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In der ersten Ausgabe: KÄLTE +++ BARMHERZIGKEIT +++ BATMAN +++ KRÄHEN +++ WAHNSYSTEME +++ 25 JAHRE BERLIN +++ DUSTIN HOFFMAN +++ TROST +++ PAKISTANISCHES HÄHNCHENCURRY

Hallo!

Ich bin sehr aufgeregt. Der erste Newsletter. Die erste gemeinsame Weltuntergangsverbesserung. Wie machen wir das?

Was ich anbieten möchte, ist glaube ich eine Art Mischung aus Kälte und Barmherzigkeit. Vielleicht ist ersteres auch nur eine Art als Kälte missverstandene Genauigkeit - in der Beobachtung, in der Aufnahme der Fakten, in der Einschätzung der Lage. Ein Verzicht auf Gefühl zur falschen Zeit. 

Und die Barmherzigkeit ist glaube ich einfach Behauptung. Ich kann sie von nichts ableiten, sie nicht begründen, ihr keine Funktion zuweisen. Unbarmherzigkeit ist das, was sich rentiert. Barmherzigkeit ist ein Entschluss. Die Barmherzigkeitslücke ist bei uns gewaltig, und ich kann sie allein mit ein paar Newslettern nicht füllen. Sie wird außerdem umrandet von einer noch größeren Liebenswürdigkeitslücke. Liebenswürdigkeit muss ich selbst auch oft noch trainieren.

Formal spiele ich ein hier bisschen mit Rubriken. Über Rückmeldungen und Wünsche freue ich mich immer. Und hier noch ein Leser*innenservice: Links und Videos gibt es am Schluss. 

1. Die Lage

Ich sitze am Schreibtisch. Neben mir, an meinem Ellenbogen, liegt mein Bürokampffisch Batman auf dem Boden seines Beckens, ein bisschen wie ein Hund. Die beiden Krähen, die jeden Tag kommen und sich Walnüsse von der Fensterbank holen, sind gerade irgendwo unterwegs, aber ich weiß, dass sie mindestens noch ein Mal auftauchen werden, bevor sie sich mit Hunderten anderer Krähen irgendwo in der Nähe des Alexanderplatzes zur Nachtruhe versammeln.

Ich übersetze ein Buch über komische alte Männer. Sie sammeln Schellackplatten mit Country Blues der Zwanziger- und Dreißigerjahre. Unten auf der Straße weint eine blonde Frau mit aufgespritzten Lippen, in einer kurzen magentafarbenen Jacke (padded), laut auf Russisch in ihr Telefon und wird dabei von ihrem Kampfhund an der Bäckerei vorbeigezerrt. Ein junger Vater bringt sein Kind im Stroller seitlich in Sicherheit.

Mir fällt ein, dass ich  jetzt 25 Jahre in Berlin bin.

Am Fenster habe ich eine Pyramide aus kandierten Äpfeln vom Weihnachtsmarkt aufgeschichtet, mit denen ich die nächste Querdenkerdemo bewerfen werde, die unten vorbeizieht. Sie demonstrieren gerne hier, erst hin, dann wieder zurück, und immer von sich selbst begeistert.  Ich habe das tiefe Bedürfnis, diesen Menschen mit Süßigkeiten Schmerz zuzufügen.

Heute früh war ich zum Boostern im Impfzentrum Tegel. Fast eine Stunde Schlangestehen in der Kälte trotz Termin, unter grauem Bleiplattenhimmel, vor Zäunen mit Natodraht. Mich irritiert die Fallhöhe zwischen dem Flehen von Jens Spahn, man möge sich impfen lassen, und der Unbarmherzigkeit in der Durchführung. Man soll es unbedingt tun, aber wenn man es will, muss man es sich erkämpfen. Es gibt kein Entgegenkommen. Na gut, wenigstens gibt es einen Shuttle-Bus.

Als ich nach der Spritze in einem Warteraum meine 15 Minuten absitze, verkündet die Bundes-SPD die Besetzung ihrer Minister*innen-Posten. Jubel auf Twitter, nicht einmal unberechtigt, aber sie hat schon Abschied genommen von mir, die Politik. Nicht ich bin ihrer überdrüssig geworden, sie hat mir klar und deutlich mitgeteilt, dass sie mich nicht braucht. Und ich fühle mich wirklich verlassen -  so stark war mein Glaube an die Politik.

Die Politik hat sich von der Vernunft verabschiedet, und damit auch von Menschen, denen die Vernunft eine Zuflucht ist. Sie hatte die besten Ratschläge der besten Wissenschaftler*innen zur Verfügung, und hat sie behandelt wie die Wünsche einer Interessengruppe, die man gegen die Wünsche anderer Interessengruppen zum Ausgleich bringen muss, des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes oder des Deutschen Fußballbundes zum Beispiel. 

Diese Politik lebt in einem Wahnsystem. Sie beharrt auf ihrem Wahnsystem, auch wenn es Tote gibt. Sie nimmt diese Toten in Kauf. Sie braucht mich nicht. Auch wenn das Bekenntnis der designierten Bundesinnenministerin Nancy Faeser zum Kampf gegen den Rechtsradikalismus natürlich toll ist.

Die Krähen waren inzwischen da. Aber zwei halbe Walnüsse haben ihnen die Spatzen vor der Nase weggeschnappt. Das ist die Lage.

2. Promiklatsch

(Dies ist die aus dem Abonnent*innenkreis am häufigsten nachgefragte Rubrik, deshalb habe ich mir besonders viel Mühe gegeben!)

Als ich vor 25 Jahren nach Berlin gezogen bin, hörte ich ziemlich bald von Dustin Hoffman. Dass seine Tochter hier studiert. Dass er sie oft besucht. Dass er viel trinkt und man ihn manchmal nachts in der Choriner Straße um eine Laterne gewickelt findet und ihn zur Tochter nach Hause bringen muss. Was man dann würdevoll und ohne viel Aufhebens tat. So war Berlin einmal. So geht die Legende.

Fun Fact: Dustin Hoffman spielt die Hauptrolle in einem schrecklichen Actionfilm von Wolfgang Petersen aus dem Jahr 1995. Er heißt "Outbreak" und handelt  - von einem tödlichen Virus und der Bekämpfung einer drohenden Pandemie!!! Teile des Films wurden in Nordkalifornien gedreht, in der Nähe einer Bewegungstheaterschule, die ich mit 18, 19 Jahren besucht habe. Aber das ist eine andere Geschichte, und sie soll ein andermal erzählt werden.

Jedenfalls spielte einer meiner früheren Lehrer (der Unsympathischste) in dem Film mit und hatte eine Szene mit Dustin Hoffman - langer Dialog, dann wurde seine Figur spontan vom Virus übermannt und kippte würgend und gurgelnd tot um. Für die Endfassung des Films wurde der gesamte Dialog geschnitten, und von seiner Rolle blieb: Wird vom Virus übermannt und kippt würgend und gurgelnd tot um.

Der Film ist entsetzlicher Schrott. Das Virus stammt aus einem Labor diabolischer US-Militärs, und Dustin Hoffman spielt einen guten US-Militär und rettet die Welt. Aber das Schreckliche an dem Film aus heutiger Sicht ist: Er zeigt, dass man ein tödliches Virus ernsthaft bekämpfen kann, wenn man Menschenleben retten will - mit ernsthaften Absperrungen und drakonischen Einschränkungen. Mit Staatsgewalt.

Gibt es das bei uns? Einen positiv konnotierten Begriff von Staatsgewalt?

Jedenfalls: Selbst der letzte Hollywood-Schrott ist klüger als die deutsche Regierung. Und deshalb ist dies eine sehr traurige Geschichte.

3. Buchtipps

Intelligenz ist manchmal wie eine Krankheit und wird von der Umwelt viel zu oft als psychische Störung missverstanden. Die Frage ist, was man dann damit macht und wie man schreibt, wenn man von dieser Krankheit befallen ist. Eine Heilung gibt es ja nicht.

"Trost", das Buch meiner guten Freundin Hanna Engelmeier bei Matthes & Seitz, ist ein auf grandiose Weise intelligent gestörtes Buch. Hanna ist Kulturwissenschaftlerin, was ein Fluch sein kann; was sie vor diesem Fluch rettet, ist der größere Fluch, Zusammenhänge suchen zu müssen, wo niemand sonst es tut, große Bögen zu schlagen, vom Hohen ins Banale und zurück, bis einem schwindelig wird.

Immer läuft es bei ihren "vier Übungen" auf Trost hinaus, vorbei an Rappern, Lebenshilfe-Autorinnen, Adorno oder Bildern der Autorin als Eis essendes Kind. Ein großer Teil dieses Spiels besteht aber auch in Übungen, das Vornehme nicht vom Kleinlichen zu trennen, ohne für eines der beiden Partei zu ergreifen. Ein gewinnbringendes Projekt der Enthierarchisierung. Am Ende würde man von Hanna auch Bücher über Waschmaschinen lesen, Thema egal, Hauptsache sie denkt und man darf ihr dabei in eichhörnchenhaften Sprüngen hinterher hetzen.

Aber Trost können wir schon auch brauchen. Und ihr Buch hat mein Newsletterkonzept deutlich inspiriert. (Sie hat mir außerdem einen Satz daraus gestrichen.)

Die erste zahlende Abonnent*in dieses Newsletters hat mir dann überraschend noch ein kleines Buch zugesteckt, das mich tröstet. Es heisst "Trauer ist das Ding mit Federn" und ist schon 2018 bei Kein & Aber erschienen. Die Trauerarbeit einer jungen Familie, der die Mutter weggestorben ist, übernimmt dabei eine giantische Krähe, und Max Porter, der Autor, scheint nicht nur viel über die menschliche Seele zu wissen, sondern auch alles über Krähen.

Diese Trauerkrähe ist nämlich eindeutig eine der beiden Krähen, die mich täglich besuchen - sehr neugierig, sehr unverschämt, sehr praktisch veranlagt, einem kleinen Stück Aas nie abgeneigt, sehr rührend und dabei auch ein klein wenig furchteinflössend. Das Buch ist wunderschön. Auf federleichte Weise genialisch.

4. Schlusswort

Danke fürs Lesen. Danke fürs Abonnieren. Danke fürs Weitersagen, Dank im Voraus für Feedback aller Art. Und danke fürs Bezahlabo abschließen, wenn das Geld reicht!

Der Weltuntergang kommt bestimmt - vielleicht geht unsere Menschenwelt ganz unter, vielleicht auch nur die alte, und es kommt eine neue. Auf jeden Fall bleibt die Weltuntergangsverbesserung unsere wichtigste Aufgabe.

Oder?

Links & Vids

Dustin Hoffman: 

https://www.youtube.com/watch?v=-V_4Cc7F-a4 (Si apre in una nuova finestra)

TROST von Hanna Engelmeier:

https://www.genialokal.de/Produkt/Hanna-Engelmeier/Trost_lid_45059818.html (Si apre in una nuova finestra)

TRAUER IST DAS DING MIT FEDERN von Max Porter:

https://www.genialokal.de/Produkt/Max-Porter/Trauer-ist-das-Ding-mit-Federn_lid_34728259.html (Si apre in una nuova finestra)

Was ich während der Verfertigung dieses Newsletters gekocht und mit einigen Lieblings-Abonnent*innen gegessen habe (war leider nicht scharf genug): 

https://www.kitchenstories.com/de/rezepte/pakistanisches-hahnchen-curry-peshawari-chicken-karahi (Si apre in una nuova finestra)

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