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Über Alleinherrscher, die Sintflut, die Mafia und die Schönheit

Letzten Sonntag, wenige Stunden nachdem ich meinen Newsletter verschickt hatte, wurde der Iraner Mohammad Abedini überraschend aus der Haft freigelassen (Si apre in una nuova finestra) - vier Tage nach der Freilassung der italienischen Journalistin Cecilia Sala. Begründet wurde die Freilassung damit, dass es in Italien keinen Strafbestand gebe, gegen den der Iraner verstoßen habe. Das hätte man natürlich eigentlich auch schon vorher feststellen können, ihn eigentlich erst gar nicht festnehmen müssen - aber erst, nachdem alles von The Donald und dem reichsten Mann der Welt abgesegnet wurde, ohne deren Zutun sich die Welt ja nicht mehr weiterdreht, durfte er freigelassen werden. Der Iran hat damit erreicht, was er wollte, die Geiselnahme hat sich wieder gelohnt.

So wie es aussieht, kann es ja nur noch eine Frage der Zeit sein, dass sich der reichste Mann der Welt auch noch um Venedig kümmert, aber bis es so weit ist, müssen wir uns mit unserem Mini-Trump (Si apre in una nuova finestra) begnügen, der, nicht nur was seinen Kleidungsstil betrifft, Trump sehr nahe kommt.

Aus den immer noch laufenden Korruptionsermittlungen mit dem schönen Namen “Palude”,Sumpf (Si apre in una nuova finestra), geht hervor, dass Bürgermeister Brugnaro - für Venezianer wenig überraschend - Venedigs unangefochtener Alleinherrscher ist. Einer, der selbst seine beiden engsten Mitarbeiter (und ehemalige Angestellte) kujoniert: Im Stadtrat habe es nie eine wirkliche Entscheidung gegeben, alles sei schon zuvor in Sitzungen beschlossen worden - gaben die ehemalige venezianische Bürgermeisterin Luciana Colle und der Haushaltsstadtrat Michele Zuin (Forza Italia) den Staatsanwälten zu Protokoll. Sitzungen, an denen ausschließlich Morris Ceron und Derek Donadini (rechte und linke Hand des Bürgermeisters: Kabinettschef der Stadtverwaltung von Venedig und sein Stellvertreter, beide haben zuvor in Brugnaros Zeitarbeitfirma Umana Karriere gemacht) teilnahmen, die als dem Bürgermeister hörig beschrieben wurden und überdies von ihm terrorisiert und beleidigt worden seien. Alle anderen Ratsherren seien nur Statisten.

Remember: Für die Ermittler soll in der Stadt Venedig eine kriminelle Vereinigung tätig gewesen sein, die „fest im Herzen der städtischen Institutionen verankert“ war. Zur Zeit wird auch gegen die beiden Bürgermeistervertrauten Ceron und Donadini wegen Beihilfe zur Korruption ermittelt.

Glaubt man den Worten des Haushaltsstadtrats und der ehemaligen stellvertretenden Bürgermeisterin, stellt der venezianische Stadtrat also eine Art Sado-Maso-Kabinett dar: Die beiden einzigen Vertrauten des Gebieters werden ständig von ihm gedemütigt und alle anderen haben Angst vor ihm. Jetzt aber wohl weniger vor ihm, als davor, wie ihre politische Zukunft aussieht, falls Brugnaro tatsächlich wegen Korruption verurteilt werden sollte. Interessant zu sehen, wie die Ratten versuchen, das sinkende Schiff zu verlassen.

“Mose nutzt nur denjenigen, die es bauen" - hieß einst der Slogan der Gegner der Hochwasserschleuse. Und nun berichtete il Fatto Quotidiano (Si apre in una nuova finestra) von der großen “Überraschung”, dass die Fluttore des famosen Flutsperrwerks Mose nicht wie geplant, alle fünf, sondern nur alle zehn Jahre gewartet werden sollen. Was das bedeutet, weiß jeder in Venedig: Alles, was sich in der Lagune befindet, wird von ihr vereinnahmt. Wir haben an unserem Bootssteg eine kleine Metalltreppe angebracht, die nach nur drei Monaten zugewachsen war, mit Algen, Seepocken und Muscheln, mit Austern und Schnecken.

Genau das wächst auch auf den Schleusentoren, die sich deshalb zu einem ergiebigen Fischgrund entwickelt haben: Nachts fahren die Venezianer zum Fischen hin, ein Boot liegt neben dem anderen an der Lagunenöffnung, es geht zu wie an Redentore.

Alle ernstzunehmenden Techniker haben vor dem Moseprojekt gewarnt - vergeblich. Jetzt wird die Rechnung präsentiert: Wenn 20 Millionen Euro nur für die Instandhaltung von sechs Fluttoren ausreichen, kostet die erste Runde der Instandhaltung mehr als 200 Millionen - und würde 13 Jahre dauern. Die letzten sechs Schleusen würden 17 Jahre im Wasser liegen. Hinzu kommt, dass die Fluttore nicht, wie geplant fünf oder sechs Mal pro Jahr zum Einsatz kommen, sondern bereits dreißig Mal und mehr. Der Verschleiß verfünffacht sich - bei einem Werk, dessen Lebensdauer sich auf hundert Jahre belaufen sollte. Indes hatte man dabei den Meeresspiegelanstieg herunter gerechnet. Der hält sich aber nicht an das Wunschdenken der Politiker und der in ihrem Sold stehenden Wissenschaftler und Beamten, sondern steigt wie er will.

Und natürlich sollen vor allem die Interessen der Häfen von Venedig und Chioggia gewahrt bleiben. Wenn es nach den Häfen ginge, würden die Fluttore nie geschlossen werden. Zwischen Venedig mit seiner schützenswerten Bausubstanz und dem Hafen, der mit Kreuzfahrt- , Containerschiffen und Erdöltankern Geld verdienen will, besteht ein enormer Interessenkonflikt. Aber wenn die Fluttore nicht mehr geschlossen werden können, weil sie verschlissen sind, hat sich das Problem ohnehin gelöst - zumindest für die Häfen: Die Sintflut ist nur eine Frage der Zeit.

Aber: Nicht alles ist schlecht. Die von mir schon mehrmals zitierte Investigativ-Sendung “Report” hat eine tolle Sendung (“Signor D. (Si apre in una nuova finestra)”) gemacht: anderthalb Stunden (!) über die Hintergründe der mutmaßlichen Beteiligung von Silvio Berlusconi und seiner rechten Hand Marcello Dell’Utri an den Attentaten gegen Falcone und Borsellino. Interessant daran waren vor allem die Enthüllungen rund um das Geld (“Follow the money” war Falcones Credo), das Berlusconi seinem Vertrauten Dell’Utri gezahlt hat. Der ja wegen Unterstützung der Mafia verurteilt wurde, und in dem Urteil, mit dem er zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, wird eindeutig auf eine „Vereinbarung zwischen Cosa Nostra und Silvio Berlusconi“ verwiesen, die dank Dell'Utris Vermittlung zustande kam und durch die Einstellung von Vittorio Mangano „eine Präsenz der Mafia in Berlusconis Villa garantierte“ (Si apre in una nuova finestra).

Was Berlusconis Tochter vor allem in Rage brachte, sind die bis heute dunklen (Ironie!) finanziellen Ursprünge von Berlusconis Imperium. Die Staatsanwaltschaft von Florenz hat einen neuen Bericht über das Geld verfasst, das in Berlusconis Unternehmen geflossen ist. In der Sendung ist nicht nur von 80 Milliarden Lire (heute 80 Millionen Euro) die Rede, die zwischen 1978 und 1984 über Treuhandgesellschaften in Berlusconis Imperium geflossen sind, sondern auch von 500 Milliarden Lire (500 Millionen Euro), die der Mafioso Giuseppe Graviano Berlusconi zukommen gelassen habe. Weshalb Marcello Dell’Utri für seine Dienste fürstlich entlohnt worden sei, er habe mehr verdient als der Fiat-Chef und die Nummer eins von Morgan Stanley.

Die brennende Frage aber ist: Hatte Berlusconi, als er starb, noch Geld im Ausland? Und wenn ja, wem gehört es heute? Angesichts der Tatsache, dass sich Berlusconis Sohn Piersilvio anschickt, in die Politik zu gehen, kommt diese Frage natürlich sehr ungelegen - weshalb die Familie Berlusconi der Sendung Report sofort mit Klagen drohte und dabei von der gesamten rechten Presse unterstützt wurde.

Die Hinterbliebenen der Opfer hingegen, die bis heute auf die Aufklärung der Hintergründe der Attentate warten, haben sich sofort mit der Sendung Report solidarisch erklärt (Si apre in una nuova finestra).

Wie immer, wenn ich nach einem Aufenthalt in Deutschland nach Venedig zurückkehre, staune ich wie eine Touristin über die Schönheit der Stadt, in die mich das Schicksal gespült hat. Ich freute mich wie ein Kind, als ich vom Lido aus die Dolomiten sah,

bemerkte, wie der Himmel über der Redentore-Kirche glühte, als hätte man ein Streichholz daran gehalten,

und fand es tröstlich, am Ende der Riva degli Schiavoni Spuren echten venezianischen Lebens zu entdecken, die Fahrgeschäfte der Kinderkirmes: Venedigs echter “Lunapark (Si apre in una nuova finestra)”, der hier bis zum 2. Februar gastiert.

Hier auch noch ein Buchtipp zu Venedig (Si apre in una nuova finestra): Die Nietzsche-Kennerin Renate Buck

hat über Nietzsches Aufenthalte in Venedig geschrieben. Ich muss dazu sagen, dass ich in den vielen Jahren hier der Gedanken, die große Geister über Venedig ausgedrückt haben, eher überdrüssig bin, weil sie in jedem Venedigbuch, jeder Venedig-Reportage, von jedem Venedig-Blogger strapaziert werden: Proust über Venedig, Henry James über Venedig, Hemingway über Venedig. Um so misstrauischer schlug ich das Nietzschebuch über Venedig auf. Und wurde überrascht. Vor allem, weil es komisch ist. Mehr oder weniger unfreiwillig, vor allem wenn man liest, wie Nietzsche seinen in Venedig als Musiker lebenden Schüler Heinrich Köselitz beansprucht, der ihm seine Aufenthalte organisieren muss. Komisch sind auch die unzähligen Klimabeschreibungen und medizinischen Überlegungen dazu: “Der Dr. med. Gsellfels sagt: das Klima sei nicht gut für Erschlaffte, Skrophulörse und Cloritische”. Die zeitgenössischen Fotos machen einmal mehr klar, dass Venedig - noch - eine der wenigen Städte auf der Welt ist, in der man Orte auch nach Hunderten von Jahren wieder erkennen kann.

Diese Nacht habe ich geträumt, dass mein Bett, ja mein ganzes Schlafzimmer mit fremden Menschen überfüllt war, die sich, als ich sie aufforderte, mein Bett unverzüglich zu verlassen, sehr unverschämt auf ihr verfassungsmäßig garantiertes Recht beriefen, es stünde ihnen zu, zu schlafen, wo sie wollten. In meiner Not habe ich mich an die Schriftstellervereinigung PEN (Si apre in una nuova finestra) gewendet, die mir aber auch nicht helfen konnten, sondern nur bestätigte, dass die Verfassung (sie zeigten mir eine Urkunde aus Pergament) in der Tat jedem das Recht einräume, zu schlafen, wo er wolle.

Möglicherweise hing mein Traum damit zusammen, dass mich gestern eine französische Journalistin zum Thema “Airbnb” interviewt hat. Tatsächlich ist Venedig in diesem Moment verhältnismäßig leer, wenn man von den Reisegruppen absieht, die von ihren Führern mitleidslos durch die Gassen getrieben werden und mich immer etwas an Replikanten (Si apre in una nuova finestra) erinnern.

Venedig atmet in diesen Wochen etwas auf - viele Restaurants und Bars sind geschlossen, dem ich mich kurzerhand anschließe:

Reskis Republik macht zwei Wochen Ferien, mein nächster Newsletter erreicht Sie erst am 9. Februar wieder. Bis dahin werde ich Sie aber über einige Neuigkeiten zur Mitgliedschaft in Reskis Republik informieren.

Herzlichst grüßt Sie aus Venedig, Ihre Petra Reski

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