Der philippinische Drogenkrieg ist nicht vorbei. Eine Medienkritik.
Duterte, der philippinische Präsident, der 2016 seinen blutigen “Drogenkrieg” ausgerufen hat, wurde am Dienstagmorgen am Flughafen von Manila festgenommen, in ein Flugzeug gesetzt und zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag geflogen. Endlich! Ob es zu diesem Tag kommen würde, war jahrelang unklar, aber die Mütter von Getöteten und engagierte Anwältinnen haben durchgehalten und die dünne Hoffnung und das Engagement nicht aufgegeben. Duterte wollte sich selbst in seiner Amtszeit als philippinischer Präsident 2016 bis 2022 und danach gerne gottgleich über dem Gesetz stehend sehen. Dass er sich vor einem Gericht verantworten muss, hat er lange zu verhindern gewusst. Die Festnahme wird ihm nun gar nicht gefallen haben.
Die Ermittler*innen des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) wurden jahrelang von Duterte und dem aktuellen Präsidenten Marcos mit ihren Regierungen gebremst und bedroht. Marcos hat sich nun aber offenbar gegen ihn gewendet. (Wegen Macht und so, nicht aus moralischer Überzeugung. In den unten verlinkten Artikeln mehr Hintergrund.)
Der Drogenkrieg geht derweil weiter. Duterte war als Präsident stark mit Äußerungen aufgefallen, mit denen er die philippinische und internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Nur weil Marcos nicht zum Töten aufruft, heißt das aber nicht, dass das Töten mit ihm ein Ende hat. Weder mit dem Ende von Duterte’s Amtszeit noch mit Duterte’s Festnahme ist der Drogenkrieg vorbei.
Carlos Conde von Human Rights Watch (Si apre in una nuova finestra): “While the new administration has been less confrontational and more diplomatic than the previous one, that does not mean that the human rights situation in the country has improved. We encourage the EU, in all its components, to remain focused on the situation on the ground, and not on the rhetoric or vague promises by the administration. Better rhetoric on human rights is welcome, but the government also needs to walk the talk, and I’m sorry to say that, so far, it has not.”
Tagesschau wiedergibt Duterte’s Narrativ
Duterte’s Festnahme und Überführung nach Den Haag ging am Dienstag als Schlagzeile durch die Medien und unten habe ich euch 2 gute Berichterstattungen verlinkt. Die Tagesschau (Si apre in una nuova finestra) allerdings hat es auf die Reihe bekommen, Duterte’s Narrativ des “Drogenkriegs” zu übernehmen. Der unten verlinkte Bericht von der Deutschen Welle beweist, dass es anders geht:
Tagesschau: (Si apre in una nuova finestra)“Duterte war von 2016 bis 2022 im Amt und ist vor allem wegen seines brutalen Vorgehens gegen Drogenkriminelle umstritten. Nach Polizeiangaben wurden 6200 Menschen bei Schießereien zwischen Sicherheitskräften und Verdächtigen während seiner Amtszeit getötet.”
“Drogenkriminelle” ist ein Sammelbegriff, den man in Deutschland für dieselbe gemeinte Gruppe an Personen nicht (mehr) so liest. Üblicher sind Sammelbegriffe wie “Drogenabhängige”, “Drogendealer” oder “Drogenkonsumenten” bzw. mit “Drogenkriminellen” sind nicht auch Gebraucher*innen gemeint, auch wenn das rechtlich auch in Deutschland keinen Unterschied macht. Es handelt sich im philippinischen Drogenkrieg jedenfalls um Menschen, die möglicherweise tatsächlich oder nur angeblich Crystal Meth gebrauchen oder in kleineren Mengen verkaufen und in jedem Fall von Armut betroffen sind. An der Handhabe der Verdächtigungen allein hängen mehrere Menschenrechtsbrüche.
Man kann es sich mit dem Wort “umstritten” sehr einfach machen. Es deutet an, dass es irgendeinen Konflikt gibt, aber sagt ohne Erklärung nichts aus. Und verharmlost hier. Duterte ist infolge aufwändiger Ermittlungen wegen “Verbrechen gegen die Menschlichkeit” angeklagt. Geklärt wird, ob er organisatorisch in Verantwortung für die Ermordungen steht.
6.200 Tote sind Polizeiangaben. Man muss von 30.000 (in der Zeit bis Duterte die Philippinen aus dem Internationalen Strafgerichtshof hat austreten lassen) sowie bis Ende seiner Amtzeit und bis heute von einigen Tausend mehr ausgehen. Warum die Tagesschau von “weitaus höher” spricht kann ich nicht nachvollziehen. Polizeiangaben zitieren geht klar, aber die Zahl von Bürgerrechtsorganisationen nicht? Für das Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof ist die Zahl nicht entscheidend, aber für das allgemeine Verständnis, was Duterte im Namen der “Drogenbekämpfung” angerichtet hat, schon.
Es handelt sich um keine Schießereien zwischen Polizei und verdächtigen Kriminellen. Damit wurde das so falsche wie schädliche Narrativ des philippinischen Drogenkriegs 1:1 übernommen. Darüber habe ich bereits in diesem Artikel von 2023 geschrieben: “Warum das ungestrafte Morden in den Philippinen weitergeht. Teil 1: Die Polizisten sind die Guten.” (Si apre in una nuova finestra)
Tagesschau: (Si apre in una nuova finestra)“Bürgerrechtsaktivisten gehen davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Opfer weitaus höher war. Demnach wurden Tausende Drogenkonsumenten aus Slums unter ungeklärten Umständen getötet. Der 79 Jahre alte Duterte bestreitet die Vorwürfe. Die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Julia Duchrow, bezeichnete die Verhaftung Dutertes als "Lichtblick der Gerechtigkeit". …“
Es sind nicht einzelne “Bürgerrechtsaktivisten”, die sich äußern, sondern es gibt eine Vielzahl von philippinischen und internationalen Organisationen, die dokumentieren, aufklären, Opposition organisieren und Hinterbliebene der Opfer unterstützen.
Die Umstände sind juristisch bisher nicht aufgeklärt, wofür Duterte lange aktiv sorgen konnte, aber es gibt zahlreiche Berichte und wissenschaftliche Untersuchungen von Menschenrechtsgremien und -organisationen, Universitäten, journalistische Recherchen und Fotoreportagen aus den Philippinen (darunter von Rappler, der Nachrichten-Plattform von Maria Ressa (Si apre in una nuova finestra), die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde), die seit 2016 sehr klare und zahlreiche Erkenntnisse liefern, was konkret vor Ort vorgeht und wie die systematischen Tötungen ablaufen.
Was das Alter von Duterte zur Sache tut, weiß ich nicht. Soll das was über ihn Aussagen?
Amnesty International gehört bei diesem Thema und in den Philippinen nicht zu den wichtigsten Akteur*innen. Warum man gerade AI Deutschland dazu befragt, erschließt sich mir noch weniger. Scheinbar haben manche Redaktionen nur eine Telefonnummer zu Hand, wenn es sich um irgendwas mit Menschenrechten geht.
Es geht zum Glück auch informiert
Zum Glück beweist die Deutsche Welle, dass es anders und besser geht. Man hat sich unter anderem entschieden, Human Rights Watch Asien nach einer Einschätzung zu fragen. HRW ist an diesem Thema intensiv und fortlaufend dran. Auch bei der Bebilderung hat sich die Deutsche Welle Mühe gegeben und nicht Duterte’s Gesicht gleich 3-mal in Szene gesetzt wie die Tagesschau.
Immerhin verlinkt nicht nur die Deutsche Welle (Si apre in una nuova finestra), sondern auch die Tagesschau, wenngleich leichter übersehbar, als nächste Leseempfehlung einen guten Artikel (Si apre in una nuova finestra) darüber, dass Duterte’s “Drogenkrieg” unter seinem Nachfolger nahtlos weiterging. Auch bei der Tagesschau geht es also anders.
https://www.dw.com/de/istgh-gesuch-philippinen-liefern-ex-pr%C3%A4sident-duterte-aus/a-71888621 (Si apre in una nuova finestra)Dieser Gast-Kommentar ist ein weiteres Positivbeispiel. Das “bis zu” in der Überschrift müsste ein “mindestens” sein; die 30.000 wurden, anders als es im Text steht, schon vor Ende seiner Amtszeit gezählt. Aber ansonsten halte ich Überschrift und das erste Bild im Artikel für sehr gut gewählt, um auf den ersten Blick das Wichtigste zu vermitteln. Allerdings hat man sich leider dazu entschieden, im Vorschaubild und -text, was ihr hier seht und wie es in Social Media sichtbar ist, davon abzuweichen.
https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/id_100631926/rodrigo-duterte-verhaftet-meilenstein-im-krieg-gegen-drogen-.html (Si apre in una nuova finestra)2021/22 habe ich meine Master-Abschlussarbeit über den philippinischen Drogenkrieg geschrieben und bisher aber noch nicht veröffentlicht. Sie ist sehr gut bewertet, aber ich wollte sie trotzdem erst kürzen und überarbeiten. Jetzt hat sich ein Anlass aufgetan, denn ich wurde eingeladen, einen wissenschaftlichen Artikel für eine internationale Publikation zu verfassen, die im Herbst erscheint!
Dem oben verlinkten Artikel (“Warum das ungestrafte Morden in den Philippinen weitergeht. Teil 1: Die Polizisten sind die Guten.” (Si apre in una nuova finestra)) müssen auch noch Fortsetzungen folgen. Ein wesentlicher weiterer Grund ist die Ideologie und die Moral des Drogenverbots. Man verfolgt das unerreichbare Ziel, “Drogen zu bekämpfen”, als ob dieses Vorgehen nicht seit Jahrzehnten scheitern würde. (So übrigens auch unser Drogenbeauftragter in seiner UN-Rede am Montag (Si apre in una nuova finestra).) Ob das Töten in den Philippinen zurückgehen wird oder nicht, es bleibt bei jahrelangen Haftstrafen in überfüllten Gefängnissen in grausigen Zuständen sowie Zwangs”therapien”, also ein weiteres Vergehen gegen die Menschenrechte, die selbst die UN-Drogenbehörde UNDOC ablehnt (S. 20 (Si apre in una nuova finestra)).
Diese Woche tagt in Wien die UN-Versammlung der Staaten (CND, Commission on Narcotic Drugs), die zusammen über die internationalen Drogenkonroll-Verträge und mögliche Änderungen beraten und entscheiden. Parallel finden Informations-Veranstaltungen von zivilgesellschatlichen Organisationen statt, so auch diese hier von stopthedrugwar.org (Si apre in una nuova finestra). Eingeladen war unter anderem der philippinische Priester und Anthropologe Father Albert Alejo, der Duterte’s Festnahme kommentiert hat. Hier ist die Aufnahme:
https://www.youtube.com/watch?v=2T6BxoQLTEk (Si apre in una nuova finestra)Dieser Artikel erschien zuerst am Dienstag für die zahlenden Mitglieder (Si apre in una nuova finestra) des Drogenpolitik Briefings, in der Regel erscheint es freitags. Dies hier ist die kostenlose, zeitlich verzögerte Veröffentlichung. Es ist mir wichtig, die Paywall nach ein paar Tagen aufzuheben und ich freue mich über alle Interessierten. Willkommen an die Neuen!
Damit sich das Briefing finanziell tragen kann, suche ich aber weitere Unterstützer*innen. Aktuell hat das Briefing 20 Mitglieder und 44 weitere Leser*innen. Auch mit einer Empfehlung könnt ihr mir helfen!
Philine Edbauer leitet das bundesweite #MyBrainMyChoice-Netzwerk, das durch Kampagnen und Publikationen die Öffentlichkeit und Politik über drogenpolitische Handlungsoptionen aufklärt. Als Regionalwissenschaftlerin (M.A.) hat sie sich auf die Analyse der globalen Drogenbekämpfung spezialisiert, ist Mitglied des Experten-Netzwerks Schildower Kreis und hat die Bundesregierung zur Cannabisgesetzgebung beraten. Philine Edbauer lebt in Berlin und arbeitet als freie Autorin und Fachreferentin zu den Themen Drogenpolitik und Entstigmatisierung.