Passa al contenuto principale

„Gott spricht nicht nur zu Männern“

LGBTQ-Aktivistin in Uganda

Ssenfuka Joanita Warry kämpft gegen Homophobie und Kirchenhierarchien. Ihre Mission: Die Sichtbarkeit von queeren Menschen und die Gleichstellung von Frauen.

Von Helena Kreiensiek, Kampala

Zusammenfassung

Ssenfuka Joanita Warry, eine LGBTQ-Aktivistin aus Uganda, kämpft gegen Homophobie und Kirchenhierarchien. Als Vorsitzende von „Freedom and Roam Uganda“ unterstützt sie queere Frauen in einem Land, das seit 2023 eines der härtesten Anti-Homosexualitätsgesetze weltweit hat. Warry setzt sich für Gleichberechtigung und Aufklärung ein, trotz starker religiöser und gesellschaftlicher Widerstände. Sie gründete „Faithful Catholic Souls“ für katholische queere Menschen und plant, weiterhin gegen das diskriminierende Gesetz vorzugehen. Ihre Arbeit ist ein mutiger Schritt für die Rechte und Sichtbarkeit von LGBTQ-Menschen in Uganda.

Langsam gleitet der Rosenkranz durch die Hände von Ssenfuka Joanita Warry. Bei jeder der regenbogenfarbenen Perlen hält die Uganderin kurz inne, bevor die Gebetskette weiter in der Runde wandert. Statt aus Holz ist sie aus bunten Plastikkugeln. Die 41-Jährige hält nicht viel von konservativen Regeln und Wertvorstellungen. Angst davor, irgendwo anzuecken, hat sie nicht. „Mit dem Thema bin ich durch“, erzählt sie mit tiefer Stimme.

Und so glitzert an ihrem Kinn ein Piercing, den Oberarm ziert ein Tattoo. Auf dem silbernen Anhänger ihrer Halskette sind zwei ineinander verschlungene Venussymbole zu sehen. Ssenfuka Joanita Warry – von Freund*innen „Biggy“ genannt – ist LGBTQ-Aktivistin in Uganda und Vorsitzende der Organisation „Freedom and Roam Uganda“, kurz Farug. Eine Organisation, die queere Frauen unterstützt. Eine Arbeit, die seit Mai 2023 noch wichtiger geworden ist.

„Vor gut einem Jahr wurde in Uganda eines der härtesten Anti-Homosexualitätsgesetze weltweit verabschiedet“, erklärt Warry. Bei einvernehmlichen gleichgeschlechtlichen Handlungen droht nun im schlimmsten Fall lebenslängliche Haft. Enthalten ist auch eine Klausel zu sogenannter „schwerer Homosexualität (Si apre in una nuova finestra)“. Hierbei kann gleichgeschlechtlicher Sex mit einer Person die älter als 75 oder jünger als 18 Jahre ist oder die mit einer Behinderung lebt, mit dem Tode bestraft werden.  

Gesetzlich verankerte Homophobie 

Zwar war in dem ostafrikanischen Land Homosexualität auch schon vor der Verabschiedung des Gesetzes 2023 strafbar, doch hat sich die Situation seither noch einmal drastisch verschärft, sagt die Menschenrechtsanwältin Justine Balya vom „Human Rights Awareness and Promotion Forum“.

Nicht nur, dass die Gesetzeslage nun die Diskriminierung und Verfolgung queerer Menschen legal macht. Im Vorfeld hatte es über Monate eine konsequente Hetzkampagne in sozialen Netzwerken und ugandischen Medien gegeben. Das Argument: LGBTQ-Menschen würden Kinder an Schulen gezielt in die Homosexualität rekrutieren, es drohe der Zerfall von moralischen und religiösen Werten. „Den Menschen ist Angst gemacht worden“, erklärt Balya.

Laut einem Bericht (Si apre in una nuova finestra) der Organisation hat die Zahl der Festnahmen und gewalttätigen Übergriffe auf LGBTQ-Personen in den vergangenen Monaten zugenommen. Allein im Juni und Juli 2023, nur einen Monat nach der Verabschiedung des Gesetzes, verzeichnete die Organisation insgesamt 149 Vorfälle. Darunter die Vertreibung aus gemieteten Wohnungen, Androhungen von Gewalt und körperliche Übergriffe. Ein direktes Resultat der Hetze und des fehlenden Schutzes durch das ugandische Polizei- und Justizsystem. Die meisten gewalttätigen Übergriffe werden – straffrei – von radikalisierten Bürger*innen verübt. 

Religion und Hetze

Dass das Klima so aufgepeitscht sei, gehe vor allem auf zahlreiche Parlamentarier*innen und religiöse Führungspersönlichkeiten zurück, sind sich Ssenfuka Joanita Warry und Justine Balya einig. Viele Menschen mit Einfluss hätten in den vergangenen Monaten homophobe Botschaften gepredigt. „Das ging querbeet durch sämtliche Glaubensrichtungen. Ob Kirche oder Moschee, sie alle spielten dabei eine wichtige Rolle“, so Warry.

„In Uganda gibt es einen Interreligiösen Rat in dem alle Glaubensrichtungen des Landes vertreten sind“, erzählt sie weiter. Auch dieser, also die wichtigste religiöse Instanz des Landes, hatte sich in den vergangenen Monat für ein Anti-Homosexualitätsgesetz ausgesprochen und damit zu einer schleichenden Radikalisierung beigetragen. Beim Gedanken an die vergangenen Monate atmet Warry langsam ein und schweigt dann einen Moment. Auch ihre Organisation, Farug, musste nach 15 Jahren ihr Büro räumen.

Der Vermieter hatte ihnen kurzerhand gekündigt, nachdem mit der Verabschiedung des Gesetzes auch die Vermietung von Räumlichkeiten als „Unterstützung homosexueller Aktivitäten“ galt und plötzlich strafbar war. Vor dem Obersten Gerichtshof hatte ein Zusammenschluss von Aktivist*innen Klage eingereicht, um das Gesetz zu kippen. Farug war Teil davon.

„Das Gesetz ist immer noch in Kraft, aber zumindest wurden einige Paragraphen gestrichen, darunter die Kriminalisierung der Vermietung von Immobilien an queere Menschen“, erklärt die Aktivistin. Sie und ihre neun Kolleg*innen haben ein Jahr nach dem Rauswurf immer noch kein neues Büro gefunden. Auch wenn der Paragraph neuerdings gestrichen ist, haben Hausbesitzer*innen in dem herrschenden Klima nach wie vor Sorge, an eine Organisation wie Farug zu vermieten.

Ein Gott für alle

Es schmerze sie – insbesondere dass die Kirche die Bevölkerung so aufwiegele. Da queere Menschen in den meisten Kirchen nicht gerne gesehen sind, hat die gläubige Katholikin vor einigen Jahren die „Faithful Catholic Souls“ ins Leben gerufen, einen Zusammenschluss für katholische queere Menschen. „Gott spricht nicht nur zu Männern“, sagt sie. „Gott spricht auch zu Frauen und queeren Menschen. Homosexuell zu sein bedeutet nicht, dass der Glaube aufgegeben werden muss. Tatsächlich predigen Priester dies.“ 

Ssenfuka Joanita Warry kämpft mit anderen Aktivist*innen und Menschenrechtsanwält*innen immer noch gegen das Anti-Homosexualitätsgesetz. Aber auch die katholische Kirche braucht Veränderung, findet sie. Gerade im Zusammenhang mit Religion herrsche viel Unwissenheit über Homosexualität. Die Aktivistin nutzt daher jede Gelegenheit, um aufzuklären und eingefahrene Strukturen aufzubrechen.

Den „Mund zu halten“, ist keine Option. Eine Eigenschaft, mit der sie sich gerade in hochrangigen Kirchenkreisen nicht beliebt gemacht hat. Ein Schwerpunkt der „Faithful Catholic Souls“ ist es, religiöse Führer*innen über Homosexualität aufzuklären. „Wir sensibilisieren dafür, dass LGBTQ-Menschen keine Sünder*innen sind.“ Die wirkliche Sünde sei doch, dass die Heilige Schrift benutzt werde, um Hass zu säen.

Sie sei in einer sehr religiösen, konservativ geprägten Familie in den Vororten von Kampala aufgewachsen. Homosexualität galt auch dort als Sünde. „Jemand aus meiner damaligen Kirche hat mir ein Buch gegeben, um mich über die Gefahren von gleichgeschlechtlicher Liebe zu warnen. Damals war ich 14.  Als ich darin gelesen habe, dass es Frauen gibt, die Frauen lieben, und dass diese Lesben genannt werden, hatte ich endlich ein Wort für das, was ich damals schon gefühlt habe.“

Einfacher wurde es dadurch nicht. Viele Jahre habe sie ihre Sexualität verschwiegen. Auch vor ihrer Familie, bis sie bei Farug endlich Gleichgesinnte traf. Heute ist sie die Vorsitzende der Organisation und versucht, queeren Frauen die Unterstützung zu geben, die sie dort fand. Vor allem erzkonservative evangelikale Gruppen aus den USA haben in den vergangenen Jahren Millionenbeträge in den afrikanischen Kontinent gepumpt, um homophobe Gesetze zu fördern.

Finanzierung aus dem Ausland

Laut Recherchen der Medienplattform „OpenDemocracy“ (Si apre in una nuova finestra) sind zwischen 2007 und 2020 mindestens 50 Millionen Euro nach Afrika geflossen. Fast die Hälfte dieses Geldes wurde demnach allein in Uganda ausgegeben. Und tatsächlich sind in den vergangenen Jahren nicht nur in Uganda homophobe Debatten aufgeflammt. Laut der Menschenrechtsorganisation „Amnesty International“ hat sich 2023 (Si apre in una nuova finestra) in mehreren afrikanischen Ländern die Lage für LGBTQ-Personen dramatisch verschlechtert.

In zwölf Ländern – darunter Uganda – wurden diskriminierende Gesetze eingebracht oder verabschiedet. Seit Jahren versuchen evangelikale Gruppen, Einfluss auf die ugandische Politik zu nehmen, berichtet der Menschenrechtsanwalt und LGBTQ-Aktivist Frank Mugisha. Gelder flössen in Form von religiöser Entwicklungshilfe und Politiker*innen bekämen internationale Reisen zu Konferenzen über sogenannte Familienwerte gesponsert. Die Werte, die dort gepredigt werden, sehen keinen Platz für die gleichgeschlechtliche Liebe vor.

Bereits 2014 hatten US-basierte Kirchen die Entstehung eines homophoben Gesetzes in Uganda maßgeblich mitfinanziert. Hintergrund sind sogenannte „culture wars“, zu Deutsch „Kulturkämpfe (Si apre in una nuova finestra)“, sagt Mugisha. Der vom amerikanischen Soziologen James David Hunter geprägte Begriff bezeichnet ideologische Spaltungen in der Gesellschaft zu Themen wie Abtreibung, Impfpolitik, Sexualunterricht oder auch Homosexualität. Während der Einfluss dieser Strömungen in den USA graduell schwindet, fällt die Ideologie in Uganda auf fruchtbaren Boden.  

Kirche strahlt große Anziehungskraft aus 

In einem Land, dessen Bevölkerung mehrheitlich unter Armut leidet, übt vor allem das von evangelikalen Kirchen gepredigte „Wohlstandsevangelium“ eine große Anziehungskraft aus. Dieses verbindet den Glauben an Gott mit finanziellem Erfolg. Vor allem auf den großen Kreuzungen und in den Armenvierteln der Hauptstadt Kampala sind Straßenprediger*innen längst ein gewohnter Anblick. Mit Mikrofon und Lautsprecherboxen ausgestattet, oft auf eigene Kosten angemietet, predigen treue Kirchengänger*innen dort ungefiltert evangelikale Botschaften – und sind mitverantwortlich für den großen Rückhalt, den das Anti-Homosexualitätsgesetz in der Bevölkerung genießt.

Der erste Versuch 2014, ein solches Gesetz durchzusetzen, scheiterte. Es wurde vom ugandischen Verfassungsgericht aus verfahrenstechnischen Gründen für ungültig erklärt. Dieses Mal aber wurden die Gesetze verschärft. Warry wird sich davon nicht aufhalten lassen. „Wir lösen uns ja nicht in Luft auf“, sagt die 41-Jährige mit Blick auf die aktuelle Lage. Sie ist eine Kämpferin – und will es bleiben. Gemeinsam mit anderen ugandischen Aktivist*innen plant sie bereits den nächsten Schritt, um erneut gerichtlich gegen das Anti-Homosexualitätsgesetz vorzugehen.

0 commenti

Vuoi essere la prima persona a commentare?
Abbonati a DEINE KORRESPONDENTIN e avvia una conversazione.
Sostieni