Feinere Nuancen: Andrea Hermenau
Songs und Klavierstücke zwischen Jazz und Folk, zarter Gesang und filigrane Harmonien: In den vergangenen Jahren hat sich Andrea Hermenau ihrem Stil immer mehr angenähert. Entfaltungsräume für individuelle Ideen und das Klingenlassen leiser Töne sind ihr dabei genauso ein Anliegen wie die kreative Ruhe ihrer Kompositionsorte.
Text und Fotos: Christina M. Bauer
Zartheit und Jazz, passt das zusammen? Das kommt wohl darauf an. Wenn man die Musik von Andrea Hermenau hört, wird man feststellen, dass das zusammenpassen kann. Sie hat als Jugendliche angefangen, erste eigene Stücke zu Papier zu bringen. Bis sie sich für ein Leben als Berufsmusikerin entschied und schließlich ihre eigenen Kompositionen auf die Bühne brachte, dauerte es allerdings noch einige Jahre. Seit geraumer Zeit lebt die inzwischen etablierte Jazzerin im Münchner Stadtteil Giesing. Dort gibt sie an einem kühlen Februartag Einblicke in ihren Weg mit der Musik. "Mich interessieren eher die feineren Nuancen von Dingen", stellt Hermenau bei einer Tasse Tee fest. "Ich bin keine expressive Hau-Drauf-Person, das war ich nie. Da ist schon eine Korrelation zwischen der Musik und dem, wie ich bin. Es geht darum, herauszufinden, wo ist denn Stärke in Sensibilität oder in einem zarten Herangehen."

Foto 1: Andrea Hermenau zu Hause am Klavier
Was ihrer Idee von sanglichem, modernen Jazz bisher am nächsten kommt, dürfte wohl ihr Duo mit Saxofonistin Carolyn Breuer sein. Oft konzertieren die Musikerinnen zu zweit, manchmal erweitern sie ihre Besetzung mit Bassist Henning Sieverts und Schlagzeuger Christian Lettner zu einem Quartett. Stücke komponieren für ein solches Ensemble ist eine persönliche, individuelle Angelegenheit. Den Kopf freihaben möchte Hermenau dafür dann auch, und deswegen hat sie ihren ganz eigenen, ruhigen Ort. Der ist nicht weit entfernt von ihrem Zuhause im derzeit auf seine Modernisierung wartenden und derweil für variierende kulturelle Vorhaben verwendeten Kulturzentrum Gasteig. Ein kleiner Raum mit Klavier wartet dort auf die Künstlerin. Da kann sie an Ideen feilen und Zeit für Fingerübungen an der Klaviatur bleibt ebenfalls. Wenigstens an drei Tagen in der Woche möchte sie diese Gelegenheit nutzen, was meistens gelingt, aber nicht immer. "Das will in den Alltag integriert sein, dass ich sage, da ist frei und ich habe drei, vier Stunden, um dort zu sein", berichtet sie.
Die Jazzmusikerin verwendet moderne Notationsprogramme, aber meistens nicht gleich am Anfang eines neuen Stücks: "Normalerweise schreibe ich die Dinge immer noch auf. Ein paar Mal war es so, dass ich sie am Klavier gefunden und gleich eingespielt habe. Ich brauche schon diesen haptischen Zwischenschritt." Ein Stift, Papier, für Hermenau sind das sogar in der heutigen Zeit wertvolle Arbeitsmittel für Komponierende: "Ich habe das Gefühl, die Wege dessen, wie etwas entsteht, sind andere als wenn man nur am Computer arbeitet." Zeit allein verbringen, um über Dinge zu reflektieren, ist seit jeher ein wesentlicher Teil ihres Lebens. So erstaunt es nicht, dass sie sich zu ruhigen, grünen Orten hingezogen fühlt, für sie der Perlacher Forst ein attraktiverer Ort ist als das oft überlaufene Isarufer.

Foto 2: Die Musikerin mit ihrer heimischen Musiksammlung
Es mag etwas damit zu tun haben, dass sie im beschaulichen Ort Holzkirchen südlich von München aufgewachsen ist. Dort war sie von Musik und Kunst umgeben, seit sie sich erinnern kann. Ihr Vater spielte Klavier und gestaltete Kunstwerke, die Mutter spielte Gitarre, sang und malte. So wurde die Freizeit neben den Berufen fast durchgehend kreativ verwendet. Konzerte und Ausstellungen lockten die kleine Familie des Öfteren nach Norden in die Stadt. Ob angesichts der künstlerischen Umgebung zu Hause die Malerei ihr Beruf hätte werden können? Das nicht, so Hermenau: "Für mich war klar, ich brauche mein eigenes Feld." Nun musizierten zwar beide Eltern, das aber in einem Stil, von dem sich die Tochter bereits in jungen Jahren nachdrücklich abgrenzte. "Ich habe mit dem traditionellen Jazz revolutioniert gegen sie, weil sie immer Free Jazz gespielt haben", erinnert sie sich. Als Jugendliche machte sie sich manchmal eilig aus dem Staub, wenn mal wieder die zehnköpfige Free Jazz Band der Eltern zum Proben antrat. Ihre musikalischen Vorbilder hatten mit deren Stil wenig zu tun, ihr Idol war bald Bill Evans, sein Umgang mit Sound und Harmonik. Die aufgeschlossene, künstlerisch interessierte Sichtweise der Eltern allerdings sorgte dafür, dass Hermenau für ihren musikalischen Weg ideale Voraussetzungen erhielt. Das Klavier, an dem sie damals ihre ersten Stücke übte, hat sie heute zu Hause stehen. Jetzt lernen damit ihre Klavierschüler. Ab April sollen es erstmals Studierende sein, die sie unterrichtet, als Dozentin an der Hochschule für Musik und Theater. Ihre Eltern musizieren bis heute selbst, spielen im Ensemble improvisierte Musik, wenn auch um einiges gemäßigter als früher.

Foto 3: An diesem Klavier unterrichtet Hermenau heute meist ihre Klavierschüler
Nach einigen frühen Bühnenerfahrungen und ersten Jugendbands, in denen sie alles Mögliche ausprobierte, studierte Hermenau in München und Dresden Jazzklavier, Gesang und Komposition. Der Zufall wollte es, dass sie von Lisa Wahlandt nicht nur Gesang lernte, sondern sich bald mit ihr in einem originellen Trio mit Bassistin Christiane Öttl wiederfand. Nicht weniger als ein Jahrzehnt waren sie als "Die drei Damen" zusammen auf Tour, mit einem Repertoire zwischen Jazz, Singer-Songwriter und kabarettistischen Einfärbungen. Nach zehn Jahren war die Geschichte des Trios zu Ende, die Möglichkeiten ausgeschöpft und Hermenau wandte sich einer Musik zu, die mehr ihren eigenen Ideen entspricht. Im Trio von Lisa Wahlandt oder im Ensemble von Christiane Öttl spielt sie aber weiterhin gern mit. Die Wertschätzung unter Musikerinnen ist dort gegeben, wie sie beschreibt: "Da ist es auf jeden Fall so, dass man sich gegenseitig unterstützt." Also Friede, Freude, Eierkuchen? Das nun nicht, wie Hermenau bekennt: "Es kracht natürlich auch mal, aber wir lösen das, das ist das Gute." Sie macht gern Musik mit Frauen. Gegenüber der Kooperation mit Männern sieht sie gleichermaßen Vorteile und Nachteile, verzichten würde sie auf keine der Varianten. In ihrem frühen Quartett Etna und anderen Ensembles spielte sie mit Musikern der Szene. Ihr neuestes Trio HerCuLe gestaltet sie mit Bassist Peter Cudek und Schlagzeuger Christian Lettner.
Im Interview zum Nachhören spricht Andrea Hermenau über ihre künstlerischen Anfänge, ihren langen Weg zur eigenen Stimme, das Ineinandergreifen von Persönlichem und Musik, und erklärt, warum sie trotz entsprechender Angebote kein Teenie-Popstar werden wollte.