Unperfekt

Worüber ich schreiben würde, wenn ich keine Angst hätte

Ich wollte diese Woche eigentlich was schreiben über toxische Weiblichkeit, weil ich das Buch Toxische Weiblichkeit von Sophia Fritz gelesen habe, und es mir in der ganzen Feminismus-Debatte um zu schmale Unterhosen und Gender Care-Gap und Dating-Gap und Orgasm-Gap und all den anderen Gaps in letzter Zeit zunehmend gefehlt hat, dass wir zur Abwechslung auch mal über unsere eigene Verantwortung reden und nicht immer nur darüber, auf wie viele Arten wir zu Opfern gemacht werden.

Ich wollte vielleicht auch was schreiben über Klassenkampf, weil ich das Buch Scheiß auf Selflove, gib mir Klassenkampf von Jean-Philippe Kindler gelesen habe, und mir dieses Buch fast noch mehr gefehlt hat, in all den privilegierten Debatten über Achtsamkeit und gendersensible Sprache, dass endlich mal jemand Kluges daran erinnert, was Links sein ursprünglich mal bedeutet hat — nämlich soziale Gerechtigkeit, Antikapitalismus und eine selbstbestimmte, geeinte Arbeiterklasse, und nicht humorlose Akademikerkids, die andere, weniger gebildete, weniger privilegierte Leute permanent dafür maßregeln, wie sie reden, was sie schreiben und was sie essen.

Aber ich bin verknallt und das macht selbstbezogen. 

In meinem Leben gibt es gerade keinen Care-Gap und keinen Pay-Gap und definitiv keinen Orgasm-Gap. Eigentlich will ich nur Tagebuch schreiben, darüber reden, wie verliebt ich bin, und warum, und in was genau. 

Ich sehne mich nach dieser Leichtigkeit, dieser Freiheit zu experimentieren, zu spielen, die ich hatte, als ich noch nicht über meine Persona oder mein Branding nachgedacht habe. Als das ganze noch nichts können musste. 

Ich würde gerne über diesen Sommer schreiben, darüber, wie ich neulich mit dem Boyfriend eine sterbende Ratte gesehen habe, und wie seltsam ergreifend das war. Darüber, wie die letzten drei Monate sich so kurz und so unendlich lang gleichzeitig anfühlen.