NEUNERs #006
Eigentlich sollte die politische Abteilung viel kürzer werden in dieser Ausgabe.
Eigentlich hätte ich das so nicht für möglich gehalten.
Eigentlich sollte sich hier alles ums Flanieren, um Psychogeografie und „Alleinessengehen“ drehen. Verschieben wir das.
Die dieswöchigen Moves des Friedrich Merz waren wohl vor allem dadurch motiviert, seine Partei wenige Wochen vor dem Wahltag irgendwie aus dem 30 Prozent Deadlock zu holen. Er hat damit jedoch den Verdacht erzeugt, vielleicht nur ein „halbloyaler Demokrat“ (Albrecht von Lucke nach Ziblatt und Levitsky (Si apre in una nuova finestra)) zu sein. Diesem Typus sei der Erfolg wichtiger als die unbeschadete Demokratie und er mache es am Ende doch mit den Rechtspopulisten. Siehe Österreich. Vor allem Kontrahent Olaf Scholz dürfte sein Glück kaum fassen können. Jetzt hat er ein Thema. Jetzt doch kein Wirtschaftswahlkampf. Statt der asymmetrischen Demobilisierung (Si apre in una nuova finestra) einer „konsequent zentrischen (Si apre in una nuova finestra)“ Strategie bei Angela Merkel gibt es also jede Menge „asymmetrische Mobilisierung“ (von Lucke). Schräg.

Ich habe mir die Debatten am Mittwoch und am Freitag angeschaut in voller Länge. Ich glaube nicht und möchte auch nicht glauben, dass es Merz geholfen hat. „All in (Si apre in una nuova finestra)“ und verzockt.
Wer dazu wirklich gute Analysen möchte und jeweils rund 45 Minuten Zeit hat für zwei Podcastfolgen:
Studio 9 (Si apre in una nuova finestra) vom 31.01. mit Korbinian Frenzel und Albrecht von Lucke
ApoFika Presseclub (Si apre in una nuova finestra) vom 01.02. mit Dagmar Rosenfeld (The Pioneer), Veit Medick (Stern), Iris Sayram (ARD-Hauptstadtstudio) und Markus Feldenkirchen (Der Spiegel)
Für Schadenfreude ist kein Platz. Die tiefe Beunruhigung rührt nicht nur vom „unanständigen“ (Sarah Tacke bei Illner (Si apre in una nuova finestra)) Handeln der letzten Tage her.
„Ich sehe mit großem Bedauern, dass sich die demokratischen Parteien hier gegenseitig Lügen vorwerfen. Die gegenseitige Diskreditierung freut nur die Feinde unserer Demokratie. Sie feixen und freuen sich, dass man ihnen die Tür aufhält. Wir alle werden die bitteren Früchte dieser Debatte ernten müssen.“
Erhard Grundl, MdB
Die Woche hinterlässt eine Loose-loose-Situation. Es war unerträglich. Und angesichts der Themen auch furchtbar unterkomplex. Die Reden und Auftritte im Bundestag waren „vor Taktik triefend“ (Markus Feldenkirchen). Unerheblich, ob aus tiefem Ernst oder für die Inszenierung: keine*r hat einen Ausstieg gefunden. Alle sind in ihrem jeweiligen Muster, ihrer Erregung und in ihrer Empörung geblieben, haben sich sogar im Plenum (wie der unsäglich schreiende Alexander Dobrindt) oder davor in der Fraktionssitzung noch weiter in Rage gepushed mit Auszügen aus Polizeiberichten.
Am Ende war es die AfD, die die Vogelperspektive gehijaked und ebenso kalkuliert wie verstörend die Vernunft markiert hat: Schaut mal, die unzuverlässigen „Altparteien“ haben wieder bewiesen, dass sie allesamt unfähig sind. Es war also kein Glanzstück der Demokratie, sondern eher ein denkwürdiges Spiel mit ihr. Das mag irgendwie spannend gewesen sein. Aber anstatt Probleme und Problemwahrnehmung aus der „Mitte“ heraus zu adressieren, ist der AfD eine weitere Etappe in ihrer Strategie 2029 (Si apre in una nuova finestra) gelungen. Offenbar der einzige Masterplan derzeit. Übel.
Gleichzeitig bin ich glühender Anhänger der Demokratie und des Parlaments. Das ist mir beim Schauen auch bewusst geworden. Ich in dankbar, dass wir diese Institution haben. Ich bin dankbar, dass wir die Auseinandersetzung sehen dürfen, dass wir uns auf Regeln verlassen können. Egal wie unangenehm die Inhalte und Debatten auch sein mögen, oder auch wie langweilig und quälend. Ich habe mich zumindest Mal wieder als Zuschauer für eine Plenarsitzung angemeldet. Das geht (Si apre in una nuova finestra) ganz einfach.
Empfehlungen
Hier drei astreine Restaurants mit chinesischer Küche im Westen, Osten und Süden der Republik. Ich bin diesbezüglich eher Fan von Neonlicht und Blechnäpfen. Ganz ohne „Séparée mit Kerzenlicht“.
Yangda (Si apre in una nuova finestra) in Karlsruhe
Das Restaurant liegt etwas versteckt im Zentrum. Hier gehen in Karlsruhe Menschen hin, die chinesisch essen wollen. Ganz ohne Schnickschnack.

Soweit in den Süden Berlins kommt man eigentlich nur, wenn man dort wohnt oder mal anderweitig was zu tun hat. Es lohnt sich. Sehr klein. Sehr fein. Aber wirklich null schick.

Fuyuan (Si apre in una nuova finestra) in München
Für mich der Top-Tipp in München wenn es um chinesisches Essen mit klarer Linie geht. Drei Vorspeisen sind übrigens auch ein Dinner.

1:1
Hier noch zwei Bücher von Ulrike Edschmid.
Eines habe ich vor Jahren in einem Zug gelesen und war sehr begeistert:
Das Verschwinden des Philip S. (Si apre in una nuova finestra)
„Im Mai 1975 stirbt Philip S. beim Schusswechsel mit der Polizei auf einem Kölner Parkplatz. Fast vierzig Jahre später geht eine Frau auf die Suche nach den wenigen Spuren, die er hinterlassen hat, und kehrt zurück in die dramatischste Phase ihres Lebens. Philip S. war ihr Gefährte: ein sensibler, eigenwilliger junger Mensch, der 1967 aus Zürich nach Berlin kam, sich liebevoll um ihr Kind kümmerte und seinen ersten experimentellen Film drehte, während andere gegen den Vietnamkrieg demonstrierten und Institute besetzten.“ (Klappentext)
Das andere habe ich gerade erst auf meine Liste geschrieben, aber noch nicht gelesen:
Die letzte Patientin (Si apre in una nuova finestra)
„Rauchend saß sie am Küchentisch, und ein "lasziver Lebensüberdruss, wie man ihn aus Filmen der Nouvelle Vague kennt" umgab sie. Sie studierte Geschichte und Französisch. Als sie sich in einen spanischen Anarchisten verliebte, folgte sie ihm nach Barcelona. Nach jahrelangen Reisen durch die halbe Welt und unzähligen "verzweifelten Liebesversuchen", wendet sie sich der Traumaforschung zu. Eines Tages kommt eine junge Frau zu ihr in die Praxis, die nicht spricht. Erst nach Jahren werden die ersten Wörter aus ihr herausbrechen. Ist sie Opfer eines realen oder eines eingebildeten Verbrechens?“ (Klappentext)
Zeit-Autorin Katharina Teutsch hat Edschmid 2024 besucht. Ein Text über ihr Leben, Schreiben und Werk.
https://www.zeit.de/2024/43/ulrike-edschmid-berlin-inspiration-moderne-zuwendung?freebie=137f85fc (Si apre in una nuova finestra)Outro
Danke für den Abstieg.
| NEUNERs | kommt unabhängig, unregelmäßig und unberechenbar. Bestellen kann man diesen Newsletter kostenlos bei steady.