Das ist im Englischen richtig, im Deutschen spricht man aber von einer „Staffel“. Weil es mit Fliegen zu tun hat, wie bei Fliegern.

Deshalb spricht man bei so etwas von einem System. Es gehören verschiedene Komponenten dazu, die häufig je nach Größe der Einheit und Einsatz unterschiedlich sind.
(Und deshalb müssen Luftbildauswerter sowas lernen. Sehen sie beispielsweise einen Starter oder ein Radar, wissen sie, dass da irgendwo in einem gewissen Umkreis noch weitere Starter sein müssen. Sehen sie eine Antenne, wissen sie, dass da in einem Umkreis von mehreren Kilometern noch mehr sein müssen. Und sehen sie einen Gefechtsstand, wissen sie, dass da mehrere Einheiten mit mehreren Startern sein müssen.)

Flugabwehr zur Grenzsicherung

Kommen wir also einmal auf den Vorschlag der Politiker zurück.
Die angegebene Kampfentfernung der Patriot der Bundeswehr beträgt 70km. Sie verfügt auch über Flugkörper (FK), die weiter fliegen. Aber das ist das, was strategisch so Pi mal Auge kalkuliert wird.

Man kann aber nicht einfach alle 70 Kilometer einen Starter hinstellen. Abgesehen davon, dass einer ja nur vier Schuss hat. Die Antenne reicht nur 50 Kilometer. In diesem Radius müssen also alle Geräte stehen.
Und damit wird der Zweck einer solchen Staffel deutlich. Sie wird nicht einfach wie an einer Perlenkette an eine Grenze gestellt. Sondern sie steht beispielsweise um eine Stadt herum, um den ganzen Radius abdecken zu können. Zur Grenzsicherung würde das auseinandergezogen, was viele Nachteile hätte.
Kann man so machen, wie in der Türkei. Ist aber suboptimal.

Die Grenze der Ukraine zur NATO ist knapp 1400 Kilometer lang. Um sie halbwegs zu sichern, müssten also ganz locker 30 Staffeln Patriot verlegt werden.
Die Bundeswehr hatte 2020 noch 12 Staffeln. Zwei wurden an die Ukraine abgegeben. Vier neue sind bestellt. Das bedeutet, wir würden unsere eigene Verteidigung schwächen. Auch die Ostflanke der NATO wird ja ständig gesichert, eine deutsche Staffel war beispielsweise gerade ein Jahr lang in Polen.

In einem akuten Einsatz bräuchte man aber nicht nur die Leute, die im Gefechtsstand sitzen. Sondern auch die Ablösung. Wer mal zehn Stunden auf einen Monitor geglotzt hat, weiß Bescheid.
Wir sprechen also von hunderten Soldaten, die im Schichtbetrieb (übrigens mit Auslandszulagen und Zuschlägen) 24/7 dort festsitzen.

Da bleibt nur zu fragen: Wie viele Milliarden wollen Sie ausgeben, Herr Weingarten und Konsorten? Für einen Korridor von wenigen dutzend Kilometern im Westen der Ukraine, der eh kaum angegriffen wird?
Das ist nur mal so grob die Perspektive. Natürlich sieht das bei anderen Staaten leicht anders aus und Deutschland sollte das ja nicht alleine machen. Aber es gibt eine Vorstellung, es stellt Aufwand und Nutzen gegenüber. Völlig unabhängig von irgendwelchem populistischen Gefasel vom Dritten Weltkrieg. Und unabhängig davon, ob Länder wie Ungarn das überhaupt mitmachen würden.
Und die NATO hat damit schon gar nichts zu tun.

Die Vorschläge von Hinterbänklern

Das ist symptomatisch für das Problem der öffentlichen Debatte. Wir sind im Kopf so entmilitarisiert, dass wir verlernt haben, die richtigen Fragen zu stellen. Und die Journalisten, deren Job es wäre, haben selber keine Ahnung.

Wenn gemeldet wird, dass Deutschland in den USA zwei Patriot kauft, um sie an die Ukraine weiterzugeben, verstehe ich als ehemaliger Soldat darunter zwei Staffeln. Denn zwei Starter müssten nicht aufwändig und vollmundig in den USA eingekauft werden. (Deutschland produziert selber.) Also zwei Mal das ganze Geraffel, das oben aufgezählt ist. Antenne, Gefechtsstand, Generatoren, Radar, Starter, Flugkörper, Klopapier.
Sicher ist das nicht. Weil kein Journalist nachgefragt hat und es bisher nirgendwo veröffentlicht ist.

In der Taurus-Debatte haben sich alle Angeschrien und jeder Politiker hat sofort etwas losgefaselt (Si apre in una nuova finestra), sobald man ihm ein Mikro hingehalten hat. Im Verteidigungsausschuss saßen plötzlich Leute um wichtig zu sein, die da gar nichts zu suchen hätten.
Und keiner hat mal danach gefragt, wie die Daten in die Taurus kommen. Und keiner hat mal gefragt, woher die Geodaten kommen. Für die wir eigens zwei Satelliten hochgeschossen haben, was mit Förderung und Datenverwendung alleine fast 800 Millionen Euro gekostet hat. Kein einziger Journalist.
Klar, kann man ja auf einem USB-Stick in die Ukraine schicken. Nicht.

Zur Taurus gehört ein „Gefechtsstand“ mit drei Arbeitsplätzen. Die vielleicht gar nicht mobil sind. Ich kenne zumindest keine Unimog-Version. Verschlusssache.
Stattdessen mussten sich Leute anfeinden lassen, die versucht haben, das eigentliche Problem zu erklären. Stattdessen wird weiter darüber philosophiert, ob der Kanzler Angst vor der russischen Reaktion hat oder ob deutsche Soldaten in die Ukraine müssten und wir dadurch „Kriegspartei“ würden.

Äußerungen wie die von Weingarten sind ausschließlich politisch motiviert und politisch relevant.
Es nervt nur noch.

Argomento Medien und Politik

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