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Komm in den totgesagten Park

Cliffhanger in Europa/Ach, Napoléon/Werner Herzog/ Elsässisches Huhn

Ich nenne diese Wochen der extrem kurzen Tage bis Weihnachten den Tunnel. Es ist eine gute Zeit für Kultur, denn kaum etwas lenkt ab von lesen, hören und schauen. Die Natur ruht, die Welt nicht.

Die ruhige Zeit ist paradoxerweise voller Termine. Alles soll noch erledigt werden, jeder möchte sich noch einmal treffen, als ginge bald die Welt unter. Es hat etwas vom Spannungsmoment am Ende einer Serienstaffel: Wie geht es danach im kommenden Jahr weiter?

Damit alle dran bleiben, spitzt sich die Lage an allen Fronten zu : Der Durchbruch in der Ukraine blieb aus, in Gaza und Israel ist noch längst kein Ausweg in Sicht, das Sterben geht weiter. Ohne den Iron Dome wäre Israel ein Trümmerfeld wie Aleppo, Mariupol und Grosny, ein jüdisches Massengrab am Mittelmeer und wir stünden beschämt da mit unserem Versprechen nie wieder. In den Vereinigten Staaten scheinen sich, angesichts des Wehklagens der Welt über die triste Aufstellung zur nächsten Präsidentschaftswahl, Nikki Haley bei den Republikanern und Gavin Newsom bei den Demokraten an der Seitenlinie aufzuwärmen.

Die größte Enttäuschung aber ist gegenwärtig Europa. Nicht die Menschen, nicht die EU, seien es Institutionen oder Parlament, sondern die deutsche und die französische Regierung, die seit dem 7. Oktober völlig den gemeinsamen Faden verloren haben. Sie haben ihn sowohl miteinander als auch je für sich verloren. Beide Fäden hängen aber zusammen. Die Zukunft der Ukraine und des Nahen Ostens wird, so wie es aussieht, durch allerlei internationale Akteure gestaltet – aber sicher nicht durch den deutsch-französischen Motor. Paris freut sich, einen Hubschrauberträger ins Mittelmeer entsenden zu können, der als Klinik zu Wasser fungieren soll. Aber er verfügt nur über wenige Betten, es ist reine Symbolik. Und Berlin beschließt das Jubiläumsjahr des Elyséevertrags mit der feierlichen Schließung dreier Goethe-Institute, allein Frankreich.

Politische Fantasie ist nirgends zu erkennen. Kein Friedensplan, keine Innovation, keine kommunikative Politik. Die maßgeblichen Akteurinnen und Akteure verschwinden im Kaninchenbau der Sonderthemen. Die großen Projekte unserer Zeit bleiben roh und unbearbeitet stehen wie die Containertürme in den Landschaften Anselm Kiefers.

Es gibt in Deutschland und in Frankreich Leute, die das Potenzial haben, wieder ambitionierte Politik zu machen und die Bürgerinnen und Bürger dafür gewinnen werden. In der berühmten zweiten Reihe sehe ich interessante und fähige Personen und hoffe, dass die sich durchsetzen. Aber es wird dauern. Die besten PolitikerInnen, fürchte ich, kommen noch. Sie machen heute ihren Adventskalender auf und gehen am Montag zur Schule.

Ich frage mich oft, wie große, langwierige und sehr arbeitsteilige Projekte manchmal so kläglich scheitern können. Hat denn niemand draufgeschaut und das Offensichtliche festgestellt? Wie ist es möglich, dass Tausende an einer Sache arbeiten, viele Millionen ausgeben und dennoch so gar nichts zustande bringen? Warum spart man an nichts, außer an Gedanken?

Dieser Frage kann man derzeit im Kino nachgehen, während sich das Desaster namens Napoléon entfaltet.

Ich hatte mich auf den Film gefreut. Napoléon ist Spagetti mit Tomatensoße der Geschichtsschreibung: Das kriegt eigentlich jeder hin. Allein sein Putsch, der 18. Brumaire: Bekanntlich erleidet er eine Art Nervenzusammenbruch und sein Bruder muss ihm helfen, die Sache durchziehen. Wie kann man diese Szene verfehlen? In Ridley Scotts Machwerk wird daraus ein Monty Python Sketch ohne Musik und Humor. Mehr noch: Der Hauptdarsteller Joaquin Phoenix ist zu alt für die Rolle. Sein Text im ganzen langen Film passt auf eine Din A4-Seite mit viel Weißraum, dabei war Napoléon ein belesener Mann, der permanent redete.

Er schoss nicht mit der Artillerie auf die Pyramiden von Gizeh. Wozu auch? Befürchtete er einen Angriff durch die Gebäude? Napoleon ist nicht Don Quichotte. Er kehrte auch nicht wegen Liebeskummer zurück nach Paris. So geht es die ganze Zeit. Wer die Geschichte nicht kennt, könnte meinen, Napoléon hätte aus Jux und Dollerei seine Kriege geführt und die Französische Revolution von 1789 habe darin bestanden, Marie Antoinette zu köpfen. Der Code Civil fehlt und seine Rache an England, das Memoirenbuch Memorial de Sainte Hélène, ebenso.

Der Film ist ein Triumph der Ignoranz. Man fühlt sich danach nicht wohl, sondern belästigt und fragt sich sorgenvoll, ob wir den Beginn einer dummen Zeit erleben.

Mein Sohn begleitete mich: Vorteil war, dass er alle Getränke und Snacks bekam, die er wollte. Nachteil: Auf dem Heimweg erduldete er einen ausführlichen Vortrag, darüber, wie es wirklich war.

Wer sich für das Thema interessiert, sollte zur Biografie von Johannes Willms greifen, gibt es auch als Taschenbuch:

https://www.buecher.de/shop/franzoesische-revolution/napoleon/willms-johannes/products_products/detail/prod_id/20845334/ (Si apre in una nuova finestra)

Anselm Kiefer, Wim Wenders, Peter Handke - Ich habe ein Faible weniger für die Werke der großen alten Männer, als für Filme über sie. Ich lasse sie mitlaufen, wenn ich aufräume oder Überweisungen mache. Es ist immer inspirierend, manchmal nur Kleinigkeiten. Herzog hat zum Beispiel die These, dass die Seele eines Menschen der Landschaft seiner Kindheit gleicht. Sein trockener Humor und altmodischer Existenzialismus entfalten einen singulären Charme, mit dem man gern Zeit verbringt. Besonders echt in English mit dem weltberühmten heavy Werner accent.

https://www.arte.tv/de/videos/100235-000-A/werner-herzog-radikaler-traeumer/ (Si apre in una nuova finestra)

Ich war schon sehr oft im Elsass und es ist mir nicht einmal gelungen, dort schlecht zu essen. Es ist wie ein Fluch: Bei allen Problemen, die die Region hat und ihren manchmal befremdlichen Seiten – von der Cafeteria bis zum Bistro wetteifern alle um das perfekte Mahl. Im weiten Rest von Frankreich oder Deutschland gerät diese Tradition und Kreativität in Vergessenheit, während sich alle auf ermüdende Weise an denselben asiatischen Sachen versuchen. Ich glaube, das Pendel wird zurückschwingen und bald geht es im Sinne von Nachhaltigkeit, geringen Transportwegen und saisonaler Rücksicht wieder mehr um elsässische Cuisine.

https://cuisine.journaldesfemmes.fr/idees-recettes/3145874-cyril-lignac-vous-emmene-en-alsace-avec-sa-recette-de-volaille-au-riseling-accompagnee-de-spatzles-parfaite-pour-un-repas-de-fetes/ (Si apre in una nuova finestra)

Kopf hoch,

ihr

Nils Minkmar

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