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Grünes Glück

Von Hasnain Kazim - Grünkohl / Lesen im Norden / USAID / Nervige Technik

Liebe Leserin, lieber Leser,

ein Leser namens Johannes schreibt mir, die “Erbaulichen Unterredungen” vom vergangenen Sonntag seien thematisch “so düster” gewesen. Das stimmt, die vergangene Woche war ja auch düster. Politiker aller (!) demokratischen Parteien haben sich nicht mit Ruhm bekleckert. Johannes schreibt: “Ich fände es schön, wenn Sie sich mehr den schönen Dingen des Lebens zuwenden würden, schließlich heißt es ja ‘Erbauliche Unterredungen’.”

Johannes hat völlig recht. Diese Woche muss, als Ausgleich, mehr Erbauliches her!

Bitteschön:

Grünes Glück (Symbolbild).

Diese Woche habe ich zu Hause in Wien Grünkohl gekocht. Grünkohl in Wien, das ist wie Salman Rushdie lesen in Teheran oder einen guten Single Malt genießen in Islamabad. Okay, ich übertreibe ein wenig, Grünkohl ist in Wien nicht verboten, insofern hinkt der Vergleich, so wie die meisten Vergleiche hinken. Aber auf jeden Fall ist Grünkohl schwer zu bekommen in Wien. Auf dem Naschmarkt gibt es ihn für die “Cale Smoothies”-Fraktion am Strunk zu kaufen, völlig überteuert, aber die “Cale Smoothies”-Fraktion hat’s ja. Es gibt wohl auch ein Restaurant im ersten Bezirk, das “ganz ordentlichen” Grünkohl anbietet, wie mir in Wien lebende deutsche Freunde kürzlich sagten, aber ich habe das noch nicht getestet. Wahrscheinlich verkehren dort nur wortkarge, mürrische, im Wiener Exil lebende Norddeutsche.

Ich importiere Grünkohl nach Österreich. Oft nehme ich, wenn ich mal in Norddeutschland zu Besuch bin, einen Vorrat mit. Und Kohlwürste. Mehr braucht man nicht. Kasseler höchstens fürs Aroma, aber das muss von mir aus nicht sein. Immerhin Kartoffeln, die man hier “Erdäpfel” nennt, gibt es in Wien, die man kandieren kann. Zu Grünkohl nur kandierte Kartoffeln!

Grünkohl, das ist norddeutsches Soul Food.

Apropos grünes Glück und Soul Food: In den vergangenen Wochen und Tagen ließen sich sowohl Markus Söder (CSU) als auch Friedrich Merz (CDU) bei McDonald’s ablichten. Die frühere Grünen-Chefin Ricarda Lang, wegen ihrer Figur oft Anfeindungen und Hass ausgesetzt, schreibt dazu auf “X”: “Jetzt mal ehrlich, haben @_FriedrichMerz und @Markus_Soeder eine Werbepartnerschaft mit @McDonaldsDENews? Und vor allem: warum wurde mir keine angeboten?” Man mag von der Politik der Grünen halten, was man will, aber diese Selbstironie, diesen Witz, dieses Auch-mal-über-sich-selbst-lachen-können finde ich fantastisch. Wir brauchen viel mehr davon.

Zum Lesen im Norden

Diese Woche bin ich dann tatsächlich nach Norddeutschland gereist, um im Literaturhaus Hamburg aus meinem Buch “Deutschlandtour” zu lesen. Erfreulicherweise hat Dora Heldt die Lesung moderiert. Ich kenne Dora schon seit vielen Jahren, sie hat damals noch als Verlagsvertreterin bei dtv gearbeitet, als ich dort 2009 mein erstes Buch, “Grünkohl und Curry”, veröffentlichte. Sie ist eine erfolgreiche Schriftstellerin, und wir haben nun schon mehrere Bühnengespräche gemeinsam gemacht, außerdem einen Podcast. (Si apre in una nuova finestra)

Am Tag darauf habe ich an meiner alten Schule lesen dürfen, am Vincent-Lübeck-Gymnasium in Stade. Zwei Lesungen sogar, einmal dritte und vierte Stunde für die Klassenstufe 11, dann fünfte und sechste Stunde für die Klassenstufe 12.

Ein paar Schüler haben mir von Rassismuserfahrungen berichtet. Ein paar andere sagten, die “AfD” bekomme auch unter jungen Menschen erschreckend viel Zuspruch. Das, sagten sie, liege zum einen daran, dass manche auf diese Weise “die Alten” ärgern wollen würden und es eine Form von Protest sei, zum anderen daran, dass diese Partei in den “sozialen” Medien, vor allem auf TikTok, stark sei.

Ich glaube, Medienkompetenz ist eine unglaublich wichtige Sache. Und dass jeder und jede sich nur noch in irgendwelchen seltsamen Foren und Kanälen informiert und jeder Unsinn als “Wahrheit” ausgegeben wird, ist ebenso problematisch wie die Tatsache, dass viel zu viele Leute ständig in ihre blöden Handys starren und dabei das Leben um sie herum verpassen.

Erfreulich jedoch ist, dass zwei Hinterlassenschaften meines Abijahrgangs noch an der Schule zu finden sind: ein Kasten mit unseren Nasen, die wir damals aus Gips gegossen haben…

Meine Gipsnase.

…sowie ein Roy-Lichtenstein-artiges Bild des Komponisten Vincent Lübeck, der Namensgeber unserer Schule ist.

Vincent und ich.

Entwicklungshilfe und Moral

US-Präsident Trump und sein Gehilfe Musk - oder was es andersherum? - haben die US-amerikanische Entwicklungshilfe USAID zusammengestrichen. Die Kommentierung zumindest in der deutschen Presse ist ziemlich einhellig: kritisch bis empört.

Kritikwürdig finde ich zunächst vor allem die Art und Weise, wie Trump (und Musk) vorgegangen sind: unter Umgehung des Kongresses. Und mit Drohungen gegenüber Vertretern von USAID.

Aber dass sich in der (deutschen) Kommentierung nichts darüber findet, wie problematisch und oft unwirksam Entwicklungshilfe à la USAID eben auch ist, ist Teil des Problems. Wieso zum Beispiel der Bau von Schulen in einem Land wie Pakistan gefördert und von fremden Steuerzahlern finanziert werden muss, wo sich das 240-Millionen-Einwohner-Land ein umfassendes Atomwaffenprogramm und eine riesige Armee leisten kann, ist mir ein Rätsel.

Mir fällt die Leiterin von USAID in einem Land ein - ihr Name und das Land sollen hier ungenannt bleiben, ich möchte sie an dieser Stelle nicht in die Pfanne hauen -, die ich mal besuchte. Sie lebte in einer Villa, in der auch ein Präsident oder ein König hätte leben können. Sie erzählte, dass sie dafür 7500 Dollar Monatsmiete zahlen würde. Natürlich aus ihrem Entwicklungshilfebudget. Fast konnte ich sie verstehen, denn es war klar: Sie hatte ein riesiges Budget, das Geld musste ausgegeben werden, und viele von den Förderungen verschwanden ohnehin in dunklen Kanälen und in den Taschen von korrupten Politikern. Dann doch lieber ein fetter Palast, in dem sie selbst leben konnte…

Dass das fast komplette Streichen von Entwicklungshilfe kritikwürdig ist - d’accord. Aber dass es doch eine Menge Missstände gibt und dass man oft, sehr oft die Wirksamkeit solcher Hilfe infrage stellen kann, ist eben auch wahr. Sollte vielleicht auch erwähnt werden, wenn man glaubwürdig kritisieren möchte.

Aber ich lese nur: Das Vorgehen Trumps und Musks sei “moralisch falsch”. Ja, na ja.

Immer diese Technik!

Ich bin definitiv kein Technikfeind. Aber auch kein Technikfreund. Technik muss dem Menschen dienen. Sie darf kein Selbstzweck sein. Ich habe zum Beispiel festgestellt, dass ich mein Tablet kaum noch nutze und das E-Book-Lesegerät auch nicht, also habe ich beides abgeschafft. Weniger ist mehr. Und echte Bücher sind sowieso viel besser.

Diese Woche habe ich die “Bundesmuseen Card” bestellt, eine Jahreskarte für 99 Euro, mit der man alle vom Bund betriebenen Museen in Österreich besuchen kann, inklusive Kunsthistorisches Museum, Albertina und Belvedere. Bei der Onlinebestellung wählte ich “Sofortüberweisung” als Zahlungsmethode. Und was passierte? Das Geld wurde von meinem Konto abgebucht, aber die Museumswebseite zeigte mir an: “Die Überweisung konnte nicht durchgeführt werden.”

Das Museum teilte mir anschließend am Telefon mit, dieses Problem tauche häufiger auf. Ähm… Warum bietet man diese Bezahlform dann noch an? Die digitale Jahreskarte habe ich also nicht erhalten, muss jetzt aber klären, wo das Geld ist und wie es zurückkommt beziehungsweise wie ich doch noch die Jahreskarte erhalte.

Wenn deshalb jemand nach “mehr Digitalisierung” ruft, stehen mir immer die Haare zu Berge. Ich denke dann: Lass das mal lieber sein, du kriegst das ja eh nicht richtig hin. Und nur halb funktionierende Digitalisierung ist furchtbar. Nicht selten ist die unüberlegt vorgenommene Digitalisierung eine Verschlimmbesserung.

Ein Klassiker der Technikkritik ist übrigens der Essay “Why I am Not Going to Buy a Computer” von Wendell Berry, der 1987 in “Harper’s Magazine” erschien. Berry, ein Landwirt und Schriftsteller und inzwischen 90 Jahre alt, schreibt darin, warum er lieber mit Bleistift und Papier arbeitet anstatt mit einem Computer. Ich teile nicht alles, was er in dem Artikel kritisiert, aber insgesamt ist es doch ein anregender Text, immer noch, obwohl schon so alt. Er zählt zum Beispiel all die Kriterien auf, ab wann es Sinn ergibt, Technik einzusetzen.

Ich habe den Text in dem Sammelband “The World-Ending Fire” entdeckt.

Erbauliches zum Schluss

Jetzt war wieder nicht nur Erbauliches in diesen “Erbaulichen Unterredungen”, aber ich möchte, eingedenk der eingangs erwähnten Kritik von Johannes, mit etwas Erfreulichem enden: In Norddeutschland habe ich, zwischen meinen Lesungen, einen Supermarkt besucht. Dort gibt es natürlich:

Grünkohl.

Einen geruhsamen Sonntag und eine schöne Woche, herzliche Grüße aus Wien,

Ihr Hasnain Kazim

P. S.: Wenn Sie Freude an den “Erbaulichen Unterredungen” haben, werden Sie doch “Mitglied”. Das unterstützt mich in meiner Arbeit. Allen, die schon abonnieren und “Mitglied” sind, ein ganz herzliches Dankeschön, ebenso denen, die mir schreiben und Anregungen, Lob und Kritik schicken.

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