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Das Patriarchat hat meinen Kinderwunsch ruiniert

Meine größte Angst ist, dass ich ein Kind mit einem Mann kriege und realisiere, dass er kein guter Vater und Partner ist. Ich fürchte mich nicht vor Spinnen, nicht in der Dunkelheit, nicht mal so richtig vor dem Tod. Aber die Vorstellung, dass ich Mutter werde und die Verantwortung für ein Kind alleine tragen muss, meine eigenen Träume nicht mehr verfolgen kann, in einer Partnerschaft um des Kindes Willen bleibe oder abhängig von meinem Partner bin, versetzt mich in blanke Panik.

Ich finde, diese Szenarien sind nicht unrealistisch und auch nicht übertrieben von mir. Ich erlebe sie Tag für Tag, in Generationen von Frauen. Mütter führen ein anderes Leben als Väter, das begriff ich schon als Kind, wenn ich den Gesprächen der Frauen in meiner Familie lauschte. Sie erzählten einander von der Last ihres Alltags, von ihren Kindern und Ehemännern, ihrer Müdigkeit. Meine Großmutter hatte als Witwe plötzlich kaum noch Geld, weil sie ihr Leben lang Mutter und Hausfrau sein musste. Meine eigene Mutter musste ihr Studium aufgeben, als sie in jungen Jahren schwanger wurde. Ich bin die erste Frau in meiner Familie, die die Möglichkeit hat, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und allein diese Tatsache lässt mich Elternschaft in ganz anderen Augen sehen.

Jetzt könnte man argumentieren, dass sich die Zeiten geändert haben, dass meine Großmutter und Mutter abhängiger von Männern waren, als meine Generation. Mein finanzieller und sozialer Status wird nicht mehr durch Mutterschaft oder Ehe bestimmt. Und natürlich gibt es mittlerweile mehr Männer, die sich die Kindererziehung fair aufteilen, gleichwertig Care-Arbeit leisten und anwesende Väter sein wollen. Aber warum hat dann immer noch fast jede Freundin in meinem Umfeld Angst, ihre Karriere irgendwann für ein Kind aufgeben zu müssen? Warum können Männer einfach sagen: „Ja, ich will Kinder“ oder „Nein, ich will keine Kinder“, während die Entscheidung für eine Frau einer feministischen, politischen und persönlichen Zäsur gleicht? Hat sich an den patriarchalen Strukturen in unserer Gesellschaft wirklich so viel verändert, dass eine Mutterschaft mich heutzutage nicht mehr in traditionelle Geschlechterrollen fallen lässt?

Nehmen wir an, ich kriege ein Kind mit einem Mann. Statistisch gesehen werde ich in meinem Beruf wahrscheinlich schlechter bezahlt als er (der Gender Pay Gap in Österreich lag heuer bei 16,6 Prozent), weshalb wir vielleicht aus finanziellen Gründen entscheiden würden, dass ich in Karenz gehe. Vielleicht hat mein Partner aber auch einfach keine Lust auf Karenz: Immer weniger Väter unterbrechen ihre Karriere für die Kinderbetreuung. Die Zahl der Väter in Karenz mag auf lange Sicht gestiegen sein, die Dauer wird aber immer kürzer. Nur ein Prozent der Väter in Österreich geht sechs Monate oder länger in Karenz, zeigt eine aktuelle AK-Studie (Si apre in una nuova finestra). Laut Statistik stehen die Chancen also gut, dass ich mich hauptsächlich um unser Kind kümmern werde und somit wahrscheinlich auch um den Rest der Sorgearbeit: Frauen übernehmen durchschnittlich fast doppelt so viel unbezahlte Care-Arbeit wie Männer.

Ein Kind zu bekommen bedeutet, meine Karriere zu riskieren, vielleicht sogar aufzugeben. Es gibt immer noch zu wenig Kinderbetreuungsplätze und viele davon sind nicht mit Vollzeitberufen vereinbar. Die meisten Frauen wechseln in Teilzeitberufe, nur die Hälfte der Mütter arbeitet nach der Karenz in der gleichen Position weiter. Jede Dritte kehrt gar nicht in den alten Job zurück (Studie "Working Parents & Beyond" (Si apre in una nuova finestra), 2024). Langfristig riskiere ich mit einem Kind neben der Mehrfachbelastung und dem Stress also auch finanzielle Benachteiligung und potenzielle Altersarmut. Ich muss weiter arbeiten gehen, wenn ich nicht komplett abhängig von meinem Partner sein will und gleichzeitig den Hauptteil der Care-Arbeit leisten.

Wenn ich mich trenne, bin ich nicht nur alleinerziehend, sondern auch deutlich eher armutsgefährdet oder sozial ausgegrenzt. Ich weiß, dass alleine aus diesem Grund viele Mütter meiner Freund*innen niemals ihre Ehemänner verlassen könnten. Mütter, die auf Papier nie alleinerziehend waren, aber im Alltag schon, die unsere Windeln wechselten, die kochten, putzten, uns versorgten, wenn wir krank waren, Hausaufgaben mit uns machten, all unsere Geschenke besorgten, uns trösteten. „Aber die alleinerziehende Mutter, obwohl oft überstrapaziert, oft verarmt, viel zu oft müde oder sogar erschöpft, ist nicht so einsam wie die Hausfrau, die mit einem cis Mann zusammenlebt, der sie nicht schätzt und nie hilft”, schreibt die Autorin Jacinta Nandi in ihrem Buch 50 ways to leave your Ehemann.

Das Absurde ist, dass ich eigentlich Kinder haben will, seit ich denken kann. Wenn ich mir als Jugendliche mein erwachsenes Ich vorstellte, sah ich mich schwanger und umgeben von Kindern, einer Familie so groß wie eine Fußballmannschaft. Aber je älter ich werde, desto ungerechter empfinde ich Mutterschaft und desto unrealistischer wird das Bild von mir als Mutter, obwohl ich gerne eine wäre. Doch irgendwann muss ich mich entscheiden, dafür oder dagegen. Und mit jedem Jahr, das vergeht, spüre ich den Druck der Gesellschaft mehr. “Deine fruchtbarsten Jahre sind jetzt”, meinte eine Frauenärztin einmal zu mir. Ich will aber keine Kinder kriegen, nur weil ich gerade noch “fruchtbar genug” bin. Andererseits wird eine Schwangerschaft ab einem Alter von 35 Jahren automatisch als Risikoschwangerschaft eingestuft. Es fühlt sich an, als würde mir die Zeit davonlaufen.

Meine heterosexuellen Freundinnen und ich sprechen andauernd über dieses Thema. Ich frage mich, ob junge Männer jemals untereinander über Vaterschaft reden bis zu dem Zeitpunkt, wenn einer von ihnen tatsächlich Vater wird. Wir gehen jedenfalls all die verschiedenen, positiven und negativen Auswirkungen, jedes erdenkliche Szenario einer Mutterschaft durch. Eine Sache, die uns jedes Mal an den Rand der Verzweiflung bringt, ist die Vorstellung von Männern als Väter. Woher sollen wir wissen, ob ein Mann ein guter Vater sein wird? Ab welchem Zeitpunkt weiß man das oder kann man das überhaupt garantieren? Und selbst wenn mein Partner ein guter Vater sein wird, werde ich als Mutter im Patriarchat nicht trotzdem immer den Kürzeren ziehen, solange es keine politische Veränderung gibt?

Meine Freundin war einmal mit einem ziemlich toxischen Typen zusammen. Es war seine Mutter, die zu ihr sagte: “Überlege dir gut, mit wem du ein Kind kriegst. Du kannst alles machen, du kannst heiraten und dich scheiden lassen. Aber ein Kind verbindet dich für immer mit ihm. Das kannst du nicht mehr rückgängig machen.” Ich denke ständig daran. Wenn ich mit den Männern, die ich datete, über das Kinderkriegen sprach, wurde ich regelrecht wütend. Sie redeten mit einer solchen Leichtigkeit darüber: “Ich will früh Vater werden, damit meine Kinder mich noch in meinen besten Jahren erleben” oder “Elternsein ist sicher anstrengend, aber das haben alle anderen auch hingekriegt”. Sie verloren kein Wort über den Gender Pay Gap oder zu wenige Kinderbetreuungsplätze oder Care-Arbeit oder die biologische Uhr. Jedes Mal dachte ich dann an eine junge Frau, die in einem TikTok sagte: “Ich würde nur Kinder kriegen wollen, wenn ich ein Vater wäre.”

Es gäbe einen Weg, all meinen Ängsten ein Ende zu setzen: Ich bekomme keine Kinder. Damit wäre ich nicht alleine: Der Kinderwunsch schwindet weltweit, nicht zuletzt aufgrund von Klimawandel, Kriegen und Teuerung. In ganz Europa werden immer weniger Kinder geboren, letztes Jahr sank die Geburtenrate besonders drastisch, etwa in Deutschland um sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Immer mehr Frauen entscheiden sich aus feministischen Gründen gegen Kinder, wie das aktuell viel diskutierte 4B-Movement zeigt, über das ich hier schon im Juni (Si apre in una nuova finestra) geschrieben habe. Es gibt aber unendlich viele, individuelle Gründe, warum eine Frau entscheidet, keine Kinder zu bekommen und diese Gründe gehen den Rest der Welt nichts an. Aber das Patriarchat vermittelt uns ein ganz bestimmtes Bild von kinderlosen Frauen. Das zeigt etwa die Kommentarspalte unter Beiträgen der Unternehmerin Madeleine Alizadeh (dariadaria (Si apre in una nuova finestra)), in denen sie darüber spricht, keine Kinder zu wollen. Für diese persönliche Entscheidung erntet sie Hass, Unverständnis und übergriffige Unterstellungen, etwa dass sie das kinderlose Leben irgendwann garantiert bereuen wird.

Diese Vorwürfe und Manipulation erleben viele Frauen auch in der eigenen Familie. In einem New York Times-Artikel interviewte man unlängst ältere Menschen über ihre “unausgesprochene Trauer”, niemals Großeltern zu werden. Gerade in den USA, wo immer mehr Frauen durch Abtreibungsverbote das Recht verlieren, selbstbestimmte Entscheidungen über ihren Körper zu treffen, wirkt der Text zynisch. Eine Userin kommentiert unter dem Artikel auf Instagram: “Read the room. The planet is dying, childcare and housing is unaffordable, and women risk death with every pregnancy. Why is this the topic you’re reporting on? Maybe ask the younger generations about their grief.”

Ich habe jetzt noch gar nicht über die Herausforderungen einer Schwangerschaft und Geburt gesprochen, über die kräftezerrenden Wochen danach, die mögliche postpartale Depression, die viele Mütter betrifft, die Einsamkeit, die Anfeindungen im Alltag, das “Momshaming” und der öffentliche kinderfeindliche Raum. Darüber, dass viele Themen rund um Kinder tabuisiert werden, dass Frauen, die nicht schwanger werden können, finanziell und emotional alleine gelassen werden, dass etliche Frauen Fehlgeburten erleiden, aber das Gefühl haben, mit niemandem über ihre Trauer sprechen zu können. Allen Müttern, die diesen Text lesen, fallen gerade noch hundert weitere Ungerechtigkeiten ein, die sie tagtäglich erleben und die für den Rest der Gesellschaft unsichtbar bleiben. Ihr seid meine Heldinnen. Und ich frage mich oft, ob es all diese Missstände auch gäbe, wenn Männer Kinder gebären würden.

Eure Bare Minimum-Autorin

In BARE MINIMUM gibt die anonyme Autorin einen Einblick in das Datingleben einer heterosexuellen Frau in ihren Zwanzigern. Die Kolumne erscheint jeden Monat, exklusiv für alle Steady-Abonnent*innen der Chefredaktion. Bald ist Weihnachten, schenkt doch einer Person, der diese Kolumne gefallen könnte, eine Mitgliedschaft und somit diese Kolumne, und unterstützt unseren jungen Journalismus: 

Mann der Woche

Petar Rosandić ist eher unser Mann des Jahres, und zwar jedes Jahr. Er ist Obmann der humanitären Hilfsorganisation SOS Balkanroute, die sich in Bosnien und Serbien an der EU-Außengrenze um Geflüchtete kümmert und für ihre Menschenrechte einsetzt. Die Geflüchteten sind massiver Grenzgewalt ausgesetzt und versuchen gerade, den Winter in leerstehenden Fabriken und Wäldern bei Minusgraden zu überleben. Seit 5 Jahren sammelt Petar mit der SOS Balkanroute deshalb jeden Winter Sachspenden. In Graz und Linz gibt es im Dezember noch Termine zur Übergabe, mehr dazu hier:

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Von der Dubai-Schokolade können wir alle schon nichts mehr hören. Aber wie kommt es eigentlich, dass so teure Produkte gehyped werden, während immer mehr Menschen Probleme haben, einfache Lebensmittel zu bezahlen? Wir haben mit einem Fine Dining Koch und Expert*innen aus den Food Studies gesprochen, die zu einer extrem spannenden Erkenntnis kommen. Unbedingt reinschauen:

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