Le Jour J
Wahltag in Frankreich/Peter Richters Roman "August"/Hans Janke
Neben der Stelle, an der ich dieses Bild aufgenommen habe, führt ein kleiner Weg an einigen Vorgärten entlang. Friedliche Provinzstimmung. Folgende Szene:
Meine Frau und ich unternehmen einen Abendspaziergang, als einige Meter vor uns zwei Hunde bellen und ein Mann ängstlich nach den Haltern ruft. Er steht auf dem öffentlichen Weg, die Hunde sind nicht angeleint. Er hat sein Fahrrad zwischen sich und die beiden Tiere gestellt, die sich bellend nähern. Nun Auftritt der Hundebesitzer, ein Rentner und seine Tochter, die ohne übertriebene Eile aus ihrem Garten anrücken. Die Hunde rennen um den fuchtelnden Mann herum, eine seltsame Szene. Was mir daran ungut auffiel: Die Halter haben sich nicht entschuldigt, weder sofort noch danach.
Dabei ist es in Frankreich so: Wenn ein Bus anfährt und eine Person gegen die andere purzelt – wird sich entschuldigt. Wenn Dich in der Brandung des Atlantiks die Welle gegen einen anderen Schwimmer spült – wird sich entschuldigt. Wenn ein Kind zur Toilette muss, entschuldigt es sich, bevor es nach dem Weg zum Klo fragt. Es wird sich absolut in jeder Lebenslage für alles entschuldigt. Das ist die Regel, das ist die Höflichkeit, das französische Grundgesetz seit dem 16.Jahrhundert. Aber hier nicht.
Die Szene ließ sich nur auf eine Art deuten: Der Mann wirkte kurz und deutlich gesagt wie "ein Araber" - ein Mann aus der Gegend, dessen Vorfahren vielleicht von daher kamen, der aber diesen Rassisten fremd genug erschien. Ihn stressten die beiden Hunde und die Halter fanden das gerade gut. Sie erklärten, die Hunde würden immer hier leben und bräuchten sich nicht umzustellen. Wären meine Frau und ich von den beiden Viechern angebellt worden, hätte es Entschuldigungen nur so gehagelt.
Die verwirrten Hunde waren schlecht erzogen, aber harmlos, ich konnte sie bald streicheln. Der Mann zog fluchend ab. Ich versuchte, den Haltern etwas Anstand einzureden und sie auf ihre Pflichten hinzuweisen, aber das Gift des Rassismus hatte seine Wirkung getan.
Heute ist in Frankreich der Tag der Entscheidung. Ganz Europa, das europäische Projekt ist der Einsatz dieser Wahl. Gewinnt Marine Le Pen passiert Folgendes: Großer nationaler Aufschrei, Massendemonstrationen und eine große politische Neuordnung. Die Parlamentswahlen im Sommer dürfte sie verlieren, müsste mit einer Regierung aus dem demokratischen und liberalen Lager regieren - die sogenannte Kohabitation. Doch die Außenpolitik ist einzig Sache der Präsidentin: Das Veto im UN-Sicherheitsrat, die französische Stimme in Europa - da kann ihr niemand reinreden. Frankreich, ganz Europa wäre gelähmt, es wäre für Putin die Rettung.
Soweit sollte es nicht kommen. Ich rechne mit einem deutlichen Sieg von Emmanuel Macron. Aber er hat mit dem Feuer gespielt, in dem er das alte Parteiensystem dekonstruiert hat, ohne ein neues zu etablieren. So kommt es nur auf ihn an, aber jede One Man Show muss ermüden.
Statt eines Wahlkampfes erlebte Frankeich ein Theater des Schreckens. Die übelsten rassistischen Parolen und rechten Wahnvorstellungen wurden weit verbreitet, erfuhren kaum Widerspruch. Das ganze linke Lager, in dem meine Familie sich seit schätzungsweise 1789 zu Hause fühlt, ist in tausend Teile zersplittert. Heute frage ich mich, ob es von der einstigen Bundesregierung so weise war, Macrons politische Initiativen für eine engere Union einfach so verhallen zu lassen. Dieses Projekt hätte Europa eine Dynamik, ein Thema gegeben. Es ist in der Geschichte wie auf einem Rad: Wenn man sich nicht bewegt, kippt man um.
Stattdessen wählte Berlin das weiter so, die permanente Gegenwart, proudly presented by Putin. Es war bequem, sich in "ihm zu täuschen" - in Wahrheit hielten sich viele für klüger als er. Aber auch die Bürgerinnen und Bürger - so viel gehört zur Wahrheit - wollten billiges Benzin, Weiter So und gute Stimmung mit Moskau. Alles vorbei.
In den Ferien holte ich etwas Lektüre nach, unter anderem diesen tollen Roman. Geschrieben hat ihn mein Kollege Peter Richter – ich würde ihn aber nicht preisen, wenn ich mich nicht wirklich amüsiert hätte.
Es geht um zwei deutsche Paare, die in den USA den Sommer verbringen und ist so komisch, so interessant und gut gelaunt geschrieben, dass man gar nicht mehr davon loskommt. Die Figuren werden mit spöttischem Blick, aber sehr genau beschrieben. Es handelt von jenen Mikrodramen, die alle guten Ferien prägen, ist daneben aber auch eine komische Zeitkritik und gehört daher in jede sommerliche Reisetasche. Wenn man im Sommer at home bleibt und sich in erfrischender Schadenfreude ergehen möchte, passt es aber auch sehr gut! Nun warte ich auf die Verfilmung!
Er war von Anfang an Abonnent dieses Newsletters. Wegen seiner religiösen Kindheit bemerkte er aber, der siebte Tag sei für ihn "immer noch der Tag des Herrn!" und lachte. Er schrieb mir zu jeder Ausgabe. Statt hier über die Mitgliedfunktion etwas zu bezahlen, hatte er sich überlegt, mir Champagner zukommen zu lassen. Er wohnte direkt gegenüber. Unser Sohn holte zwei Flaschen bei ihm ab, wurde von ihm mit Cola bewirtet wie ein König.
Nun ist Hans Janke gestorben.
Das erste Mal sah ich ihn, als ich Dreißig war und für Roger Willemsen arbeitete. Der hatte einen lieben, aber etwas skurrilen Geschäftsführer, der für die Willemsen-Firma "Filmprojekte entwickelte". Dieser Kollege zeigte mir Janke und sagte das sei der mächtige Mann vom ZDF - aber immer wenn er sich wegen der (wirklich sehr wirren)Filmprojekte nähere, renne Janke vor ihm weg. Da dachte ich schon, dass es sich bei diesem Janke um einen vernünftigen Mann handeln muss. Seit ich Hans Janke bald darauf besser kennen lernen durfte, wurde mein Leben immer besser.
Seit seinem Tod höre ich von so vielen Menschen, deren Leben er begleitet hat. Nicht als Familienmitglied, nicht als Freund, nicht als Kollege - als etwas eigenes. Als guter Geist? Es gibt keine Kategorie für solche Menschen.
Irgendwann werden wir seinen Champagner öffnen und auf ihn anstoßen, wo immer er sein mag.
Kopf hoch,
ihr
Nils Minkmar
PS: Statt Champagner geht es hier einfacher