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Greta Thunberg vs. die deutsche Verdrängungsgesellschaft: wer ist hier Antisemit*in?

Foto: Carl Court/Getty Images

Vorwort: dieser Text erschien diese Woche in “Der Freitag”:

https://www.freitag.de/autoren/tadzio-mueller/nein-greta-thunberg-ist-keine-antisemitin (Si apre in una nuova finestra)

Dort steht er, aus Gründen, die wir mittlerweile verstanden haben (writers need to live, newspapers need to earn money), aber halt auch “leider” hinter einer Paywall, was natürlich seine Reichweite und politische Relevanz reduziert. Ich poste ihn hier daher nochmal jenseits der Bezahlschranke, aber mit einer Bezahleinladung: der Freitag ist super, aber so richtig viel kriegt man für ne Zeitungskolumne nie bezahlt. Also, sollte Euch der Text gefallen, könnt Ihr vielleicht überlegen, ob Ihr mit einer Förder*innenmitgliedschaft als Freund*in, gute Freund*in oder “doppelplusguten” Freund*in (5, 10, oder 20 Euro pro Monat) mir und meinem Ehemann unter die Arme greift. Danke jetzt schonmal dafür - und @ Der Freitag: I hope you don’t mind, es kamen halt wirklich viele “schade, Paywall”-Kommentare, dass mein innerer Kommunist gar nicht anders handeln konnte ;)

Jetzt: zur Sache.

Greta v. Deutschland: wer ist hier Antisemit*in?

Greta Thunberg hatte wahrscheinlich nicht vor, mit einem Post (Si apre in una nuova finestra) auf Twitter/X zu Gaza das deutsche Kommentariat geich für mehrere Tage nahezu exklusiv zu beschäftigten. Die Ikone der Fridays for Future-Bewegung äußerte Solidarität mit den Zivilisten in Gaza, und wurde darauf in deutschen Leitartikeln und Kolumnen im Handumdrehen zur „persona non greta“. Man war sich einig: Damit habe sie single handedly die Klimabewegung beerdigt. Doch es lohnt, sich die ganze Sache ein bisschen näher anzugucken.

Denn unter all der Aufregung, unter den sofort anhebenden Debatten, ob Gretas Aussagen nun tatsächlich antisemitisch seien oder eine Art Erbsünde der Klimabewegung darstellten, ob deutsche Klimaaktivst*innen sich nun von Greta, von Fridays for Future oder gar der ganzen Klimabewegung distanzieren sollte, war auch so etwas wie ein erleichtertes Aufatmen in der deutschen Öffentlichkeit zu vernehmen. Ein „Schau an, die Klimabewegung ist moralisch schlecht, ihre Anführerin eine Antisemitin, was bedeutet: Wir müssen ihr gar nicht mehr zuhören. Schluss mit dem Klimagedöns, Schluss mit der Scham. Und Schluss mit der nagenden Schuld, die wir so diffus verspüren, weil wir wissen, dass wir das Problem jeden Tag schlimmer machen...“

Was ist eigentlich vorgefallen?

Was ist da also eigentlich passiert? Greta Thunberg hat sich auf Social Media und später auch auf mehreren Demonstrationen klar palästinasolidarisch geäußert, das Vorgehen der IDF und der rechtsradikalen israelischen Regierung im Gaza-Streifen hart kritisiert, und einen Post mit Links zu mehreren Accounts abgesetzt, auf denen man sich informieren könne. Große Teile der medialen deutschen Öffentlichkeit brandmarkte ihre Statements und Posts als im besten Fall nachlässig judenfeindlich, im schlimmsten Fall als Teil einer breiten, antisemitischen Stimmung in der Klimabewegung und der globalen Linken.

„Wie Greta Thunberg das Klima vergiftet“, schrieb der Spiegel in einem Leitartikel (Si apre in una nuova finestra), und gegenüber Luisa Neubauer wurde unter der überhaupt nicht suggestiven Überschrift „Antisemitismus in der Klimabewegung“ konstatiert anstatt gefragt, dass es „in weiten Teilen der Klimabewegung eine Unfähigkeit zu geben (scheint), israelisches und jüdisches Leid und die Bedeutung der Existenz eines jüdischen Staates anzuerkennen.“ (Si apre in una nuova finestra) Im Gegenzug nahm der Großteil der internationalen, progressiven Debatte Gretas Positionierung als relativ unkontrovers hin, sind solche palästinasolidarischen Aussagen (nicht „From the River to the Sea“, sondern „Free Gaza“, oder „Free Palestine“) im internationalen Feld doch ziemlicher Mainstream – und nein, die Autismuskrake war kein antisemitischer Dogwhistle.

Hat Greta mit ihren Statements tatsächlich die Klimabewegung verraten (what would that even mean?), waren sie antisemitisch, und sollten die Fridays for Future wirklich, wie von mehreren Seiten gefordert, ihren Namen ändern? Nein, nein, und nein. Denn: In der deutschen Debatte um Greta und Gaza ging es, wie so oft, weder um Greta noch um Gaza, sondern eigentlich um Gillamoos. Es ging, sotto sotto, um den Wunsch der Deutschen, zu verdrängen, wie schlecht man selbst im Kampf gegen den Antisemitismus abschneidet, historisch und gegenwärtig, man denke an Hubsi Aiwangers Flugblätter und die Konsequenzen daraus: Nämlich genau gar keine. Also projiziert man auf Greta, was man in Bayern nur zu gut kennt.

Hier spielen auch deutsche Wünsche nach Verdrängung mit rein

Und ein zweiter Wunsch zu verdrängen, spielte da auch noch mit rein: Wie sehr man in Sachen Klimagerechtigkeit scheitert. Also erledigt man Greta, und hofft, dass sich so auch die Klimakrise erledigt. Dass Deutschland fertig mit Klima hat (Si apre in una nuova finestra), also mit dem allgegenwärtigen Klimakollaps, dessen alltägliche Verdrängung dazu führt, dass die Klimadebatte immer dümmer wird, wie auch die Angriffe auf die Klimabewegung immer härter und brutaler werden, ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Klima? Mmmmm, ich weiß nicht, Digga (Si apre in una nuova finestra). Lieber nich’. Da schämt sich Deutschland nur, fühlt sich schuldig und nicht hinreichend ethisch und rational handelnd. Lieber verdrängen.

Dass Deutschland fertig mit der Reflexion über seinen eigenen, autochthonen Antisemitismus hat, wissen wir mittlerweile auch, spätestens seit der Debatte um Gillamoos und Kreuzberg. Seit Hubsi Aiwanger (Si apre in una nuova finestra) wieder zum stellvertretenden Ministerpräsidenten und Wirtschaftsminister eines der mächtigsten Bundesländer in der Republik gemacht wurde; seitdem eine klar rechtsextreme Partei in Umfragen im ganzen Land entweder die stärkste, oder die zweitstärkste Partei ist. Und während ich dies schreibe, lese ich in einem Tweet von Seda Başay-Yıldız (Si apre in una nuova finestra), der vom “NSU 2.0” zuerst bedrohten hessischen Anwältin, dass ein 18-jähriger mit gefestigter rechtsextremer, antisemitischer Gesinnung festgenommen wurde, kurz bevor er einen Terroranschlag begehen konnte.

Hubsi Aiwanger: Hier habt ihr euren Antisemiten!

Deutschland hat also erstens ein massives Klima-Ungerechtigkeitsproblem, das aber eigentlich kaum eine Sau außerhalb der Klimabewegung ernsthaft stört, für das sich aber auch niemand mehr wirklich... verantwortlich oder zuständig fühlt. Und es hat zweitens ein massives Faschismusproblem – der starke Mann der zweitstärksten Partei im Lande ist strategisch agierender Faschist mit einem ausgeprägten “long game”. Regierungsbeteiligungen der AfD liegen in greifbarer Nähe. Darüber reden wir noch weniger gern als über die Klimasache, die man der Einfachheit halber leugnen kann (Merz schwadronierte kürzlich von „CO2 als Chance“), weil angeblich das „Nie Wieder“ zur deutschen Staatsraison geworden sei.

Was ja eigentlich sehr schön wäre. Jedoch ist deutsche Staatsraison erst einmal das Wohlgefühl der Deutschen. Und da sich dieses Wohlgefühl in einem Land mit dieser Vergangenheit und Gegenwart nur über Verdrängung herstellen lässt, könnte man eher behaupten, dass Verdrängung die zentrale deutsche Staatsraison ist: Dass die Verdrängungsgesellschaft hier ihren Ursprung hat.

Es wirkt nämlich ein bisschen so, als würde die deutsche Verdrängungsgesellschaft die Tatsache, dass Greta Thunberg Positionen einnimmt, die zwar vom Mainstream progressiver Debatten hierzulande weit abweichen, aber genau im Mainstream der progressiven internationalen Debatten liegen, nutzen, um so ihr in den „Umarmungsjahren“ (2019-2021) aufgebautes emotionales Attachment zu Fridays for Future als „den Guten, denen man zuhören sollte“ abzutragen, um somit dann nicht nur die Letzte Generation, sondern die ganze Klimabewegung ignorieren zu dürfen.

Greta erledigen heißt die Klimakrise erledigen? Schön wär's

Die Klimabewegung ignorieren dürfen, das heißt im Anschluss dann wohl auch, die Klimafrage ignorieren zu dürfen. Der Spiegel schreibt hier noch von einer „drohenden Spaltung der Klimabewegung“, die aber durch solche Interviews herbeigeschrieben werden kann und offenbar auch soll.

Am Ende geht es in beiden Diskursen, dem deutschen Gaza-Diskurs und beim Diskurs über die Klimabewegung in der Gaza-Frage, um dasselbe: dass die Deutschen sich gut fühlen können. Trotz ihrer historischen Verantwortung. Trotz ihres täglichen Scheiterns. Dass Greta hierbei stört, dafür kann man ihr eigentlich dankbar sein.

Euer Tadzio

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