Zeitschleifen
Nahostkonflikt/Reza Aslan Zelot/John Le Carré/Serie Transatlantik/Huhn mit Cognac
In der letzten Woche ging es erst um Donald Trump und dann, sich allmählich steigernd, um den Nahostkonflikt. Wir hatten eigentlich vor, eine Woche in Israel zu verbringen, aber die Lage wurde dann zu kompliziert und wir buchten um nach Frankreich. Dort ist es auch kompliziert, aber ohne Kriegsgefahr.
Es war wie eine Rückkehr zur nachrichtlichen Normalität, als wären jene Dauerbrenner, die im Schatten von Corona und Ukraine standen, nun zurückgekehrt, um die ihnen seit vielen Jahren gemäße Aufmerksamkeit zu beanspruchen.
Man konnte den Eindruck gewinnen, die rechte Regierung Israels und die Islamisten nutzen die hohen Feiertage – zeitgleich werden Ostern, Pessach und Ramadan begangen – und die vielen Menschen, die deswegen nach Jerusalem reisen, um sich in einer teuflischen und wohl eingeübten Dialektik gegenseitig hochzuschaukeln. Provokation und Reaktion, Eskalation und Appelle an ihre jeweiligen Unterstützerländer in der fragmentierten internationalen Staatengemeinschaft. Würden sich, denke ich manchmal, Extremisten in Iran, Fanatiker in arabischen Ländern, rechtsradikale Ideologen und Evangelikale in den USA aus dem Konflikt heraus halten, hätten die Nachbarn der winzigen Region längst schon einen alltäglichen Kompromiss gefunden. Aber so liegt einfach zu viel Macht, Geld und Aufmerksamkeit darin, den Konflikt mit dem vermeintlichen Erzfeind anzufachen und immer wieder zum Endkampf zu rufen, der bekanntlich eine kostspielige Angelegenheit ist.
Ich kann nicht neutral blieben. Ich bin solidarisch mit dem demokratischen Israel und seiner offenen Gesellschaft. Es gibt einfach diese besondere deutsche Verpflichtung und Schuld, eine historische Verbundenheit, die sich nicht allein nach den jeweiligen Mehrheiten in der Knesset richtet. Einmal durfte ich Martin Schulz, damals noch Präsident des Europäischen Parlaments durch die Region begleiten. Er war sicher kein Freund der rechten Regierung und hatte vor, eine diesbezüglich sehr kritische Rede zu halten. Er traf Präsident Abbas und tolle palästinensische NGOs, die von dem Horror der Siedlungspolitik, von Demütigungen und Todesfällen berichteten, alles wohl dokumentiert. Seine Mitarbeiter bestärkten Schulz, deutliche Worte zu finden. Dann besuchten wir die Gedenkstätte Yad Vashem. Schulz grub in zunehmendem Horror seine rechte Hand in meinen linken Oberarm und war, wie wir alle, völlig überwältigt vom Grauen des durch Deutsche verübten Massenmords. Dann als Deutscher auf Deutsch in Jerusalem vor dem Parlament Israel kritisieren? Schulz änderte seine Rede und das war auch gut so.
Bei aller gebotenen Zurückhaltung muss man genau hinsehen. Hamas ist die politische Lebensversicherung für das Netanyahu-Lager. Ihr mörderischer Terror rechtfertigt seine autoritären Exzesse und vice versa. Würden die Palästinenser den Terror sein lassen und dort weiter verhandeln, wo man schon mal war, wäre die israelische Rechte ohne Geschäftsmodell. Leider lese ich öfter Kritik an der israelischen Regierung als an der Hamas. Dabei ist ihre Bilanz niederschmetternd.
Das Geld, das in die Entwicklung Palästinas fließen sollte, gab sie aus, um Raketen und Waffen zu kaufen. Welche Zukunft hat die Jugend von Gaza? Niemand wird den Gaza-Streifen als einen besonders lebenswerten Ort bezeichnen wollen und die Verantwortung dafür trägt nicht allein Israel. Und die Hisbollah hat den Libanon in Grund und Boden gewirtschaftet. Fällt ihr Sponsor, das Regime in Teheran, dann ist auch ihre Zeit in Beirut abgelaufen.
Immer wenn ich nach Paris fahre, denke ich an all die Schlachten, die von den Spicherer Höhen bis Verdun gekämpft wurden, an Sedan und die Maginot-Linie, an Luftangriffe und zerstörte Dörfer, zerstörte Familien. Irgendwo bei Metz rannte mein französischer Großvater vor einem deutschen Flugzeug in Deckung und es war knapp. Dreißig Jahre später war er dauernd in Deutschland, kaufte sich Marzipankartoffeln und fragte Warum nicht gleich so?
Würde man endlich die Fragen der Religion und die Belange der Menschen auf Erden voneinander trennen, wäre Jerusalem eine kleine, pittoreske Stadt, über die sich viele Geschichten erzählen lassen. Von der Türkei bis zum Maghreb leben so viele kluge junge Leute, das östliche und südliche Mittelmeer ist eine der schönsten und wohlhabendsten Regionen der Welt. Eines Tages werden auch dort, wie in Europa, die Grenzen fallen und die Konflikte müssen von genervten SchülerInnen im Geschichtsunterricht studiert werden. Heute klingt es lächerlich. Aber nicht weniger als vor 1945 die Idee einer Europäischen Union ohne Binnengrenzen, mit gemeinsamer Währung.
Ich bin in einer atheistischen Familie aufgewachsen, dementsprechend dürftig seine meine Kenntnisse der Bibel. Besonders interessant finde ich, sich den Geschehnissen rund um das Leben Jesu mit den Mitteln der Sozialgeschichte zu nähern. Darum gefällt mir das Buch Zelot von Reza Aslan.
Es ist schon einige Jahre alt, ist aber immer noch eine gute Zusammenfassung dessen, was über die damalige Zeit in Palästina bekannt ist. Als amerikanischer Religionswissenschaftler aus einer iranischen Familie verfügt er über die nötige Distanz, sogar Humor, um den menschlichen Propheten Jesus angemessen zu würdigen. Dessen enorme Beliebtheit, so führt Aslan aus, ergab sich nicht in erster Linie aus den Wundern und Spontanheilungen, die er vollbringen konnte. Damals war das keine Seltenheit. Aber im Gegensatz zu seinen prophetischen Mitbewerbern nahm Jesus von Nazareth (so hieß er, daher kam er und den Geburtsort Bethlehem kann man getrost ins Reich der Legende verwiesen) kein Geld für seine Wunder. Alles gratis – schon bald war der junge Mann auf Schritt und Tritt von Menschen umringt. Ein Pazifist ist Aslans Jesus auch nicht und der eigentliche Star damals, so schreibt er, war ohnehin Johannes der Täufer – Zelot ist also nicht das beste Geschenk für sehr fromme ChristInnen. Aber man lernt viel.
Es ist nicht leicht, sich die Zeit der deutschen Besatzung Frankreichs vorzustellen. Die Franzosen selbst näherten sich dem Thema mit Louis de Funès- Komödien, die bis heute regelmäßig wiederholt werden. Es gab die Résistance und die Collaboration, aber wer hat was gemacht und wie waren die Kräfteverhältnisse? Fragen, die in Frankreich bis heute schwer debattiert werden.
Nun schaut eine neue Serie auf diese Zeit, auf die Rettungsversuche durch Varian Fry und sein Emergency Rescue Committee - Produziert wurde sie von dem Team, das schon die Miniserie Unorthodox gemacht hat. Ich habe sie noch nicht ganz gesehen, aber der Versuch ist aller Ehren wert. Und Moritz Bleibtreu als Walter Benjamin – hätte ich jetzt so auch nicht erwartet.
https://www.netflix.com/watch/81671981?trackId=255824129&tctx=0%2C0%2CNAPA%40%40%7C1079a634-052d-422a-a186-9c7ddfdc0eba-106630126_titles%2F1%2F%2Ftrans%2F0%2F0%2CNAPA%40%40%7C1079a634-052d-422a-a186-9c7ddfdc0eba-106630126_titles%2F1%2F%2Ftrans%2F0%2F0%2Cunknown%2C%2C1079a634-052d-422a-a186-9c7ddfdc0eba-106630126%7C1%2CtitlesResults%2C81473474%2CVideo%3A81473474%2CminiDpPlayButton (Si apre in una nuova finestra)Es gibt Themen, von denen man gar nicht weiß, dass man sich dafür interessiert. Beim Stöbern im Netz fand ich diesen Artikel von John Banville über die private Seite von John Le Carré, dessen Vater, seine Freundinnen und Freunde und die problematischen Seiten seiner Persönlichkeit. Es ist aber keine Abrechnung, man mag Le Carré danach noch lieber. Der Text ist geschützt, aber es lohnt sich, sich für die Lektüre kostenfrei zu registrieren.
https://www.nybooks.com/articles/2023/04/20/special-correspondent-the-secret-heart-john-le-carre/?utm_medium=email&utm_campaign=NYR%2004-06-23%20Banville%20OConnell%20Sinha%20Nussbaum%20Beal%20Wills&utm_content=NYR%2004-06-23%20Banville%20OConnell%20Sinha%20Nussbaum%20Beal%20Wills+CID_68d6b662c9c37aee1aa17dc72b252cb7&utm_source=Newsletter&utm_term=Special%20Correspondent (Si apre in una nuova finestra)Dieses Rezept folgt einem sehr angenehmen Prinzip, nämlich der Beschränkung auf wenige, dafür sehr gute Zutaten. In diesem Falle sind es Butter, Kräuter, Salz, etwas Cognac und ein gutes Huhn. Kein Hexenwerk, würde ich sagen und dennoch die Gewissheit, ein satisfaktionsfähiges Feiertagsessen servieren zu können.
https://www.nytimes.com/2023/04/06/dining/how-to-make-simple-roast-chicken-french.html?action=click&module=Well&pgtype=Homepage§ion=Food (Si apre in una nuova finestra)Kopf hoch,
ihr
Nils Minkmar
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PPS: Ich mache eine Woche Ferien, der nächste Newsletter kommt am 23. April 2023