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Sommer-Lametta

Früher war mehr Lametta. Auch in der Kunst. Zumindest für einige Künstler. Vor vierhundert Jahren war es jedenfalls schick, dass wohlhabende Menschen in Kunst investierten. Man gab Gemälde, auch Portraits in Auftrag - es gab schließlich noch keine Fotografie – oder wurde zum Sammler von Kunstwerken. Oder man wurde zum Mäzen.

Manch ein Künstler wäre ohne seinen Mäzen erbärmlich verhungert. Was auch auf so manchen Künstler zutrifft. Die meisten wurden erst nach ihrem Tod berühmt, manche erst Jahrhunderte später. Andere aber haben es auch ohne Mäzen geschafft. Grundvoraussetzung war, dass man in eine wohlhabende Familie geboren wurde. Das hatte nicht jeder. Und das ist noch heute so.

Aber lohnt es sich, Lametta hinterher zu lamentieren? Manch einer hat seinen Weihnachtsbaum mit Lametta so zugehängt, dass man kein Grün mehr sah. Der Lametta-Müllberg nach Weihnachten war enorm. Manchmal fand man noch Monate später Lametta in den Sofaritzen. Wollen wir wirklich zurück zu mehr Lametta?

In der Kunstwelt gibt es heutzutage im übertragenen Sinn Bio-Lametta und Bronze-Lametta. Noch immer gibt es Mäzen, die heute Sponsoren heißen. Was wie früher dazu führt, dass Kunst nicht unbedingt frei ist. Nicht wenige Ausstellungen werden erst dadurch möglich, dass andere sie finanzieren. Was wiederum bedeutet, dass der Geschmack einzelner wohlhabender Menschen bestimmt, was ein Publikum zu sehen bekommt. Bronze-Lametta.

Gott sei Dank gibt es aber auch noch staatliche Förderungen und Stipendien, die es ermöglichen, dass auch noch unbequeme, nicht schöne, aber hinterfragende Kunst entsteht. Denn Künstler brauchen Raum für Entfaltung, nur so kann die Kunst sich frei entwickeln.

Gegen Auftragsarbeiten ist gar nichts auszusetzen; sie bringen dem Künstler die Butter aufs Brot, aber wenn er keine Zeit mehr hat, seine eigene Kreativität auszudrücken, wird er unfrei und gehemmt in seiner Entwicklung. Was nicht nur ein Verlust für den Künstler ist, denn wenn seine Kunst nicht mehr entsteht, wie kann sie dann etwas bei anderen Menschen bewegen?

Ich zumindest möchte nicht nur Kunst für mich schaffen. Und auch nicht nur Dinge schaffen und schreiben, die schön sind. Ich suche den stillen Dialog mit den Betrachtern. Mit meinen Texten und mit meinen Skulpturen. Jeder, der sie liest oder betrachtet, kann damit machen, was man möchte – Hauptsache, es passiert überhaupt etwas. Auf das Lametta bezogen: Hauptsache, da schaut jemand auf den Baum und es berührt auf irgendeine Weise. Dazu brauche ich nicht mal Schmuck. Rinde reicht auch.

Damit ich das kann, habe auch in moderne Mäzen. Aber mehrere, kleine. Derzeit sind es sieben Menschen, die mich monatlich unterstützen, damit ich in meinem Tempo Kunst kreieren kann. Denn besonders Skulpturen brauchen Zeit. Und Zeit ist in unserem Jahrtausend ein wertvolles Gut. Um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten, könnte ich auch wieder als Redakteurin arbeiten, im Kulturmanagement oder als Dozentin.

Aber Zeit ist Geld. Und Zeit ist Kunst. Jede Zeit, die ich in etwas anderes stecke, investiere ich nicht in Kunst.

Die meisten Künstler müssen genau das tun, denn wir müssen ja von etwas leben. Sie müssen einen so genannten Brotberuf ausüben, um nebenbei Kunst zu schaffen. Das ist die Realität. Kein Lametta eben.

Wer das Glück hat, von einem reichen Sponsor gefördert zu werden, kann seinen Brotberuf aufgeben und hat unter Umständen gebunden an diesen einen großen Sponsor sehr viel Lametta, vielleicht zu viel, das ganze Jahr über Weihnachten, und sieht den Baum vor lauter Metallgeflitter nicht mehr.

Gibt es einen Mittelweg? Vielleicht. Ich teste das zurzeit mit meinen modernen Mäzen hier bei Steady. Steady ist eine deutsche Plattform, auf der Künstler wie ich über ihr Leben und ihre Arbeit schreiben können, und andere Menschen unterstützen sie dafür monatlich mit einer kleinen Summe. Bei mir ist es nicht der symbolische Kaffee, bei mir ist es ein Stück Kuchen. Denn wenn ich wählen müsste: Kuchen oder Kaffee, ist die Wahl klar: Das süße Gebäck.

Wer mehr als ein Stück Kuchen investiert, bekommt nach Ende eines Jahres sogar exklusiv einen Text oder ein Kunstwerk. In den Mitglieds-Paketen (Si apre in una nuova finestra) kann man das nachlesen. Ein Jahr endet bei mir im März – im nächsten Jahr können sich also einige meiner sieben modernen Mäzen über ein exklusives Geschenk von mir freuen. So kann ich mich frei entfalten und Dinge schaffen, die mir – und hoffentlich auch anderen – Freude machen oder sie anderweitig bewegen.

Mit meinen sieben modernen Mäzen komme ich natürlich noch nicht weit. Mein erstes Ziel sind 400,- Euro monatlich, um die Raumkosten für mein Atelier decken zu können. Da ist noch kein Gehalt für mich drin. Aktuell sponsern meine Mäzen mich mit 200,- Euro im Monat, wovon ich rund 140,- Euro rausbekomme, Mehrwertsteuer und Verwaltungsaufwand für Steady gehen von der Ursprungssumme ab. Das ist aber ein Anfang und ich freue mich sehr darüber und bin dankbar, dass immerhin sieben Menschen das mögen, was ich tue. Bio-Lametta eben.

Letzte Woche war ich im Centraal Museum in Utrecht. (Daher auch die Bebilderungen für diesen Text.) Dort waren viele Werke von Joachim Wtewael, einem niederländischen Maler aus dem 16. Jahrhundert, zu sehen. Er war erfolgreich auch ohne Mäzen, denn er hatte das Glück, in eine wohlhabende Familie geboren zu sein und von dort aus jede Ausbildung zu bekommen, die er brauchte, um ein guter Maler zu werden. Seine Familie hatte großes Ansehen und Dank seines Geschäftssinns wurde er sehr bekannt.

Eines seiner Gemälde hat mich innehalten lassen, nicht nur wegen des vielen Fleischs im Stillleben, was damals Reichtum verdeutlichte, uns heute aber wegen des Übermaßes an Konsum vielleicht derbe aufstößt. Sondern wegen der Frau, die aussah wie ich vor fünfzehn Jahren. Eine Küchenmagd, die Hühner aufspießt. Im Hintergrund die biblische Szene von Jesus und Maria und Martha – die eine rackert sich ab, die andere nimmt sich Zeit zum Zuhören beim Heiland. Das Gemälde wird interpretiert als die Sinnlichkeit, ein möglicher Mittelweg zwischen harter Arbeit und Genuss.

Darin erkenne ich mich wieder. Ich bin dazu bereit hart zu arbeiten, aber ich möchte auch Lohn für meine Arbeit, gerechten Lohn. Und genug Zeit um zuzuhören, in mich zu gehen und daraus wieder Neues zu schöpfen.

Morgen habe ich Geburtstag, wenn ich Glück habe, ist es das Bergfest meines Lebens: Ich werde 45 Jahre alt. Das wünsche ich mir für mein neues Lebensjahr: Den Mittelweg. Den Sinn und die Sinnlichkeit in der Arbeit. Genug Bio-Lametta von vielen Mini-Mäzen, damit es zum Leben reicht. Und wenn das alles nicht funktioniert? Lasse ich mich von Wtewael inspirieren und werde Fleischfachverkäuferin. Vielleicht spieße ich aber auch Kuchen auf.

Dir gefällt dieser Text? Magst du mich dann vielleicht auch unterstützen, damit ich weiter für dich schreiben und Kunst machen kann? Wirst auch du ein Mini-Mäzen?

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Argomento Arts: Kunst und Künstler

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