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Der Ausgang

Kant und die Wahlen/Kati Witt/Unselds Chroniken/Bocuse

Im Jahr 1962 veröffentlichte Luis Buñuel seinen Film “Der Würgeengel”. Er erzählt die Geschichte einer Party, deren Gäste länger als gewöhnlich bleiben. Das Personal geht schon wieder aus dem Haus, aber die Partygäste harren in einem Zimmer aus, das sie nicht verlassen. Tür und Fenster sind offen, aber niemand geht hindurch. Schaulustige kommen und sehen hinein, aber niemand traut sich raus, bis die Verzweiflung wächst. Ein junges Paar bringt sich um. Irgendwann realisieren alle, dass sie ja nur hinaus zu gehen brauchen, um ihr Problem zu lösen und spazieren ins Freie.

Der surrealistische Klassiker wirkt heute aktueller denn je. Viele Sorgen und Krisen, die die Tagespolitik bestimmen, sind mit pragmatischer Politik und etwas gutem Willen zu lösen. Aber es scheint, als sei die Angst vor der Freiheit stärker als das Interesse an Lösungen und Fortschritt. Extreme Parteien gedeihen nur in einem Klima der Hoffnungslosigkeit, für die es aber gar keine faktische Grundlage gibt. Also schaffen sie so ein Klima.

Rechtsradikale Parteien feierten Wahlerfolge in Thüringen, in Österreich und Südfrankreich – Gegenden von umwerfender Schönheit und Prosperität. Es gibt Gegenden, in denen vor jedem renovierten Haus zwei schicke Autos stehen und kein Migrant zu sehen ist (und selbst wenn) , in denen dennoch rechtsradikal gewählt wird. Alles, was die Gegenwart in Europa zu bieten hat, beispielsweise die medizinische Versorgung, das Bildungssystem - beides nahezu kostenfrei - der Rechtsstaat und das gute Leben – all das verblasst völlig im grellen Scheinwerfer der Angst vor der Freiheit. Die Klimakrise ist real, aber weltweit wird auch mehr unternommen denn je, um sie zu entschärfen. Kinder überleben ihre Eltern, niemand hungert, muss Gewalt dulden oder seine Persönlichkeit, seine sexuelle Orientierung verbergen. Junge Menschen haben Lebenschancen wie nie zuvor – aber all diese Errungenschaften der liberalen Demokratie werden am Wahltag vergessen, einfach unter wäre ja auch noch schöner verbucht!Dabei kann man nicht beides haben: die Putinsche Ordnung des Horrors und eine offene Gesellschaft, die wir hier genießen.

Warum folgt auf den extremistenfreundlichen Wahltag dann immer die WählerInnenschonung? Man könnte von Entmündigung sprechen: Wer AfD oder BSW wählt, der möchte sicher protestieren, der oder die meinen es ja gar nicht so. Keinesfalls sind die rechts oder links oder irgendwas.

Ich finde das falsch. Schon der alte Sokrates, eine Nervensäge vor dem Herrn, hielt eilige Athener auf dem Forum auf und fragte, was sie, die sich so viel um ihr Geld und ihre Geschäfte kümmern, eigentlich für die Republik tun? Heute kann man die gleichen Fragen stellen: Man kann nicht einerseits die Reisefreiheit, den stabilen Euro und die soliden öffentlichen Leistungen nutzen, und dann sein Kreuz für Leute machen, die das alles rasch abwickeln werden. Es gibt in unserer Gesellschaft keine mächtigere politische Handlung, als die Abgabe der Stimme.

Besonders fies finde ich den BSW. Nachdem ich die sehr empfehlenswerte Miniserie über diesen Club (Si apre in una nuova finestra)gesehen habe, plagten mich Albträume: Im Traum war die ganze Bundesrepublik so wie die Szenen mit Sahra W. Menschen, die mich sympathisch anlächeln und erklären, warum die Ukraine keine Waffen haben darf. Sie leben selbst in idyllischen Verhältnissen, genießen Ruhe und Sicherheit und tun alles, um die Ukrainerinnen und Ukrainer zu entwaffnen. Dann würden Öl und Gas wieder billiger, behaupten sie. Eine Partei, von Millionären gegründet, die einen Multimilliardär beim Massenmord an Zivilisten unterstützt - und sich dennoch links nennt.

Die Schlüsselszene kommt gleich in der zweiten Episode, als Sahra W. in einem Hotelzimmer sitzt und sich in “Sahra Wagenknecht” verwandelt- Eine Frau wird zur Marke. Dabei sieht sie immer zur Kamera, die aufnimmt, wie sie sich im Spiegel betrachtet. Es ist ein labyrinthisches Bild. Wagenknecht ist ein reines Medienprodukt. Politisch hat sie in all den Jahrzehnten, in denen sie die politische Bühne bespielte, nichts zustande gebracht, um das Leben der Menschen zu verbessern. Eine Partei der Manufactum-Kunden mit kalten Herzen, denen das Leid der anderen auf den Wecker geht.

Sicher, die weltpolitische Lage ist arg ernüchternd. Europa hat es nicht geschafft, die Biden -Jahre so zu nutzen, dass man hier unabhängig geworden wäre von amerikanischer Hilfe. Außenpolitisch hat die EU sogar an Einfluss verloren. Eine konsequente und nachdrückliche deutsch-französische Politik nach dem Überfall auf die Ukraine oder dem Massaker des 7. Oktobers in Israel hat es nicht gegeben, ein schweres Versäumnis.

Es mangelt auch an einer treffenden philosophischen Beschreibung der Lage. Man muss nicht jeden Unsinn von AfD und BSW, von Rassemblement National und US-Republikanern einzeln widerlegen, aber man muss auf die langen historischen Linien verweisen: Persönliche Entfaltung, Wohlstand und Solidarität gibt es nur auf der Basis des Muts zur Freiheit. Was je zur Wahl steht, sind nicht Personen, sondern Prinzipien: Parteien des Hasses und der Hoffnungslosigkeit gegen Parteien der Aufklärung. Und die ist bekanntlich ganz einfach ein Ausgang, nämlich, nach Kant, des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Rein oder raus?

Ich kann bekanntlich mit Sport nichts anfangen und wusste nicht viel über Kati Witt. Aber dieser Film, aus der Abteilung meiner Frau, hat mich begeistert. Die Figur der Jutta Müller allein ist von Dagmer Menzel so herausragend gespielt, dass sie den ganzen film lohnt. Eine Meditation über Medien, Sport und die DDR, wie sie wirklich war.

https://www.zdf.de/filme/herzkino/kati---eine-kuer-die-bleibt-100.html (Si apre in una nuova finestra)

In den letzten Wochen war viel vom Suhrkamp-Verlag zu lesen, seiner Tradition und den heutigen Problemen. Dabei verdient ein Angebot ganz besondere Beachtung: Suhrkamp hat die nahezu täglich verfassten Chroniken und Reiseberichte des legendären Verlegers Siegfried Unseld digital frei zugänglich gemacht. Auch wer sich nicht für deutsche Literaturgeschichte interessiert, wird das mit Interesse und Vergnügen lesen. Von Unseld kann man lernen, wie man engagiert und mit Genuss lebt und arbeitet. Er reist, schwimmt, charmiert und ackert, dass es eine Freude ist. Komplizierte Situationen, Streit und Engpässe – in den Chroniken kommt all das vor und man kann gut studieren, wie er sich um Lösungen bemüht hat. Eine spannende Lektüre!

https://www.siegfried-unseld-chronik.de/chronik/ (Si apre in una nuova finestra)

Frankreich findet aus der politischen Krise nicht heraus. Nun wird Premierminister Michel Barnier wagen, was kein linker Politiker sich mehr vorzuschlagen traut, er wird nämlich die Steuern für Reiche erhöhen. Ein großes Problem in Frankreich sind die hohen Preise. Das republikanische Glücksversprechen lässt sich nur realisieren, wenn das gute Leben auf Erden auch erschwinglich ist. Die großen Marken der französischen Nachkriegsgeschichte waren auch immer populär, preiswert und von bester Qualität: 2CV Autos, Clairefontaine-Papier und Opinel-Messer.

In diesem alten Video kann man klar sehen, dass auch der große Paul Bocuse betont hat, wie schlicht, erschwinglich und einfachen Wesens seine Gerichte sind. Seine Lieblingsmesser im Alltag waren übrigens Opinel.

Trüffel - kannst Du weglassen!

https://www.youtube.com/watch?v=PN6qOuG-LLk (Si apre in una nuova finestra)

Kopf hoch,

ihr

Nils Minkmar

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