Femizid in Somalia
Getötet, weil sie Frauen sind
In Somalia sind Frauen das wirtschaftliche Rückgrat der Gesellschaft und emotionale Band der Familie. Dennoch nimmt die Gewalt gegen Frauen innerhalb der Familie zu und die Zahl der Femizide steigt dramatisch an. Drei Todesfälle von Frauen aus Mogadishu gerieten auf Grund seiner Brutalität international in die Schlagzeilen. Woher kommt die Gewalt?
Von Sabrina Proske, München / Mogadishu
In Somalia steigt die Zahl der Femizide dramatisch, während Frauen das wirtschaftliche Rückgrat der Gesellschaft bilden. Gewalt gegen Frauen innerhalb der Familie nimmt zu, was sich in Fällen wie dem Mord an Lul Abdi Aziz Jazirain zeigt, die von ihrem Mann verbrannt wurde. Trotz fehlender spezifischer Gesetze gegen häusliche Gewalt kämpfen Aktivistinnen wie Amina Haji Elmi für rechtliche Reformen und die Stärkung von Frauenrechten. Clan-Systeme und gesellschaftliche Traumatisierungen verschärfen die Lage. Die Verurteilung von Jazirains Mörder könnte jedoch einen Wendepunkt darstellen.
Allein im Januar 2024 wurden weltweit 240 Frauen von ihren Ehemännern, Brüdern, Vätern oder Söhnen getötet. Sie wurden erschossen, erstochen, enthauptet, ertränkt, verstümmelt, zu Tode vergewaltigt oder angezündet. Eine dieser Frauen ist die 28-jährige Lul Abdi Aziz Jazirain. Sie war schwanger. Jetzt liegt die Somalierin auf einer Liege im Krankenhaus in Mogadishu, ihr lebloser Körper ist mit einem weißen Tuch bedeckt.
Auf Telegram machen die Fotos ihrer Leiche die Runde, unverpixelt und mit allen Details zur Tat. Am 26. Januar übergoss ihr Ehemann Sayid Ali Moalim sie mit Benzin und verbrannte sie bei lebendigem Leib. Eine Nachbarin hörte den heftigen Streit und brach die Eingangstür der Wohnung auf. Nach sieben Tagen starb Lul Abdi Aziz Jazirain im Digfer Krankenhaus.
Somalia hat weltweit eine der höchsten Raten geschlechtsspezifischer Gewalt. Die extreme Form ist der Femizid, die Tötung von Mädchen und Frauen für die Tatsache, dass sie Frauen sind. Laut den Vereinten Nationen gab es im Jahr 2021 einen alarmierenden Anstieg konfliktbedingter Gewalt in Somalia um 80 Prozent. In 62 Prozent der Fälle ist der Ehemann der Täter.
Wie hoch die Femizidrate in dem ostafrikanischen Land ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Aufgrund des seit 1988 andauernden bewaffneten Konflikts zwischen Warlords, Clans und Milizen sowie der verheerenden humanitären Krisen durch Dürren und Heuschreckenplagen gibt es keine Statistik, die alle Todesfälle zentral dokumentiert.
Demonstrationen in Mogadishu
Das Hamar Weyne-Viertel von Mogadishu bebt an diesem Freitag Anfang Februar. Als Reaktion auf den Tod von Lul Abdi Aziz Jazirain haben ihre engsten Verwandten zu einer Protestaktion vor dem Digfer Krankenhaus im Zentrum Mogadishus aufgerufen. „Gerechtigkeit für Lul Abdi Aziz Jazirain“ steht auf den unzähligen Bannern, die von den Demonstrantinnen hochgehalten werden.
Die Frauen schnalzen mit ihren Zungen, schrilles Pfeifen begleitet den Demonstrationszug. Im Inneren des Krankenhauses ist es durch die heruntergelassenen Lamellen dunkel. Die engsten Verwandten der Getöteten sprechen mit gedämpfter Stimme, als würden sie Jazirain ansonsten aufwecken.
Selbst für Somalia, wo nach mehr als drei Jahrzehnten Konflikt Tod und Gewalt zum Alltag vieler Somalier*innen gehören, zeugten die Morde an Lul Abdi Aziz Jazirain und zwei weiteren Frauen von außerordentlicher Brutalität. „Alle Frauen, die auf die Straße gehen und sich solidarisch zeigen, sind sehr mutig“, sagt Amina Haji Elmi, Aktivistin und Vorsitzende der seit 1992 bestehenden somalischen Nichtregierungsorganisation „Save Somali Women and Children“.
„In einem Land, in dem jeder eine Waffe besitzt, können Frauen jederzeit auf der Straße erschossen werden“, erklärt sie in einem Zoom-Call nach Deutschland. Auf die Frage, ob auch Frauen eine Waffe zur Verteidigung tragen würden, lacht sie nur. „Frauen sind Friedensstifterinnen.“ Elmi kämpft gegen Gewalt in Somalia und Frauenmorde. „Geschlechtsspezifische Gewalt ist ein riesiges Problem in Somalia“, erzählt sie. Männer fänden immer einen Grund, ihre Frau zu schlagen. Zu viele Frauen akzeptierten das.
Stärkung von Frauenrechten
Amina Haji Elmi fordert daher – mit weiteren Frauenrechtsorganisationen in Somalia – eine Gesetzesreform. „Wir wollen betroffenen Frauen ihre Würde zurückgeben und einen rechtlichen Rahmen schaffen.“ Bisher gibt es kein spezifisches Gesetz gegen häusliche Gewalt in Somalia. Es gelte lediglich als schlechte Verhaltensweise von Männern, nicht als Menschenrechtsverletzung. „Aber Gewalt gegenüber Frauen ist kein Kavaliersdelikt.“ Dabei ist Somalia kein Einzelfall. Auch in Deutschland ist ein Femizid bis heute kein eigener Straftatbestand.
Seit 2018 gilt in Deutschland die Istanbul-Konvention, ein 2011 verabschiedeter völkerrechtlicher Vertrag, der verbindliche Rechtsnormen gegen geschlechtsspezifische Gewalt schafft. Dennoch hat Deutschland laut Europarat erhebliche Mängel beim Schutz von Frauen. Es fehlen mehr als 14.000 Plätze in Frauenhäusern.
Außerdem gibt es nur unzureichenden Schutz für vulnerable Gruppen wie Frauen mit psychischen Beeinträchtigungen, Drogenabhängige oder Wohnungslose. Laut dem Bundeskriminalamt sterben in Deutschland jährlich mehr als 100 Frauen durch die Hand ihres (Ex)-Partners. Damit liegt es damit im europäischen Mittelfeld.
Nach der Mordreihe in Mogadishu veröffentlichte das ostafrikanische Frauennetzwerk SHIA in den sozialen Medien eine Erklärung, in dem sie den unzureichenden Rechtsrahmen innerhalb der somalischen Regierung für die Morde an den Frauen verantwortlich macht. Das Fehlen einer raschen und wirksamen Rechtsprechung für Überlebende in Verbindung mit einer laxen Durchsetzung der Gesetze ermutige die Täter und setze den Kreislauf der Gewalt fort, heißt es darin.
Traumatisierte Männer
Amina Haji Elmi sieht hinter den drei Morden ein viel größeres gesellschaftliches Problem: „Viele Männer in Somalia sind höchst traumatisiert vom Bürgerkrieg.“ Sie haben Messerattacken im Blutrausch, Massenvergewaltigungen oder Kinder mit Sprengstoffgürteln erlebt – Erinnerungen, die sie nur durch eine Traumatherapie in den Griff bekommen könnten. Die sind in Somalia jedoch rar und für die meisten Betroffenen zu teuer. Stattdessen kauen junge Somalier die Blätter der Khatpflanze, eine Volksdroge, welche sie den zurückliegenden Krieg vergessen lässt.
Die jungen Männer wissen nicht, wie sie mit ihren Emotionen umgehen sollen, beschreibt Elmi die Situation. Die meisten von ihnen seien ohne Arbeit und damit auch ohne Perspektive. Die Arbeitslosenquote in Somalia liegt bei knapp 20 Prozent – und damit weit über dem afrikanischen Durchschnitt von sechs Prozent. Viele Fälle von Gewalt gegen Frauen versickern, bevor sie jemals von einem Richter gesehen werden.
Statt einer rechtmäßigen Anhörung durch einen Richter übernehme der Clan des Mannes und die Ältesten den Fall. Sie entschieden nach dem sogenannten Gewohnheitsrecht Xeer, das vor allem das Ansehen des Clans schütze. Dieses System stelle eines der größten Hindernisse für den Zugang von Frauen zur Justiz dar: Selbst wenn die Vorschläge der Ältesten die Rechte der Überlebenden verletzten, akzeptierten viele Familien die Entscheidung, erklärt Amina Haji Elmi.
Traditionell wird vor der Eheschließung eine mündliche Vereinbarung zwischen den Familien getroffen, um Gewalt zu verhindern. Der zukünftige Bräutigam verpflichte sich, für seine Frau zu sorgen. Komme die Frau ihren Pflichten nicht nach, dürfe ein somalischer Mann seine Frau jedoch züchtigen, so Elmi. „Sollte der Mann mit seiner Frau nicht zufrieden sein oder einen Verdacht auf unmoralisches Verhalten der Frau hegen, darf sich der Mann offiziell scheiden lassen und die Frau kehrt zu ihrer Familie zurück.“
Hoffnung auf Veränderung?
In den meisten Fällen würden Frauen jedoch jahrelang geschlagen und gedemütigt, bis sie sich scheiden ließen. Gewalt in Beziehungen ist ein Tabuthema für Frauen in Somalia. Zu groß ist ihre Angst vor Stigmatisierung in der Familie, Isolation und soziale Ausgrenzung. Somalischen Mädchen wird zu Hause beigebracht, dass sie ihren Mund halten sollen. Nur jede fünfte Frau wendet sich an die Polizei, sagt das „Somali Institute for Research and Development“.
In der somalischen Gesellschaft zeichne sich jedoch eine Veränderung ab, bemerkt Elmi. Vor allem junge Frauen wehren sich gegen die Geschlechterungleichheit und die strukturelle und geschlechtsbedingte Diskriminierung. „Somalische Frauen sind unglaublich stark. Sie sind das wirtschaftliche Rückgrat der somalischen Gesellschaft und das Band, das die Familie zusammenhält.“
In den letzten Jahren haben Frauen eine immer stärkere Stellung als Ernährerinnen ihrer Familien eingenommen: Sie verkaufen auf dem Markt Obst und Gemüse, malen Henna oder nähen Kleidung. Nebenbei ziehen sie im Durchschnitt sechs Kinder groß. Die Aktivistin will Veränderungen anstoßen. „Frauen müssen jetzt für ihre Rechte kämpfen“, sagt sie mit Nachdruck und meint damit vor allem die kollektive Forderung nach einer Gesetzesüberarbeitung.
Die Chancen stünden nicht schlecht. Wenige Tage nach dem Mord an Lul Abdi Aziz Jazirain verurteilte das Unterhaus die Untätigkeit der Polizei als deutliches Zeichen für ein fehlerhaftes Justizsystem. Die Stellungnahme an die Regierung von somalischen Frauenverbänden, darunter auch die von Amina Haji Elmi, folgte kurz darauf. Ihr Mann wurde zum Tode verurteilt.
Der Vorsitzende des Gerichts erklärte, dass die Entscheidung nach sorgfältiger Prüfung der Beweise getroffen wurde und einen bedeutenden Moment in der Rechtsgeschichte Somalias darstellt. Clanälteste hatten versucht, das Gericht im Vorfeld einzuschüchtern, um die Freilassung des Mörders zu erreichen. Die Verurteilung zeigt nicht nur die Schwere des Verbrechens, sondern wie groß in Somalia der Einfluss der Clans ist. „Damit setzt das Gericht ein Zeichen“, ist sich Amina Haji Elmi sicher.