Dein Körper weiß vor deinem Gehirn, wie du dich entscheiden solltest
Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute: Warum dein Körper vor deinem Gehirn weiß, wie du dich entscheiden solltest und wie du lernst, die Signale deines Körpers zu hören.
In der aktuellen Serie dreht sich alles um eine Erkenntnis: Denken findet nicht nur im Gehirn statt. Wer besser lernen, arbeiten und kommunizieren will, sollte wissen, wo noch.
Vergangene Woche habe ich euch von einem Experiment erzählt: Die Teilnehmer:innen schauten auf einen Computerbildschirm, auf dem ein Kreuz immer wieder an verschiedenen Stellen aufploppte. Sie sollten voraussagen, wo es als Nächstes auftauchen würde. Und sie wurden besser im Laufe des Spieles. Sie hatten ein Muster erkannt, aber nicht bewusst. Sie konnten das Muster anschließend nicht in Worte fassen.
Warum waren manche besser darin als andere? Die Antwort war: Interozeption. Wenn ein Muster unterbewusst erkannt wird, reagiert der Körper und teilt dem Gehirn mit, was es zu tun hat: mit einem Schauer oder einem Seufzer, mit schnellerem Atem oder einer kurzen Anspannung der Muskeln. Wie eine Glocke, die läutet, um uns kurz auf etwas aufmerksam zu machen. Wir treffen so bessere Entscheidungen. Darum geht es heute.
Wir treffen die richtige Entscheidung …
Wissenschaftler:innen haben in anderen Experimenten genauer untersucht, wie der Körper dem Gehirn mitteilt, was es zu tun hat. Zum Beispiel in diesem (Si apre in una nuova finestra): Der Neurowissenschaftler Antonio Damasio (ein großer Name in der Szene) ließ seine Probant:innen ein Glücksspiel spielen. Die Spieler:innen erhielten ein Startkapital von 2.000 Dollar und bekamen auf einem Bildschirm vier Kartenstapel mit digitalen Karten gezeigt.
Die Aufgabe: Die Karten der Stapel so umdrehen, dass sie möglichst wenig Geld verlieren und möglichst viel Geld gewinnen würden. Die Teilnehmer:innen begannen die Karten umzudrehen und auf den Karten sahen sie, ob sie Glück hatten: mal gewannen sie 50 Dollar, mal verloren sie 100 Dollar, mal viel weniger, mal viel mehr.
Was die Wissenschaftler:innen ihren Spieler:innen nicht sagten: Es gab zwei "gute" Stapel und zwei "schlechte". Bei den Stapeln A und B verloren sie viel mehr Geld als bei den Stapeln C und D.
Während des Spiels wurden sie immer wieder gefragt, warum sie die Karten aufdeckten, die sie aufdeckten. Es dauerte circa 50 Karten, mehrere Minuten, bis die Teilnehmer:innen eine bewusste Vermutung äußerten, dass die Stapel A und B eher riskanter waren.
Hier kommt das Erstaunliche: Während des Spiels zeichneten die Wissenschaftler:innen den sogenannten Hautleitwert der Spieler:innen auf. Mithilfe von Elektroden an ihren Fingern überwachten sie den physiologischen Erregungszustand. Wenn unser Nervensystem durch eine potenzielle Bedrohung angeregt wird, beginnen wir kaum merklich zu schwitzen. Dieser leichte Schweißglanz macht unsere Haut für einen Moment zu einem besseren Stromleiter. Und das kann man messen.
… aber wir wissen nicht, warum
Bei der Auswertung der von den Hautsensoren gesammelten Daten stellten Damasio und seine Kolleg:innen fest: Der Wert stieg bei den Teilnehmer:innen schon kurz nach Spielbeginn (circa 45 Sekunden bzw. 10 aufgedeckte Karten) immer dann an, wenn sie kurz davor waren, auf die schlechten Kartendecks zu klicken.
Die Spieler begannen, die schlechten Decks zu meiden und sich zunehmend den guten Decks zuzuwenden. Ihre Körper waren sich der Spielmanipulation bewusst. Aber selbst zehn Runden später, bei Karte 20, hatten die Teilnehmer:innen bewusst keine Ahnung, was da vor sich ging.
Damasios Experiment zeigt: Der Körper scheint uns nicht nur Zugang zu Informationen zu geben, die zu komplex für unser Bewusstsein sind. Er scheint diese Informationen auch viel schneller zu verarbeitet, als wir es bewusst je könnten. Anne Murphy Paul schreibt in ihrem Buch The Extended Mind: "Die Vorteile des Eingreifens des Körpers gehen weit über das Gewinnen eines Kartenspiels hinaus; die reale Welt ist schließlich voller dynamischer und unsicherer Situationen, in denen keine Zeit bleibt, alle Vor- und Nachteile abzuwägen. Wenn wir uns allein auf unser Bewusstsein verlassen, haben wir verloren."
So wirst du besser darin, die Signale deines Körpers zu deuten
All das führt zu einer Erkenntnis (Si apre in una nuova finestra), die durchaus Folgen hat: Anscheinend können Menschen unbewusste Informationen besser für sich nutzen, wenn sie ihre Körpersignale besser verstehen. Bleibt die Frage: Wie wird man besser darin? Anne Murphy Paul stellt in ihrem Buch eine Methode vor, für die man nichts weiter braucht als sich selbst, Ruhe und ein wenig Zeit. Ich habe sie letzte Woche zum ersten Mal ausprobiert.
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