Vorbildliche Dokumentation: The Making of Karateka
Falls ihr euch für die Geschichte der Videospiele interessiert, kann ich die Spielsammlung und Dokumentation The Making of Karateka (Si apre in una nuova finestra) von Digital Eclipse wärmstens empfehlen. Sie übertrifft nicht nur hinsichtlich der historisch-biografischen Aufarbeitung sowie der angenehm persönlichen Inszenierung jede gewöhnliche Kollektion, sondern wird selbst Kennern der Pionierzeit einige frische Erkenntnisse liefern.
Alle Versionen von Karateka sind spielbar.
Nehmen wir z.B. die Rotoskopie, die schon in frühen Zeichentrickfilmen wie Schneewittchen (1937) von Walt Disney für Bildanimationen eingesetzt wurde. Ich kannte sie zwar von Prince of Persia (1989), Another World (1991) oder vom wunderbaren Hotel Dusk: Room 215 (2007) auf dem DS, wo sie zusammen mit den Tuschezeichnungen maßgeblich für das surreal-filmische Flair verantwortlich war.
Aber fünf Jahre bevor er seinen berühmten Prinzen derart elegant inszenierte, nutzte Jordan Mechner (Si apre in una nuova finestra) diese Technik bereits 1984 in Karateka auf dem Apple II. Das klingt vielleicht nicht aufregend, aber neben der Tatsache, dass der 18-jährige Autodidakt sie damit zum ersten Mal für ein Videospiel einsetzte, wird der Weg dorthin, von der Idee bis zur ersten Zeichnung und Animation, einfach hervorragend in der Dokumentation dargestellt - inklusive aller Hindernisse.
Auch diese Szene wurde vorher real gefilmt.
Man muss sich das mal vorstellen: Eigentlich wollte der junge Mechner "nur" seine eigenen Arcade-Spiele à la Asteroids (1979), also Twinstick-Shooter mit Raumschiffen auf den Apple II bringen, was ihm auch so bravourös gelang, dass er unter Vertrag genommen wurde. Aber da Karate in den 80er-Jahren boomte und in seiner Familie alle Unterricht nahmen, entwickelte sich die Idee eines Abenteuers - und das Erstaunliche: ohne dass es damals große Vorbilder gab, wurde es ein Pionier des filmisch inspirierten Spieldesigns.
Aber vor der Vision stand wie gesagt das Handwerkliche: Jordan selbst hatte nicht nur ein Drehbuch vor Augen, sondern aufgrund seines Zeichentalents schon ganze Szenen skizziert. Die Mechners überzeugten dann den Karate-Lehrer, dass er sich bei Bewegungen wie dem Rennen, Klettern oder Zuschlagen filmen lässt, die man wiederum Szene für Szene abpauste und digitalisierte. Was heute so lapidar klingt, verlangte damals einiges an technischem Einfallsreichtum und sogar eigene Hilfsprogramme, die Jordan bei der Pixelübertragung benötigte. Sprich: Das war echte Pionierarbeit!
Man kann alle Versionen spielen, aber jene für den Atari fühltr sich besser an als das Original von Apple II.
Ich will jetzt gar nicht mehr zu tief in all die Details gehen, aber der große künstlerische Einfluss, den Karateka auf andere Spielemacher hatte, war mir bis dato gar nicht bewusst. Ich kannte zwar die Umsetzung für den C64, aber es hatte in unseren Spielerkreisen nie die große Bedeutung, zumal all die Einflüsse des Apple II ohnehin erst später oder gar nicht in Europa spürbar wurden. Das lag vielleicht auch daran, dass es kein klassisches Fighting Game wie International Karate oder ein Beat'em Up mit Mehrspielerfunktionen war, sondern ein Action-Adventure für Solisten.
In der Sammlung befinden sich übrigens alle alten sowie eine modernisierte Version des Spiels inkl. ausführlicher Kommentare. Einfach draufklicken und loskämpfen! Aber bei aller Liebe zu Klassikern und Martial-Arts-Flair sind diese Emulationen und Remaster gar nicht die Highlights, zumal die meisten sie aufgrund der archaischen Spielmechanik wohl nur kurz zocken werden.
Aber was diese Dokumentation neben der tollen chronologischen Aufarbeitung über einen Zeitstrahl samt einblendbarer Briefe (köstlich das Hin und Her zwischen Publisher und Mechner, der sich weigerte einen aufgeplusterten Text der Werbeagentur für die Box zu nutzen!), Videos etc. so auszeichnet, sind vor allem die Gespräche zwischen Vater und Sohn, zwischen Jordan und Francis Mechner. Da bekommt man ein sehr gutes Gfeühl für die familiären Umstände und Einflüsse, die diese Karriere ermöglicht haben. Letzterer steuerte übrigens nicht nur die Musik bei, sondern verblüffend moderne Hinweise zur Regie.
Das Highlight: Sohn links, Vater rechts, Gespräche über eine besondere Jugend- und Studienzeit.
Ich habe mich jedenfalls sehr gerne durch die interaktive Dokumentation gewühlt, die das Medium Videospiel auf vorbildliche Art konserviert und darüber hinaus spielkulturelle Einblicke liefert. The Making of Karateka ist für knapp 20 Euro für PC, PS4/5, XBS, SW erhältlich und auf Deutsch lokalisiert.