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Oktober // Angela Davis

Was muss man tun, ohne ein Verbrechen zu begehen, um den Status einer kriminellen, gefährlichen Person zu erlangen? Vielleicht reicht es aus, eine schwarze, höllisch intelligente Frau in den 70ern in Amerika zu sein und die Wahrheit zu sagen? Oder vielleicht reicht es aus, eine Frau zu sein und die Wahrheit zu sagen!? Oder vielleicht reicht es aus, Schwarz zu sein, oder vielleicht… reicht es aus, eine Frau zu sein…? Mit diesen Fragen könnte ich diesen Newsletter beginnen und beenden, denn ihr spürt selbst, wohin diese Fragen führen… und die Protagonistin des Oktobers in unserem Kalender ist ihre Verkörperung, eine Frage, die Gestalt angenommen hat. Die Gestalt von Angela Davis.

Es fällt mir schwer, diesen Newsletter über Frauen mit einem so starken politischen Profil wie Angela Davis zu schreiben, aber sie ist nicht die einzige starke Persönlichkeit. Ich bin mir der Vielzahl an moralischen Interpretationen, der Ambivalenzen bei der Wahrnehmung bewusst, denn Wahrheit ist oft relativ und vor allem: subjektiv. Und ich fühle mich manchmal inkompetent, denn ich bin keine Journalistin mit einem so breiten Spektrum an Recherche, ich bin Illustratorin, inspiriert von den Persönlichkeiten der Frauen, die ich porträtiere.

Beim Schreiben dieses Newsletters schaue ich mir erneut Ausschnitte aus dem Prozess gegen Angela Davis und ihre Auftritte an Universitäten an, beide Filmaufnahmen liegen Jahrzehnte auseinander. In der ersten sieht man die junge Studentin, zuerst der Brandeis-Universität, dann der Sorbonne, Angela Davis, mit ihrem ikonischen Haarschnitt, mit Brille, mit Mikrofon in der Hand, spricht sie zu einer aufgebrachten Menge. Ich habe keine Idee, ob die damals voller Energie und dem Kampfimperativ steckende Angela sich bewusst war, dass sie gerade zur Ikone ihrer Zeit wird, zu einer Aktivistin und Revolutionärin im Klassenkampf, dass sie zum Nerv ihrer Zeit wird. Dass ihr Gesicht auf vielen Plakaten zu sehen sein wird und sie selbst von Ronald Reagan mit einem Haftbefehl verfolgt wird, verurteilt und schließlich freigesprochen.

Jetzt, während ich den zehnten Newsletter schreibe und die Portraits von Revolutionärinnen verfolge, erkenne ich einen ziemlich logischen Faden, aus dem die Haltung jeder von ihnen entstanden ist: es war das persönliche Erlebnis von Unrecht. Und tatsächlich wiederholt sich dies in jeder Geschichte: keine von ihnen stand eines Morgens auf mit der Entschlossenheit Revolutionärin oder Aktivistin zu werden, ihr Leben zu komplizieren oder es gar dem Kampf zu widmen… vielmehr hat jede, absolut jede von ihnen im Leben Unrecht erfahren, das sich im Laufe der Zeit in Widerspruch verwandelte, und der Widerspruch in Zorn und Widerstand, in den Wunsch, sich auszudrücken, eine Sprache und Form für den Wandel zu finden. Auf die Frage eines Journalisten, wie sie ins Gefängnis kam, ob es durch Gewalt oder Konfrontation geschah - nachdem sie sich zuvor sarkastisch vergewissert hatte, ob sie die Frage wirklich richtig verstanden hatte - antwortet Angela: „Ich wurde in Birmingham, Alabama, geboren“… historisch und sozial ist es klar, mit was sie konfrontiert war, nicht wahr? Doch sie zog den Faden weiter und erwähnte die Erinnerung an den rassistischen Angriff auf die Baptistenkirche, bei dem ihr nahe stehende Kinder starben… „Menschenreste waren überall, wir spürten die Erschütterung der Explosion in unseren Häusern“… Angelas Stimme bricht, sie zittert, sie spricht wie jemand, der etwas herausweinen möchte… „Genau das meine ich, wenn Sie mich fragen, ob ich Gewalt erfahren habe, denn die Person, die eine solche Frage stellt, weiß höchstwahrscheinlich nicht, womit dunkelhäutige Menschen in diesem Land, zur gegenwärtigen Zeit, zu kämpfen haben.“

Wir gehen einige Jahrzehnten weiter und hören eine reifere Angela Davis bei einem ihrer Auftritte, die man leicht im Internet finden kann… betitelt mit „Mainstream Feminism / Bourgeois Feminism“… sie beginnt ihren Auftritt mit den Worten: „Der heutige Mainstream-Feminismus ist ein ernsthaftes Missverständnis… ich bin keine Feministin, ich bin eine schwarze Revolutionärin“… es lohnt sich das zusehen, denn sie erklärt aus ihrer Perspektive, auf bewegende Weise, worin sich die Frauenbewegung von dem Feminismus unterscheidet, der, wie sie andeutet, sich in einer Umarmung mit dem Kapitalismus vereint hat und in privilegierten (weißen, wohlhabenden, sicheren) Umfeldern zu einem weiteren zeitgenössischen Accessoire der kapitalistischen Gesellschaft geworden ist. Es ist wie in der Adoleszenz eine Phase der Selbstfindung zu durchleben und sich als Vegetarierin und Feministin zu definieren - beide Rollen passen hervorragend zu einer Wahl in der reifenden Lebensphilosophie, irgendwo muss man sich finden, sich wogegen positionieren - aber was dann, wo bleibt die revolutionäre Haltung? Was sind die Konsequenzen davon?

Ich habe großes Glück, dass ich in meiner Arbeit Bilder verwenden kann, Bilder und Worte, als Mittel meines Ausdrucks, meiner Äußerung und meiner Philosophie. Doch ich schaffe einen Kalender als weiße Frau, voller Privilegien und bin mir gleichzeitig deren Zerbrechlichkeit bewusst. Ich werde nicht zum zweiten Mal anderswo, anders geboren werden, das ist klar. Doch es geht wohl nicht darum, dass wir uns gegenüberstehen und uns weiterhin gegenseitig das Recht auf Äußerung verweigern, basierend auf dem, was uns trennt, unterscheidet, heraushebt. Denn wenn das so ist, würde das bedeuten, dass die Geschichte sich nicht nach einer Spirale bewegt, sondern in einem Kreis, was einen autosabotierenden Move darstellt, um wieder am selben Punkt zu landen? Privilegiert ist, dass diese und ähnliche Polemiken stattfinden. Mögen wir niemals wieder zur Zensur von Bild und Wort zurückkehren. Mögen wir in der Lage sein, miteinander zu reden, auch wenn wir nicht übereinstimmen, unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben, andere Lasten des Alltags tragen, oder sogar eine völlig andere Vergangenheit. Mögen wir gewillt sein, uns darüber zu erzählen. Immer noch und immer wieder.

Am Ende hinterlasse ich vielleicht einen von vielen schönen Sätzen, die Angela Davis geäußert hat, der einen schönen universellen Klang hat:

„Revolutionäre Hoffnung wohnt gerade unter jenen Frauen, die von der Geschichte verlassen worden sind und nun aufstehen und Gehör fordern. Die Menschen, die auf diese Weise gelitten haben, wenn sie anfangen sich zu erheben, wird die ganze Welt sich zusammen mit ihnen erheben.“

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