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Einfach mal das Spielzeug fallenlassen

Wolfgang Amadeus Mozart: Klavierkonzert Nr. 20 in d-moll (1785), in einer Bearbeitung von Johann Nepomuk Hummel für Kammerensemble

Die heutige Ausgabe der Schleichwege wird präsentiert von note 1 music (Si apre in una nuova finestra). note 1 vertreibt nicht nur ein breites Spektrum noch so nischiger Klassik, sondern produziert mit eigenen Labels auch Aufnahmen von Musik, die man nicht überall hören kann. Auch Bearbeitungen von Hummel findest du im Katalog von note 1. Auf meinen Text hat der Sponsor keinen Einfluss.

Das Bild zeigt einen Boden mit Fliesen in warmen Farben. Auf dem Boden befinden sich verschiedene Gegenstände: ein Blatt Papier, ein weißer Stoffbeutel mit bunten Farben, grüne, blaue und rote Bälle, ein orangefarbenes Plastikspielzeug.
Fallengelassenes Spielzeug

Zu den fragwürdigeren Versuchen, für klassische Musik zu werben, gehört die Behauptung, Kühe gäben unter Mozart-Einfluss mehr Milch. Das ist nicht ganz falsch, aber auch keinesfalls wirklich richtig (Si apre in una nuova finestra). Der sogenannte Mozart-Effekt soll Leistungssteigerungen beim Anhören bestimmter Musik belegen – aber selbst, wenn das beim Menschen auch der Fall wäre: Wie kaputt ist diese Argumentation bitte?

Nicht nur, dass das biologistische Argument immer fragwürdig ist (Phänomene aus dem Tierreich sind keine Blaupausen für menschliches Leben), der Wunsch nach Leistungssteigerung sollte meines Erachtens der letzte Grund für den Genuss irgendeines Kunstwerks sein. Er gehört in eine andere Sphäre.

Denn nicht alles, was man tut, muss der Verbesserung einer Fähigkeit dienen, auch wenn selbst wohlmeinende Formeln wie die vom lebenslangen Lernen etwas anderes nahelegen. Das Hören klassischer Musik gilt vielen ohnehin schon als Tätigkeit, die man nur vollführt, um irgendeinem Bildungsideal zu genügen und nicht, weil es einem Freude macht.

Soweit zur Theorie, jetzt zur Praxis. Vor ein paar Tagen saß ich am Laptop und aus den kleinen Lautsprechern kam das Mozart-Klavierkonzert Nr. 20 in d-moll, ein veritabler Kracher der klassischen Musik, allerdings in einer ungewöhnlichen Besetzung, nämlich anstatt für Klavier und Orchester waren hier nur zu hören: Klavier, Geige, Cello, Flöte. Das ist alles.

Diese Bearbeitung ist nicht von heute, sondern entstand schon zu Mozarts Lebzeiten – denn nicht jeder, der ein Mozart-Konzert zur Aufführung bringen möchte, hat ein Orchester zur Hand. Aber drei tragbare Instrumente zu einem Klavier zu tragen, das war vor 250 Jahren schon genau so einfach wie heute. Ein großes Konzert auf die Besetzung eines Kammerensembles herunterzubrechen – das hingegen ist keine Kleinigkeit. Zudem man nicht nur die Begleitung auf drei Instrumente eindampfen muss – man muss auch der Klavierstimme einiges mehr zu tun geben, weil man bei so wenigen Instrumenten auf niemanden verzichten kann.

Ein Mozart-Schüler nahm sich der Aufgabe an. Der österreichische Pianist und Komponist Johann Nepomuk Hummel (den ich sehr verehre, vor allem für sein eigenes zweites Klavierkonzert, das ich hier vorstelle (Si apre in una nuova finestra)) bearbeitete nicht nur das Klavierkonzert Nr. 20, sondern noch etliche andere Werke für kleinere Besetzung und sorgte so dafür, dass viele dieser Werke überhaupt Menschen zu Gehör gebracht werden konnten.

Diese Fassungen werden aber – obwohl es so einfach wäre – heute so gut wie nicht mehr aufgeführt. Der Grund ist zumindest bei dem Klavierkonzert Nr. 20 einfach: Dieses Stück ist so berühmt, so beliebt, dass man damit immer einen großen Konzertsaal vollkriegt, vor allem, wenn jemand Berühmtes am Flügel sitzt. Und warum sollten Pianist*innen diesen extra-komplizierten Hummel-Part einstudieren, wenn seine kleine Fassung des Konzerts eh so gut wie nie gespielt wird? Die Hummel-Kammerbearbeitungen der Mozart-Klavierkonzerte sind nicht sehr bekannt und heute ein richtiger Schleichweg zu einigen der größten Werke der Klassik (und hier ist mal wirklich der engere Klassikbegriff gemeint, die Mozart-Beethoven-Ära nämlich).

Diese Musik also kam aus den kleinen Laptoplautsprechern als die vierjährige E., die Tochter meines Freundes, die im gleichen Raum spielte, unwillkürlich ihr Spielzeug fallen ließ, sich neben mich stellte, die linke Hand auf meinen Oberschenkel legte und andächtig, vollkommen ruhig und mit offenem Mund zuhörte. Die ganzen fast fünfzehn Minuten des ersten Satzes lang.

Hier steht ein kleines Mädchen, das bislang wenig Kontakt mit klassischer Musik hatte, das keine nennenswerte Heranführung an diese Musik hatte, keinen Schleichweg, keine Autobahn, nur ein Buch mit einem piepsenden Chip, der eine Handvoll Werke der Klassik abspielte, wenn man die entsprechende Seite aufschlug. Und wir haben sie einmal zum Tag der offenen Tür ins Berliner Konzerthaus mitgenommen, aber der eine Mahler-Satz, den es da zu hören gab, war nichts für sie.

Und jetzt das. Das Mozart-Klavierkonzert Nr. 20 in der Bearbeitung von Johann Nepomuk Hummel, aus dem Laptop, ohne Video, ohne irgendein Bewegtbild. Ich dachte, spätestens wenn das Display sich abdunkelt und dann ganz schwarz wird, ist sie weg. Nein, sie blieb bis zum Schluss. Damit hat die kleine E. vielen älteren Menschen, denen ich versuche, diese Musik nahezubringen, etwas voraus: Sie hat sich auf etwas eingelassen, was keine äußere Bedeutung hat, keinen Gegenstand, keine Handlung im engeren Sinn – absolute Musik, die nichts mehr sein will als Musik.

Und auch wenn E. bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit “warum?” fragt, musste sie keine der Fragen stellen, die ich in den Schleichwegen sonst diskutiere: Worum könnte es in dieser Musik gehen? In welcher Tradition steht das? Warum ist das interessant? Nichts davon. Als sie ihr Spielzeug fallen ließ und zu mir gelaufen kam, fragte sie nur: “Was hörst du da?”

Hier folgt jetzt die Aufnahme, die wir uns zufällig zu zweit angehört haben. Ich wünsche viel Freude beim Nachhören und für 2025 nur dies: Man muss nicht in allem immer besser werden, man muss sich nicht ständig optimieren, man kann auch einfach mal sein Spielzeug fallenlassen und eine Viertelstunde lang Musik hören. Als Erwachsener vielleicht sogar etwas länger.

https://www.youtube.com/watch?v=nH96l6fMqFM (Si apre in una nuova finestra)

Das Stück im Streaming (Si apre in una nuova finestra).

Wer die kleine Fassung mit der großen, regulären Fassung für Klavier und Orchester vergleichen will, steht vor einer riesigen Auswahl. Ich greife einfach mal in die Kiste und ziehe das hr-Sinfonieorchester raus mit Emmanuel Ax am Klavier:

https://youtu.be/VSfnid4FNzc?si=n3AIiNFP4OwpqbYW&t=31 (Si apre in una nuova finestra)

Eine CD mit Mozart-Bearbeitungen (nicht nur) von Hummel (Si apre in una nuova finestra) ist bei Schleichwege-Sponsor note 1 music erhältlich. Indem du nicht nur streamst, sondern auch CDs kaufst, unterstützt du die Arbeit kleiner, unabhängiger Ensembles und die der Komponist*innen abseits des Mainstreams.

Schöne Grüße aus Berlin
Gabriel

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Argomento Klassik

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