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Rechte Kollapspolitik vs. Katastrophenkommunismus: “el pueblo” in den Fluten von Valencia

Folks helping in Valencia. Source: https://www.semprevalencia.com/2024/10/comunicado-oficial-de-la-asociacion-de-medios-digitales-de-la-comunidad-valenciana-amdcomval/ (Si apre in una nuova finestra)

30.01.2025

Liebe Leute,

es ist Mittwoch Vormittag, 29.1., ich sitze im Zug nach Tübingen (Lesereise: Südwestroute (Si apre in una nuova finestra)), und in wenigen Stunden werden zum ersten Mal seit den 1930ern in einem deutschen Parlament faschistische und angebliche “Mitte”-Parteien zusammen eine Abstimmung gewinnen. An jenem Mittwoch Nachmittag zeigten sich zum ersten Mal ganz deutlich die Umrisse einer kommenden schwarz-blauen, völkisch-neoliberalen Regierungskonstellation, welche zumindest für den Rest des Jahrzehnts (ganz klar das Jahrzehnt der Arschlochisierung) die Geschicke der Bundesrepublik bestimmen wird. Es kann sein, dass die politische Dauerkatastrophe, dass die Katastrophe ab Mittwoch Nachmittag auch der politische Normalzustand der BRD ist.

Dauerkatastrophe als strategischer Raum

Und deshalb gilt noch mehr das, was ich, was viele andere Kollapsis immer wieder und immer lauter betonen: wenn die Katastrophe zum Normal- anstatt zum Ausnahmezustand wird, dann müssen wir Strategien und Taktiken entwickeln, die im Raum der Katastrophe funktionieren, anstatt immer hoffnungsloser darauf zu hoffen, die Katastrophe möge doch irgendwann “vorbei” sein, die Dinge mögen doch bitte wieder “normal” werden.

Sorry folks, that ship has sailed, im Kollaps ist der dauernde rapide Veränderung, sind ständige Schocks, sind Katastrophen aller Art die Normalität, an die sich verantwortungsvolle politische Akteure anpassen. Wer das nicht tut, wird in der Verdrängung verenden, vielleicht ersaufen, vielleicht verbrennen, auf jeden Fall aber von den Faschos besiegt und überrollt werden. Denn wie von uns Kollapsis immer wieder betont wird: die Rechten haben sich schon lange mit der Katastrophe, mit dem Kollaps angefreundet, versuchen sogar, ihn zu beschleunigen, weil sie mittlerweile Taktiken und Strategien entwickelt haben, um den Kollaps-Space “zu gewinnen”. Klar: wer in der Katastrophe besser auf die Katastrophe vorbereitet ist (remember: prepping kommt von “to prepare”, es bedeutet also eigentlich nur “vorbereiting” - das kann unmöglich ne schlechte, eine grundsätzlich irgendwie faschistische Idee sein), wird im Katastrophenraum handlungsfähiger sein, wird mehr Hilfe anbieten können, wird also in dieser Situation auch seine Macht ausbauen können.

Linke Strategien, rechte Kollapspolitik

Und genau das tut die radikale Rechte, zumindest in den Ländern, auf die ich einen halbwegs regelmäßigen Blick werfe. Sie tut es in Spanien und den USA, in Tschechien und in Österreich, sie tut es in England und in Schweden: sie nutzt Katastrophen, um ihre Macht auszubauen. Natürlich tut sie das auf Arten und Weisen, von denen wir viele ablehnen und bekämpfen müssen, aber es geht mir hier ja nicht darum, genau zu kopieren, was die Rechten machen. Als die radikale Rechte Europas sich von den Autonomen die “befreiten Zonen” abguckte, hat sie die ja auch national befreite Zonen genannt, und im Inhalt unterscheidet sich da vieles – aber die grundsätzliche Strategie der Einrichtung solcher Bereiche, die in the long run von Guevaras “foco guerrillero” abgekupfert ist, die haben sie ziemlich 1-zu-1 übernommen.

Damals haben die von uns gelernt, bis hin zum Punkt, dass wir merken mussten: shit, die Rechten haben unsere Leute teilweise besser verstanden und setzen sie besser um, als wir das tun. “Äquivalenzketten (Si apre in una nuova finestra)” für populistische Massenbewegungen bauen? Dieser von den Linken Chantal Mouffe und Ernesto Laclau formulierte Gedanke wird heute ungleich besser von rechts umgesetzt, als von links; oder die “Metapolitik” des alten Maoisten Badiou, auch das können die besser (bei Sellner und Höcke ist das der “vorpolitische Raum”, der besetzt werden muss, denn von da aus können die berüchtigen “overton windows” des im politischen Raum Sagbaren verschoben werden). Ein mittlerweile fast schon klassisches Beispiel dafür ist der Aufstieg der faschistischen “Goldenen Morgenröte” in Griechenland im Kontext der “Eurokrise”: wenn bestimmte lebenswichtige Güter und Dienstleistungen nicht vom Staat geleistet, oder im Markt bezahlbar sind, werden soziale Netzwerke entstehen, um diese Inputs bereitzustellen. Die Goldenen Morgennazis hatten das verstanden, aber natürlich auch – von links – die sozialen Bewegungen in Argentinien während des wirtschaftlichen Kollaps Anfang der Nuller. Wer in der Katastrophe den Menschen helfen kann, hat einen Fuß in der Tür. Es sei denn natürlich, man ist so dämlich, sich einzureden, dass “Katastrophenpolitik” was für Rechte ist, dass in jeder Katastrophe immer die staatlichen Institutionen und Hilfsnetzwerke greifen, und dass die Normalität irgendwann wieder hergestellt sein wird. Es sei denn, man gehört zum absoluten Großteil der linken und grünen gesellschaftlichen Felder, aka zur Verdrängungsgesellschaft (die an diesem Punkt leider notwendigerweise dümmer ist, als die in dieser Hinsicht ehrlichere Arschlochgesellschaft).

Wer gewinnt die Klimakatastrophe?

Fun fact: in den letzten Jahren wird folgender Zusammenhang immer stärker: wo es zu wuchtigen Extremwetterkatastrophen kommt, die natürlich in fast allen Fällen durch die Klimakatastrophe verstärkt und erheblich wahrscheinlicher gemacht wurden (vgl. die California Wildfires (Si apre in una nuova finestra)), gewinnen hinterher nicht die Parteien, die vorher viel über die Klimakatastrophe und Klimaschutz gesprochen haben. Stattdessen – völlig in line mit meiner vor ung. 3 Jahren aufgestellten These, dass mehr Klimakatastrophe nicht zu mehr Klimarationalität führt, sondern zu mehr Verdrängung (Si apre in una nuova finestra) – gewinnen genau die Parteien, die vorher die Klimakatastrophe verleugnet oder heruntergespielt hatten; die in der Katastrophe immer wieder betonen, dass nicht allen geholfen werden sollte; und die grundsätzlich die Art von Policy vorantreiben, die genau solche Katastrophen wahrscheinlicher macht.

Die neue These ist also “mehr Klimakatastrophe führt zu mehr Verdrängung führt zu mehr Rechtsruck”, und die lässt sich leider an vielen Orten und in vielen Wahlkämpfen (in denen auch gilt: wenn vor dem Wahlkampf eine fette Klimakatastrophe stattfand, sprechen im Wahlkampf selbst formal “ökologische” Parteien nicht nur extrem ungern übers Klima, alle anderen ignorieren es komplett. So geschehen im US-Wahlkampf, dessen “October Surprise” durchaus der hurricane-double-whammy aus Milton und Helene hätte sein können, aber auch Kamala traute sich nicht; oder im Österreich-Wahlkampf, kurz nach den verheerenden Herbstfluten.

Und so geschehen auch in Valencia und Umland, eine Region, die letztes Jahr im Herbst von einem der verheerendsten Hochwasser in der spanischen Geschichte heimgesucht wurde. Von den grandiosen Bildern abertausender Menschen inspiriert, schrieb ich Artikel über die wundersame Vervielfältigung zwischenmenschlicher Solidarität im direkten Nachgang der Katastrophe (auf diesen hier bin ich besonders stolz: Eine Hoffnung, die nicht glitzert (Si apre in una nuova finestra)), über hunderttausend Menschen, die in der Region andere zur Hilfe kamen. Aber kaum zehn Wochen nach der Katastrophe ist das Bild ein sehr viel unangenehmeres: “In Spain, Vox has gained support since the floods by capitalising on the perceived failures of both mainstream parties (Si apre in una nuova finestra).” Und zwar nicht zu knapp: “Vox’s national support has climbed from 10.5% before the floods to 13.8% this month”.

Rechte Kontrolle über die Katastrophe: kein politisches Naturgesetz

Wir sehen also: viel zu oft und an viel zu vielen Orten “gewinnen” die Rechten die Katastrophe, sind im politischen Raum der Katastrophe uns haushoch überlegen, können darin also ihre Macht ausbauen.

Manche meiner Genoss*innen sagen jetzt: das muss leider so sein, die Rechten können halt leichter lügen, und katastrophale Zustände ausnutzen, weil Katastrophen halt grundsätzlich die Rechten stärken – aber in diesem Bild sind wir Linke dann wirklich nur dafür da, den Überfluss zu verteilen, in diesem Bild sind wir Linke in der Katastrophe, im Endlevel des Kapitalismus jenseits des globalen Wachstums, eigentlich nur noch eine historische Kuriosität. Deswegen ist dieser Gedanke auch totaler Quatsch, und muss (verzeiht mir die etwas archaische Wendung) vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Also: die Rechten können Katastrophen besser ausnutzen, weil sie besser darauf vorbereitet sind, nicht, weil die Katastrophe ihnen grundsätzlich mehr liegt.

Denn: eine interessante Wahrheit ist, dass die normale (im Sinne von: die durchschnittliche, die “all other things being equal”-) Reaktion auf eine Katastrophe darin besteht, anderen Menschen zu helfen, oder zumindest, dies zu versuchen (Si apre in una nuova finestra). Ist ja auch völlig nachvollziehbar: wie Kropotkin damals in Reaktion auf Darwin's “evolution is the survival of the fittest” nachwies, sind es bei kognitiv und sozial höher entwickelten Tierarten die Kooperativeren, die bessere Überlebenschancen haben, und ich finde es nicht sehr weit hergeholt, daraus einen grundsätzlichen Instinkt zum sind-in-der-Katastrophe-gegenseitig-helfen-Instinkt abuzleiten (dem natürlich andere Instinkte und Tendenzen gegenläufig sein können, deshalb muss dieser Instinkt nicht handlungsleitend sein). Rebecca Solnit beschreibt dies poetischer, als “a paradise built in hell”, ich nenne es “Katastrophenkommunismus”: diese menschliche Tendenz, einander im Katastrophenfall helfen zu wollen, wird durch die “sociology of desasters” immer wieder bewiesen, und stellt dementsprechend auch eine in jeder Katastrophe präsente politische Produktivkraft dar.

In diesem Sinne ist der Mythos, im Katastrophenfall würden wir uns alle zu hobbes'schen Wölf*innen zurückentwickeln, würden jeder Person, die uns anspricht, aus purer Angst mit unserem AR-15 Sturmgewehr den Kopf wegballern, dem thatcher'schen “mot d'ordre” oder auch “Sprechakt” ähnlich (wenn ein Akteur spricht, um durch das Sprechen eine Realität nicht zu beschreiben, sondern zu erschaffen), mit dem sie versuchte, uns zu überzeugen, es gäbe keine Gesellschaft (“There is no such thing as society!”) – dieser Satz war das Motto eines politischen Projekts, das sich angeschickt hatte, die Gesellschaft zu zerstören, von der Thatcher meinte, es gäbe sie gar nicht. Der Diskurs vom hobbes'schen Katastrophenwolf existiert, weil wir (vgl. meinen Nachbarschaftstext (Si apre in una nuova finestra)) eigentlich vor “les autres”, vor anderen Menschen mehr Angst haben, als vor dem Ende der Welt, weil wir aber im Katastrophenfall real erleben, wie uns diese Menschen näherkommen, wie ihre Bedürfnisse uns betreffen, dass wir gemeinsam sind – also im fundamentalen, im ontologischen Sinne: wir sind gemeinsam, oder wir sind nicht.

Natürlich gibt es im Katastrophenfall auch affektive Produktivkräfte, die von rechts besser auszunutzen sind. Angst zum Beispiel, weil sie zu einer regressiven Psychologie (PAPA SOLL'S LÖSEN!) führen kann, ist ein Affekt, den Rechte besser spielen können; auch die Tendenz und der Wunsch zum magischen Denken, der in Katastrophen oft auftaucht, ist leichter rechts zu artikulieren. Aber wenn die erste, die grundsätzliche Erfahrung von Gesellschaften in der Katastrophe die Vervielfältigung von Solidarität ist, dann folgt daraus für mich, dass unser, dass der viel zu kleine Footprint linker Akteure in der Katastrophe (mit wenigen Ausnahmen – wie zum Beispiel der grandiosen Organisation CADUS (Si apre in una nuova finestra)) eben gerade nicht das Resultat einer grundsätzlich eher rechtslastigen Struktur der Katastrophenräume ist, sondern das Resultat unserer mangelnden Vorbereitung und nicht stattfindender Investition von Ressourcen, um diesen Mangel zu beheben.

Kürzer: wir haben's bisher ignoriert, die Rechten nicht. Deswegen sind die Rechten dort stärker, das führt bei uns zu Gefühlen der Unzulänglichkeit und des Versagens, deswegen schauen wir nur ungern im Detail auf die Katastrophe als Raum, genauso wenig, wie die Verdrängungsgesellschaft noch auf die Klimabewegung schaut: weil es uns schlecht fühlen macht.

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Ich finanziere meine politische Arbeit vor allem über diesen Blog, und wäre dankbar für Deine Unterstützung

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El pueblo en Valencia: the people, oder “das Volk”?

Genau deswegen will ich, zum Ende dieses Texts, mir tatsächlich mal einen Katastrophenraum im Detail anschauen: den in Valencia, und wie die Rechten den genau gewonnen haben, anhand eines sehr spannenden Artikels in der Financial Times (Si apre in una nuova finestra), die die Warnung eines spanischen Ministers aufgreift, die radikale Rechte würde die ansteigende Wut ob klimakrisenbedingter Katastrophen ausnutzen. Dieser Artikel ist nämlich nicht nur eine Quelle spannender Informationen über Katastrophen und ihren Nachgang als politische Räume, er ist auch eine Art Praxistest der Thesen über die Verdrängungsgesellschaft im Kollaps, die wir Kollapsis seit einiger Zeit artikulieren.

Das ganze fängt dementsprechend auch nicht mit Fakten an, sondern Emotionen: “Die (rechtsradikale) Vox nutzt die 'emotionale' Reaktion der Öffentlichkeit auf den falschen Umgang mit den Überschwemmungen“, weil eine Verdrängungsgesellschaft in einer Katastrophe, deren tiefere Gründe sie verdrängen will, immer so reagieren wird. Ja, es wurde auf die „failures“, das Scheitern etablierter politischer Akteure geschaut, aber eben nur in den Bereichen, die nicht verdrängt werden müssen: nicht „Scheitern beim Klimaschutz“, sondern „Scheitern an der Reaktion“ darauf, was u.a. wegen des Scheiterns beim Klimaschutz passiert, passieren muss. „Es gab eine emotionale Reaktion auf Katastrophen, bei der die Wut auf die Behörden die Analyse der zugrundeliegenden klimatischen Ursachen in den Hintergrund treten ließ.“ Es wurde über die Reduktion von Flutrisiken in der Region diskutiert, aber fast nie über die unterliegenden klimatischen Bedingungen...

Und weiter in der Hilflosigkeit dieses spanischen Sozialdemokraten: „Die Analyse der Dinge durch die Bürger*innen ist nicht ganz rational. Sie hat mehr mit Emotionen als mit Daten zu tun.“ So weit, so bekannt: die Verdrängungsgesellschaft ist emotional, nicht rational, und will vor allem ihr eigenes Scheitern verdrängen. Gleich zwei Thesen bestätigt, und ich verweise nochmal auf die quantitative Bestätigung: dass Vox von 10,5% vor der Flutkatastrophe auf 13,8% danach anstieg. Aber das hatte nicht nur mit Verdrängung zu tun, es hatte auch und ganz zentral eine praktische Komponente: „Mehrere rechtsextreme Gruppen schickten schnell Aktivisten in das Katastrophengebiet, die bei den Aufräumarbeiten halfen oder unter dem Slogan 'Nur das Volk kann das Volk retten'Lebensmittel und Wasser in Flaschen lieferten.“

Ok, da wird’s dann richtig spannend: das ist tatsächlich... begrenzt solidarische Kollapspolitik. Also, nicht meine Art von Solidarität, weil die kann nicht anders sein, als universell, aber für eine völkische Nationalistin reicht die begrenzte Solidarität ja. Volksgemeinschaft und so. Neben Solidaritätspraxen werden auch Solidaritätsdiskurse an den Start gebracht: „Die Nation erschien, das beste Spanien, ein selbstloses Land, das vor allem von jungen Menschen repräsentiert wird“. Jetzt mal abgesehen vom Bezug auf die Nation wäre das doch etwas, das wir als Linke auch sagen würden: hier, in der Katastrophe, erscheint die beste menschliche Gemeinschaft, die baut dann den Katastrophenkommunismus, ein Paradies in der Hölle...

Hier glaube ich liegt eines unserer „openings“, wo wir den Rechten ein Schnippchen schlagen können: im Moment gemeinsamer Hilfe nach der Katastrophe ist das Unter- und Einteilen der freigesetzten Solidarität, das „XYZ nur für Spanier“, eigentlich ein der Logik der Situation zuwiderlaufender Move, er muss dementsprechend relativ energieaufwändig sein. Unser „XYZ FÜR ALLE“ sollte hier eigentlich besser funktionieren. „El pueblo“ (das Subjekt, das in der Katastrophe auftaucht) kann sowohl, im offenen Sinne, „the people“ bedeuten, als auch, im geschlossenen Sinne, „das Volk“. In welche Richtung das in einer spezifischen Katastrophe geht, ist nicht vorbestimmt, sondern hängt davon ab, wer – ihr ahnt es – besser vorbereitet ist, und schneller in der Situation als handlungsfähig und supportive wahrgenommen wird. Ob „the people“ oder „das Volk“: la lucha deciderá!

Mit katastrophenkommunistischen Grüßen,

Euer Tadzio

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