Über den alltäglichen Wahnsinn und wie ich versuche, ihm zu entkommen
Ja, es hat sich für Giorgia Meloni gelohnt, zu Trump nach Mar-a-Lago geeilt zu sein: Die italienische Journalistin Cecilia Sala (um die es in Reskis Republik mehrmals (Si apre in una nuova finestra) ging) wurde am Mittwoch nach drei Wochen Haft in Teheran freigelassen. Für Giorgia Meloni war das innenpolitisch und außenpolitisch ein großer Erfolg: Jetzt wird sie als eine der wenigen anerkannt, die einen direkten Draht zum grenzwertigen zukünftigen amerikanischen Präsidenten hat und damit nicht mehr nur als Orban- sondern auch als Trump-Flüsterin gilt.
Trump war es wichtig, die Sache vor seinem Amtsantritt am 20. Januar über die Bühne zu bringen, über den Hintergrund des Deals ergehen sich die italienischen Medien in ihrer Spitzendisziplin, der dietrologia: der Kunst, etwas dahinter zu erkennen. Tatsächlich wird Mohammad Abedini, der Iraner, für den Cecilia Sala als Geisel genommen wurde, zumindest vorerst noch nicht freigelassen, aber auch nicht an die USA ausgeliefert - die ohnehin bislang keinen Auslieferungsantrag gestellt haben. Die USA hatten Abedini verhaften lassen, weil er von ihnen verdächtigt wird, Teheran Software für Dronen geliefert zu haben. Hintergrund für einen Deal (Si apre in una nuova finestra)könnte die wirtschaftliche Krise des Irans und die Spaltung des Regimes in Konservative und Reformer sein. Letzteren gegenüber wolle sich Italien nachsichtig zeigen, bis hin zu einer möglichen Einladung Melonis für den neuen iranischen Präsidenten Pezeshkian, der von iranischen Oppositionellen als “Pseudo-Reformer” betrachtet wird.
Außerdem sei die Familie von Cecilia Sala auch mit Elon Musk in Verbindung gewesen, wird von den italienischen Medien ventiliert (Si apre in una nuova finestra). Cecilias Mutter habe dem Milliardär in Aussicht gestellt, für ihn Spaghetti zuzubereiten, wenn ihre Tochter freikäme. Weshalb Musks italienischer Vertrauter und Mitarbeiter, der 30jährige ehemalige Hacker Andrea Stroppa auf Twitter nach Cecilias Freilassung dieses - mit KI fabrizierte - Foto veröffentlichte:
https://x.com/andst7/status/1877065802265854391 (Si apre in una nuova finestra)Ich meine: Geht’s noch? Für einen Teller Spaghetti befreit Musk mal schnell eine Geisel aus den Fängen der Mullahs? Wenn er schon mal dabei ist, warum kann er dann nicht auch Putin dazu bringen, seine Großrussland-Fantasien aufzugeben? Oder Atlantis wiederfinden, die Kinderarbeit abschaffen, den Hunger der Welt auch und die Klimakatastrophe abwenden? Ich weiß nicht, was abstoßender ist: Musks Omnipotenzdelirium oder zu beobachten, wie sich die Medien darin suhlen.
Nein, es ist nicht normal, wenn unsere Geschicke von einem durchgeknallten Realityshow-Darsteller, einem pöbelnden Multimilliardär und einem 30jährigen ehemaligen Hacker abhängen. (Der auch zwischen Musk und Meloni den Deal zum Einsatz seines Satellitennetzwerks Starlink (Si apre in una nuova finestra) in Italien eingefädelt haben soll, Deal, den Staatspräsident Mattarella kritisierte, worauf er von Meloni eilfertig dementiert (Si apre in una nuova finestra) wurde.)
Der einzige, der für den gegenwärtigen Wahnsinn die richtigen Worte fand, war Mattarella, als er in seiner Neujahrsansprache sagte: “Oligarchen erforschen die Tiefen, starten Satelliten, kontrollieren digitale Plattformen und bilden echte Gegenmächte. Sie wollen Protagonisten sein, die die Regeln diktieren, statt sich ihnen zu beugen. (…) Stellen wir uns vor, was es bedeutet hätte, wenn ihre Technologien einer der Diktaturen des 20. Jahrhunderts zur Verfügung gestanden hätten. (…) Nichts ist selbstverständlich, angefangen bei der Demokratie und der Freiheit, mitzuentscheiden, zu handeln, sich zu bewegen, sich einer übermächtigen Macht zu widersetzen.”
Danach hieß es: Ach ja, Mattarella. Kennt man ja.
A propos pöbeln: Dank Alice Weidels Fangirl-Talk mit Musk wissen wir immerhin, dass Herr Hitler ein kommunistischer Antisemit war. (Klar, und deshalb hat er auch die Kommunisten auch in KZ’s eingesperrt.) Weidels Aussage ist so schwachsinnig, dass selbst diejenigen, die im Geschichtsunterricht immer nur mit Papierkügelchen geschossen haben, zu lachen anfangen. Und deshalb kapiere ich auch nicht, wie sich Historiker aufraffen können, so einen Quatsch überhaupt ernsthaft zu kommentieren (Si apre in una nuova finestra). Andererseits: Wahrscheinlich sind alle tendenziell schon so verblödet, dass man das als ernsthafter Historiker tatsächlich richtigstellen muss (Si apre in una nuova finestra). Auch weil das von den Nazis praktizierte Prinzip “Links blinken und rechts abbiegen” ja nicht nur von der AfD selbst, sondern auch von Wagenknecht bedient wird.
Als Teenager, als wir im Geschichtsunterricht endlich die Jungsteinzeit, das Mittelalter, den Absolutismus, die französische Revolution, die Industrialisierung und den Ersten Weltkrieg hinter uns hatten und mehr oder weniger in der Gegenwart angekommen waren, im Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg und wir jubelnde Menschen im Hitler-Delirium sahen, dachte ich: Wie gut, dass wir das jetzt überwunden haben. Also diese Wahnvorstellungen, die Lügen, die Psychosen.
Und wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass das Weltgeschehen ein paar Jahrzehnte später von einem bankrotten Darsteller einer Casting-Sendung bestimmt würde, einem Typ, der zum auf den Sturm auf das Kapitol (Si apre in una nuova finestra) blies (fünf Tote) und die Welt zusammen mit einem weiteren Gestörten aufzumischt, den keiner gewählt hat, der aber der reichste Mann der Welt ist, das Ganze in einer Gegenwart, die im Wesentlichen aus von Allmachtsfantasien getriebenen Diktatoren (Putin, Assad, Kim Jong-un, Xi Jinping, Lukaschenko, etc. pp.) und regulär gewählten Irren wie Netanyahu besteht, dann hätte ich ihn ausgelacht, weil mein Geschichtsverständnis damals noch linear war: Die Geschichte schreitet voran. Und nicht zurück.
Was das für unsere kleine Stadt im Wasser bedeutet? Dass der Ausverkauf Venedigs weiter voranschreitet. In einer Stadt, in der es mehr Hotelbetten als Bewohner gibt, ist die Marschrichtung klar. Im Mai werden auf der Parkinsel Tronchetto, auf der bislang die homegrown Mafia herrscht, die mit ihren Ausflugsschiffen glänzende Geschäfte macht, zwei neue Hotels eröffnet: 1500 Betten mehr für Venedig, 1500 Menschen mehr in den Vaporetti. Ein Albtraum für all diejenigen, die in Venedig ein normales Leben führen wollen und Vaporetti nicht für einen Ausflug, sondern für ihr Alltagsleben nutzen.
Und weil das allein noch nicht reicht, soll auch der letzte Rest der Lagune zerstört werden, mit dem Aushub des 40 Meter schmalen Kanals Montiron: ein Projekt (Si apre in una nuova finestra), das vom Bürgermeister und seinen Buddys vorangetrieben und von allen venezianischen Bürgerinitiativen und der Opposition bekämpft wird (Italia Nostra hat sogar das Europäische Parlament (Si apre in una nuova finestra) eingeschaltet). In Montiron soll ein gigantischer Parkplatz für Autos und Busse entstehen, Anlegestellen für Ausflugsboote, damit der nördliche Teil der Lagune endlich auch für den Tagestourismus geeignet ist: In nur sieben Minuten nach Burano! Die neue Stadträtin für Mobilität (ihr Vorgänger kam wegen Korruption abhanden: Boraso wurde verhaftet (Si apre in una nuova finestra), als er versuchte, Beweismittel im Ofen seiner Mutter (!) zu verbrennen, jetzt soll es zum Prozess kommen) pries das Projekt mit den Worten, dass eine schnelle Verbindung zum Festland dazu dienen würde, die Inseln Burano und Mazzorbo wieder zu “bevölkern”: Ja, klar, aber nicht mit Bewohnern, sondern mit Tagestouristen.
Und weil mich das alles so deprimierte, wollte ich etwas lesen, das nicht von schikanierten, übergewichtigen Müttern oder sonstigen Opfern handelt, sondern mich - horribile dictu - zum Lachen bringt. Ganz schwierig. Zumindest, wenn man etwas auf Deutsch lesen will. Ich erinnerte mich daran, dass Freundinnen, deren literarisches Urteil ich schätze, mich vor Jahren auf den Schauspieler und Autor Joachim Meyerhoff (Si apre in una nuova finestra) aufmerksam gemacht haben - und ich mich, als der Meyerhoff-Hype ausbrach, dem naturgemäß verweigerte. Ich hatte auch mal eins seiner Bücher angefangen, kam aber nicht wirklich rein. Und jetzt komme ich nicht mehr raus. Ich habe gerade das über seine Zeit mit den Großeltern gelesen: “Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke” (Si apre in una nuova finestra) und habe seit “Schrecklich amüsant, aber in Zukunft ohne mich” (Si apre in una nuova finestra) von David Foster Wallace nicht mehr so beim Lesen gelacht. Ich saß im Zug von Venedig nach München und habe Berge von Taschentüchern verbraucht, um mir die Lachtränen abzuwischen. Jetzt spare ich mir seine anderen Bücher für die demnächst anstehenden Ferien auf. Wer einen Eindruck haben will (ich weiß, bin ziemlich late to the party, aber so ist das immer mit den Konvertiten, die wollen dann auch alle anderen bekehren), der kann sich diese sehr sehr lustige Lesung aus seinem neuen Buch (Si apre in una nuova finestra) anhören. Es hat mich schier zerrissen.
Herzliche Grüße, Ihre Petra Reski
Wenn Ihnen mein Newsletter gefällt, freue ich mich sehr über Weiterempfehlungen (Si apre in una nuova finestra) - und natürlich über neue Ehrenvenezianer!
Die Termine meiner Lesungen finden Sie hier (Si apre in una nuova finestra).
Insofern Sie keine Aversion gegen Social Media haben sollten, finden Sie mich auch auf Facebook (Si apre in una nuova finestra)und auf Instagram (Si apre in una nuova finestra).
Den Kontakt für Lesungen und Vorträge finden Sie hier (Si apre in una nuova finestra) und hier (Si apre in una nuova finestra).