Warum Kunst kein Luxus sein sollte
Vor einigen Wochen, mittlerweile eher Monaten, wurde ich eingeladen. Basel, Kunstmuseum, Beuys. Ich musste erstmal googeln. Wer ist dieser Typ? Ich bin nicht mit Kunst aufgewachsen. Stattdessen habe ich ein exquisites Halbwissen, das für Vernissagen, bei denen Alkohol gereicht wird, reicht. Aber Werke, sogenannte Klassiker, (er)kenne ich ohne Google meist nicht. Wenn ich vor Kunst stehe, fühle ich etwas oder nicht. Das ist meine Kategorie für Kunst.
Nun sollte ich also selbst Kunst machen, in Basel. Zu Beuys' Geburtstag. Und zum Thema Mutterschaft. Ich hatte viele Ideen. An Ideen mangelt es mir nie, an Zeit immer. Und so erzählte ich den Kurator*innen von meinen Ideen, sie fanden alle gut.
Das Beuys-Wochenende rückte immer näher und ich wurde immer nervöser. Denn meine Idee setzte voraus, dass ich einen Text schrieb und ihn auswendig lernen müsste. Es war Corona-Herbst, mein Kind kürzer in der Schule als vor Corona. Es kamen die Herbstferien, es kam das Wochenende. Ich hatte es nicht geschafft.
Den Text, den ich am Ende las, schrieb ich auf dem Weg nach Basel im Zug.
Eigentlich
Eigentlich würde ich jetzt schreien. Laut. Sehr laut: Es tut mir leid, ich schaffe gerade gar nichts, außer Überleben. Einen Satz, den ich schreien wollte, seitdem ich ihn das erste Mal schrieb. Danach durch diese Kulisse laufen, mich am Ende auf eine Matratze werfen.
Du musst das unbedingt auswendig machen, schreibt mir Thomas. Er ist Künstler.
Eigentlich würde ich jetzt schreien. Aber statt meinen Text zu lernen, die Performance zu üben, habe ich mich um mein Kind gekümmert. Saß mit meinem Kind drei Stunden im Wartezimmer einer Ärztin. Habe Essen gemacht und mir Gedanken – aber nicht um Kunst, sondern um mein Kind. „Kann ich mal kurz schreien üben?“ habe ich mein Kind gefragt und es hat geantwortet: „Mama, Nein!“
Statt über meine Performance nachzudenken, mir ein Konzept auszudenken und Musik auszusuchen, habe ich mit meinem Kind zu Marky Mark getanzt: Happy People.
I want to see more happy people
Ich bin nicht immer happy. „Halt die Klappe und lass mich einfach mal in Ruhe denken“, habe ich zu meinem Kind gesagt. Ja, so eine Mutter bin ich manchmal. Schlechte Mutter und schlechte Künstlerin. Für beides in gut reicht die Zeit nicht.
Ich mache Überweisungen, ich mache mir Gedanken. Ich rede, ich höre zu, ich unterbreche und ich lasse mich unterbrechen. Ich räume die Spülmaschine ein und die Waschmaschine aus. Ich sollte meine Eltern mal wieder anrufen. Ich mache mir Sorgen, ich mache mir ein Brot. Ich hole mein Kind von der Schule ab, ich bestelle Dinge, ich putze das Klo. Ich müsste mal wieder saugen und zum Zahnarzt. Ich bringe mein Kind ins Bett und schlafe ein.
Vor den Herbstferien sagte ich zu meinem Kind: Ich arbeite dann einfach, wenn du schläfst. In den Herbstferien schlief ich ein, wenn ich mein Kind ins Bett brachte. Spätestens dann. Manchmal auch vor meinem Kind.
Beuys sagt: Jeder Mensch ist ein Künstler.
Ich sage: Jeder Mensch, der Zeit hat, kann ein Künstler sein. Selbstbestimmte Zeit. Jeder Mensch, der sich Zeit für Kunst nehmen kann, kann ein Künstler sein. Kunst ist ziemlich viel Ego, Mutterschaft ist das Gegenteil von Ego.
Aber nicht die Kunst ist das Problem, das Problem ist das Problem. Das Problem ist, dass Menschen unterschiedliche Voraussetzungen haben, Sachen zu machen. Einen Spaziergang, Wolken beobachten oder einen Text auswendig lernen. Das Problem ist die Gesellschaft, in der wir leben, arbeiten, Kunst machen. Eine Gesellschaft, die nicht für Kinder gemacht ist und auch nicht für ihre Mütter.
Also stehe ich hier, habe nichts auswendig in meinem Kopf, keine coole Performance. Nur uncoole Zettel in der Hand und viele nicht umgesetzte Ideen in meinem Kopf. Ich erfülle nicht die Erwartungen an mich, weder als Mutter, noch als Künstlerin. Ich scheitere, eigentlich jeden Tag.
Beuys sagt: Ich kann nur die Dinge produzieren, so gut ich es kann. Aber wie gut kann ich Dinge produzieren, wenn ich keine Zeit habe? Wenn ich zu wenig Zeit habe für die Produktion, weil ich mich um einen anderen Menschen kümmern muss und kümmern möchte? Wie gut könnten die Dinge sein, die ich produziere? Wie gut könnte ich sein?
Ich muss Essen machen. Ich muss das Kind ins Bett bringen. Ich muss zuhören. Ich muss mitdenken. Ich muss Brote schmieren. Ich muss Geld verdienen. Ich muss da sein.
Wollten Sie nie Kinder haben? Die Künstlerin Marina Abramovic antwortet: „Nein. Nie. Ich habe drei Mal abgetrieben, weil ich überzeugt war, dass es ein Desaster für meine Arbeit wäre. Man hat nur so und so viel Energie in seinem Körper, und die hätte ich teilen müssen. Das ist meiner Ansicht nach der Grund, warum Frauen in der Kunstwelt nicht so erfolgreich sind wie Männer.“
Eigentlich wäre Mutterschaft ein gutes Thema in der Kunst. Mutterschaft ist politisch, Kunst ist es auch. Und Kunst ist ein Abbild unserer Gesellschaft. Die Malerin und Mutter Despina Stokou schreibt in ihrem Essay Motherfucker: Im A-Z der Misogynie steht M nicht für Menstruation oder Menopause. M steht für Mutterschaft.
Eigentlich träume ich von einem Stipendium. Ein Ort, an dem ich Zeit bekomme zum Denken und zum Schreiben und zum Performance üben. Ich klicke mich durch die Suchmaschinen und finde viele Reise- oder Residenzstipendien. Die meisten kommen für Mütter, insbesondere kleiner Kinder, nicht in Frage. Die Bewerbungsbestimmungen schließen mich aus.
Kunst ist Luxus, wenn man Mutter ist. Sich das überhaupt zu erlauben: Dinge zu tun, die auf den ersten Blick keinen kapitalistischen oder kümmernden Sinn haben. Und auf den zweiten auch nicht. Zeit ist Luxus.
Beuys sagt: Die Ursache liegt in der Zukunft. Die Ursache meines Unwohlseins liegt in meiner Utopie. Ich ahne, wie es sein könnte. Ich sehe mich, wie ich schreie und mich am Ende müde auf eine Matratze fallen lasse. Ungestörtheit ist der seltenste mütterliche Aggregatzustand. Es könnte wirklich gut werden.
Eigentlich.
Vielleicht ist Kinderhaben wirklich das Gegenteil von Kunst.
Eigentlich wäre ich wirklich gerne beides: Künstlerin und Mutter. Kein Entweder-Oder, sondern Und. Bis dahin schreie ich leise.
Kunst darf kein Luxus sein. Kunst muss zugänglich sein – sowohl für die Machenden als auch für die Konsumierenden. Wenn ich Kunst richtig verstehe – und ich hoffe, dabei gibt es kein Falsch und kein Richtig, obwohl ich diese Kategorien sonst oft gern hab – dann ist Kunst ein Kommentar zur Gegenwart. Manchmal auch zur Vergangenheit und/oder Zukunft.
Wenn Kunst – Machen und Anschauen, Hören, Fühlen – nur für einen bestimmten Teil unserer Gesellschaft zugänglich ist, ist das nicht gut. Weder für die Kunst, noch für die Gesellschaft.
Und ich glaube, Kunst wird dann auch besser.
Ich freue mich, wieder in Basel eingeladen zu sein. Am 14. Mai 2022 darf ich den Workshop SHOW YOUR LOVE (Si apre in una nuova finestra) leiten. Er ist Teil der Workshop-Reihe Researching Motherhood (Si apre in una nuova finestra), in der es um Mutterschaft und Sorgearbeit im Kontext von Kunst, Kultur und Institutionen geht. Der Einritt ist frei, Kinder sind willkommen.
P.S.: Teile des Textes Eigentlich stehen auch in meinem Buch Das Unwohlsein der modernen Mutter (Si apre in una nuova finestra).
https://open.spotify.com/track/4RybvT8lyLLjkWXqmAuZnX?si=5c827c9e17de45a7 (Si apre in una nuova finestra)