Was eine Abkehr von der Energiewende für die Wirtschaft bedeuten würde
Willkommen im Newsletter der Superredaktion – die monatliche Ration konstruktive Perspektiven, positive Botschaften und konkrete Anpackmaterialien für Menschen mit Lust auf Zukunft. Um ganz ehrlich zu sein: Gerade bräuchte es eine Super-Superredaktion, um all die Themen und Fragen zu behandeln, die behandelswert sind. Aber da wir nunmal (du kennst uns) die Superredaktion sind, stürzen wir uns heute nur auf eine Frage: Was würde die Abkehr von der Energiewende für die Wirtschaft bedeuten? Nun aber erstmal (kennst du ja auch und wenn nicht, dann Vorfreude!):
Froher werden
Mehr Schutz fürs Meer
Die zu Portugal gehörenden Azoren (neun Inseln) wollen 30% ihrer ca. 1 Million Quadratkilometer großen Meeresfläche per Gesetz schützen und damit ein Zeichen setzen. Diese Fläche wäre das größte Netz von Meeresschutzgebieten im Nordatlantik (Si apre in una nuova finestra). Auf dem Festland gibt es zudem weitere gute Neuigkeiten: Portugal plant ein landesweites ÖPNV-Ticket für 20€ (Si apre in una nuova finestra) - im Monat.
Goodbye Kohle!
Wir hatten dir im vorletzten Newsletter ja schon berichtet, dass Großbritannien sein letztes Kohlekraftwerk abgeschaltet hat. Nun soll der Strommix bis 2035 CO2-frei gestaltet werden - dazu will die Labour-Regierung das Aufstellen von Windrädern erleichtern und Solarenergie fördern. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür ist die British Library, (Si apre in una nuova finestra) die ihr Dach mit Solaranlagen ausgestattet hat - das “größte Solarheizungsprojekt in Großbritannien”, welches Vergangenheit und Zukunft schützen will.
Deutschland wird glücklicher
Von wegen alle sind so unzufrieden! Die Deutschen sind wieder glücklicher! Das besagt zumindest der “Glücksatlas 2024 (Si apre in una nuova finestra)”. Mit 7,06 (10 ist das Maximum) Punkten ist die Zufriedenheit wieder auf dem Stand der 2010er Jahre angekommen – das wirft ein interessantes Schlaglicht auf die “Deutschland-geht-den-Bach-runter”-Rufe, oder? Besonders an Zufriedenheit gewonnen haben Menschen, die in der Pandemie stark belastet waren - Alleinlebende, Jugendliche, junge Erwachsene und berufstätige Mütter. Also: tun wir uns zusammen!
Nach diesen guten Nachrichten auch etwas zufriedener? Ja? Sehr gut! Na dann los:
Haben wir eigentlich gerade schon wieder oder immer noch Wahlkampf? Wie auch immer, es wird (oder bleibt) eine in Demokratien notwendige, aber für Fans von Fakten und Zahlen auch anstrengende Zeit - da in diesen Zeiten zahlreiche Personen versuchen, selbige Fakten und Zahlen maximal hinzubiegen und zu -dehnen, damit das Ergebnis am besten zu ihrem persönlichen Wahlprogramm passt.
Besonders anstrengend wird diese Zeit, wenn viel auf dem Spiel steht, und das ist bei der kommenden Wahl zweifellos der Fall. Langjährige Lesende dieses Newsletters werden nun zurecht annehmen, dass wir besonders besorgt in Richtung unserer Klimaziele schielen, deren erneute Aufweichung zur Debatte stehen wird. Und da die Wirtschaft der wahrscheinlich größte Fokus der nächsten Wahl sein wird (und in vergangenen Wahlen war), wollen wir uns in dieser Ausgabe näher anschauen, was es in Deutschland für die Wirtschaft bedeuten würde, wenn wir unsere Klimabemühungen wieder zurückdrehen würden, wie es einige Parteien derzeit fordern (und zwar auch unter den demokratischen).
Wende in der Energiewende?
Direkt vorneweg: Die Rechnung, ein stabiles Klima für eine stabile Wirtschaft zu opfern, geht auch heute schon immer schlechter auf. Das Fortschreiten der globalen Energiewende hat derartige Dimensionen angenommen, dass eine Abkehr davon bereits jetzt wirtschaftlich unangenehme Folgen hätte. (Mal ganz abgesehen davon, dass es schwierig bis unmöglich ist, in einem von Klimakatastrophen betroffenen Land zu wirtschaften.) Ein Umsteuern in der Energiepolitik, wie es mancher Wahlkampfslogan sicher vorschlagen wird, würde Deutschland auf einen einsamen Geisterfahrerkurs zusammen mit Nordkorea, Turkmenistan und Oman (Si apre in una nuova finestra) bringen.
Hoppla, Geisterfahrer? Das ist doch immer der Vorwurf an uns, weil wir aus der Atomkraft ausgestiegen sind?! Ja, sind wir, aber damit ist unser Ausstieg nur in seiner Geschwindigkeit einzigartig. Die Liste der westlichen Länder ohne neue Kernkraft-Projekte mit immer älteren Reaktoren ist lang (Si apre in una nuova finestra). Die weltweite Strom-Ausbeute aus der Atomkraft ist seit 20 Jahren recht konstant (Si apre in una nuova finestra), während die aus Wind und Solarkraft stetig steigt und die der Atomkraft schon vor 3 Jahren überholt hat.
Der Ausbau von Wind- und Solarkraft ist ja längst kein deutsches Phänomen mehr. Die Technik ist so günstig geworden, der chinesische Produktionsüberschuss von Solarmodulen so gewaltig, dass immer mehr Länder, kleine wie große, ihre fossile Stromerzeugung peu a peu durch Wind- und Solarkraft ersetzen (Si apre in una nuova finestra). Während im Jahr 2007 nur 11 Prozent der global zugebauten Kraftwerksleistung auf Solar- und Windkraft entfiel, wuchs dieser Prozentsatz innerhalb von nur 16 Jahren auf 92 Prozent (Si apre in una nuova finestra).
(Si apre in una nuova finestra)Das ist die wirtschaftliche Realität. Daran rütteln auch 1.000 alberne Facebook-Sharepics nichts, laut denen nachts aber die Sonne nicht scheint und der Wind nicht immer weht. Die Sonne geht abends auch in Australien und den USA irgendwann unter, der Wind weht auch in Irland und Kanada nicht immer, trotzdem investieren beide Länder kräftig in die neuen Technologien.
Okay, was wären denn die Alternativen?
Die Idee, Deutschlands Energiepolitik wieder auf den Stand von vor 4 oder 20 Jahren zurückzudrehen, wäre ähnlich wahnwitzig, als hätte Gerhard Schröder 1998 erklärt, dass Deutschland dieses Internet-Dings nicht so einseitig weiterverfolgen sollte und sich stattdessen lieber technologieoffen für ein digitales Kommunikationsnetzwerk unserer Wahl entscheidet.
Trotz der Unsinnigkeit werden wir aber dennoch miterleben, wie der Ausbau von Wind- und Solarkraft als „einseitig“ geframed wird, so als gäbe es hier einen bunten Strauß anderer Möglichkeiten für uns. Aber den gibt es leider nicht. Andere Länder haben diesbezüglich geografische Vorteile mit einem besseren Zugang zu Wasserkraft (Si apre in una nuova finestra) oder Geothermie (Si apre in una nuova finestra), aber bei uns ist dieses Potential (noch?) begrenzt. Wir könnten die Biomasse noch weiter ausbauen, aber das würde noch mehr intensive Landwirtschaft auf großen Flächen bedeuten, was die ohnehin schon nicht so tolle CO2-Bilanz von Biomasse noch weiter verschlechtert.
Wir werden wieder Vorschläge in Richtung Atomkraft hören, die uns aber aufgrund der Bauzeit in diesem Jahrzehnt keine Kilowattstunde mehr bescheren wird (Si apre in una nuova finestra) und selbst bei (teurer) Reaktivierung alter, bereits im Rückbau befindlicher Kraftwerke wären sie nur ein sehr kleiner Teil der Lösung.
Auch Wärmepumpen und Elektromobilität werden sich den Vorwurf der Einseitigkeit anhören müssen. Es wird so getan, als hätte nicht längst der Markt entschieden, dass sich batterieelektrische PKW (Si apre in una nuova finestra)(und auch Busse, LKW (Si apre in una nuova finestra), Müllautos, Muldenkipper, Minenbagger) gegen ihre Wasserstoffbrüder und -schwestern (Si apre in una nuova finestra) durchgesetzt haben und wie die anderen Technologien auch unabhängig von politischem System und Wirtschaftsausrichtung weltweit zum Einsatz kommen.
Elektrifiziert wird im stark kapitalistisch geprägten Australien und in China mit seinen Fünfjahresplänen. Erneuerbare erfreuen sich großer Beliebtheit sowohl im links regierten Spanien als auch im seit Jahrzehnten konservativ regierten Texas (Si apre in una nuova finestra). Wärmepumpen boomen im kalten Nordeuropa (Si apre in una nuova finestra) und sind in Taiwan und Japan längst Standard.
Was gegen fossile Brennstoffe spricht (abgesehen von der Klimakrise)
Wer all das auszubremsen gedenkt, lenkt Deutschland zwangsläufig wieder in Richtung der fossilen Brennstoffe. Und das wird teuer, in gleich mehrerer Hinsicht:
• In den kommenden Jahren wird die CO2-Bepreisung auf EU-Ebene anziehen (Si apre in una nuova finestra).
• In einer Welt, in der Wladimir Putin und Donald Trump die größten Öl- und Gasförderländer regieren, schwächte unsere Abhängigkeit von diesen Substanzen unsere Verhandlungsposition bzgl. Zöllen und Protektionismus.
• Erneuerbare Technologie formt gerade gigantische Zukunftsmärkte. Gerade als Nation mit großer Maschinenbau-Tradition und kaum eigenen Rohstoffen wären ein paar Firmen mit Marktführerschaft für Wärmepumpen, Batteriezellen, Windkraftgeneratoren oder Bohrtechnik für Geothermie ein stabiler Garant für Arbeitsplätze. Wer es solchen Unternehmen hingegen auf dem eigenen Heimatmarkt besonders schwer macht, läuft Gefahr, die nächste große Industriegeschichte abzuwürgen, bevor sie begonnen hat.
• Deutschland exportiert jährlich etwa 3 Millionen Autos. Davon ging mehr (Si apre in una nuova finestra) als die Hälfte in Märkte mit stark wachsendem E-Auto-Anteil (Si apre in una nuova finestra) (Belgien, China, Dänemark, Finnland, Frankreich, Niederlande, Norwegen, Österreich, Schweden, Schweiz, Spanien, UK) + 400.000 in die USA, wo gerade die reichen Bundesstaaten hohe Elektroauto-Zuwächse sehen.
Während andere Länder ihre Wirtschaft in diese Richtung umstellen und fit für die Zukunft machen, würden wir einen Gang runterschalten und den Geldhahn für den Import von Öl und Gas kräftig aufgedreht lassen, auf dass wir weiter dutzende Milliarden Euro verbrennen, anstatt mit diesem Geld unseren Maschinenpark zu erneuern. Laut Daten von Agora Industry können wir 90% der Prozesswärme* in der europäischen Industrie mit Strom bereitstellen (Si apre in una nuova finestra), also ohne Gas aus dubiosen Quellen. Wir wären ein viel robusterer, unabhängigerer Kontinent, den ein verrückt gewordener Diktator nicht mehr so leicht erpressen könnte.
* Prozesswärme ist die Wärme, die für technische Verfahren benötigt wird (und bezeichnet auch die Abwärme, die dabei entsteht).
So, falls du besonders viel Zeit hast, dann schau dir diese Grafik genauer an:
(Si apre in una nuova finestra)Nochmal zurück zu den Zahlen
Wirtschaftsdaten haben einen großen Vorteil: Hier entscheidet (fast) niemand auf Basis seines persönlichen Gefühls oder seiner nostalgischen Verbundenheit mit dem Geräusch eines Verbrennungsmotors. Den Quartalsbonus bekommt die Managerin für das Erreichen ihrer Ziele, und da zählt unterm Strich, was in der Gesamtbetrachtung günstiger ist. Deswegen sehen wir, wie immer größere Bau- und Bergbaumaschinen elektrisch werden (Si apre in una nuova finestra). Deswegen stellen auch Städte außerhalb Chinas ihre Busflotten auf Batterien um (Si apre in una nuova finestra), deswegen entsteht in Deutschland gerade ein Genehmigungsstau für einen Batteriespeicher-Tsunami (Si apre in una nuova finestra), mit dem in Zukunft Wind- und Solarstrom gepuffert werden soll. Der Markt entscheidet. Nein, er hat schon entschieden.
Eine weltweite Industrierevolution kann man nicht aufhalten. Man kann nur entscheiden, ob man Teil davon sein möchte oder ob man Deutschland auf einen einsamen Geisterfahrerkurs in Richtung Vergangenheit schicken möchte.
Freunde treffen
Auf Kurs ist definitiv einer: Boris Herrmann. Der Name kommt dir bekannt vor? Boris ist Segelsportler und brachte Greta Thunberg 2019 zusammen mit Pierre Casiraghi (Grace Kellys Enkel - falls du Film- oder Royalfan bist) nach New York. Auch abseits davon engagiert er sich mit seinem Team Malizia seit Jahren für Klimagerechtigkeit, ganz nach ihrem Motto: A race we must win. Nun will er in 80 Tagen um die Welt segeln. Dabei kann man ihn begleiten (Instagram (Si apre in una nuova finestra) oder YouTube (Si apre in una nuova finestra)) und obendrein gute Nachrichten von den verschiedensten Gegenden der Erde erhalten und mehr über den Ozean und das Segeln lernen. Wir wünschen stets eine Handbreit Wasser unterm Kiel!
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