Ästhetisierung der Politik - Politisierung der Ästhetik?
Ein Rundumschlag zur Ästhetisierung der Politik von Walter Benjamin bis zu Javier Milei
In den aktuellen Diskussionen rund um die Staatswerdung der High Tech-Oligarchen (Si apre in una nuova finestra) (die gesamte "Altpapier"-Ausgabe von René Martens ist brillant zusammengestellt wie auch kommentiert und sollte Pflichtlektüre sein) scheint mir deren Ästhetik ein wenig unterbelichtet. Häufig scheint mir hier eher Lächerlichmachen, Abscheu, Irritation zu wirken. Dass Verharmlosung und Häme angesichts der "Horrorclown"-Inszenierungen von Milei über Musk bis zu Trump heißt, ihnen auf den Leim zu gehen, darauf verweist jedoch auch Johannes Franzen in den "Übermedien":
DAS KUNSTWERK IM ZEITALTER SEINER TECHNISCHEN REPRODUZIERBARKEIT
Zu meinem Erstaunen taucht ein kanonischer Text der Medientheorie in Franzens sehr guter Analyse nicht auf - Walter Benjamins "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit". Verfasst 1935 im Pariser Exil Benjamins, situiert in einem marxistischen Paradigma, analysiert Benjamin die damals neuen Medien, allen voran den Film. Er konstatiert einen Verlust der Aura des Kunstwerks, die im Falle kultischer Objekte in Museen und Galerien im Zuge einsamer Rezeption Malerei und Skulptur gewissermaßen einhülle, in eigenen Worten formuliert. Eine hervorragende Zusammenfassung des Textes (Si apre in una nuova finestra) findet sich bei "Diffrakt - Zentrum für theoretische Peripherie". Die Aura sei stattdessen auf ein Starsystem übergegangen. Dieses nütze vor allem dem Faschismus, damals in Deutschland und Italien außerordentlich erfolgreich:
Wandel des und Unsicherheit im Ökonomischen führt auch Franzen in seinem Text an, weil auf diesem Feld häufig die Gründe für die Wahl Trumps, auch der AfD gesucht werden. Wenn auch anders als zu Benjamins Zeiten aktuell keine kommunistischen Massenbewegungen auf die Beseitigung der Eigentumsverhältnisse drängen, sich Menschen eher fragen, wie sie sich an die gewandelten assimilieren können oder sich einfach aufgeben und stattdessen in den Ethnonationalismus drängen, so erscheint die Analyse Benjamins doch triftig.
Multimilliardäre organisieren in digitalisierten Zeiten mächtige ökonomische Akteure, z.B. die High Firmen Elon Musks, kapern die sozialen Medien und starten hier ihre propagandistische Einflussnahme. Eine, die sich um Wahrheitskriterien nicht weiter sorgt, Feindgruppen markiert und Plots folgt, wie sie in Mafia-Filmen oder Trash TV üblich sind.
Nun scheint mir die Analyse anhand von Narrativen oder Wahrheitskriterien zu kurz zu greifen. Benjamins Aufsatz erlangte auch deshalb Berühmtheit, weil er - wie im Zitat - Faschismus als Ästhetisierung des Politischen deutete. Seltsamerweise taucht Leni Riefenstahl im "Kunstwerk"-Aufsatz nicht auf, vielleicht war "Triumph des Willens" noch nicht erschienen zum Zeitpunkt des Verfassens oder einfach in Paris nicht zu sehen.
LENI RIEFENSTAHL
Aktuell kann ein gelungener Dokumentarfilm über Riefenstahl in den Kinos betrachtet werden. In jahrelanger Arbeit wertete Andres Veiel, bekannt und vielfach prämiert u.a. durch "Blackbox BRD", den Nachlass der Regisseurin aus - einer Figur der Mediengeschichte, die trotz unzweifelhaftem Einsatz für den Nationalsozialismus von Warhol bis hin zu Mick und Bianca Jagger Fans fand und vor allem auch die Foto-Ästhetik der 80er und frühen 90er Jahre nachhaltig beeinflusste.
Der Film ist sehenswert, wurde produziert von Sandra Maischberger und deren Produktionsfirma Vincent Productions (Disclaimer: ich arbeite, und das gerne und produktiv, als Freelancer für Vincent Productions). Riefenstahl kann wohl als Paradebeispiel einer Ästhetisierung des Politischen betrachtet werden. Durch unfassbar gute Arbeitsbedingungen (13 Kameramänner beim Olympia-Film gleichzeitig einzusetzen bei einem so teuren Medium wie Film ist sehr üppig) gelang Riefenstahl eine mitreißend monumentale Inszenierung des nationalsozialistischen Massen-, Führer- und Körperkultes. Der Dokumentarfilm geht dabei der Wucht und Wirkung ihrer Bilder nicht auf den Leim und setzt vor allem auf Entlarvung der Unbelehrkeit Riefenstahls hinsichtlich ihres eigenen Schaffens. Eines, das nicht zuletzt bei Dreharbeiten ein Massaker an Roma initiierte - wie der Film herausarbeitet. Er vertraut darauf, dass Riefenstahl in vielen Interview- und Talkshowausschnitten sich gewissermaßen selbst entlarvt, verzichtet auf einordnende oder wertende Kommentare. Da ist Riefenstahl auch ein leichtes Opfer, sie redet sich fortwährend um Kopf und Kragen. Sandra Maischberger verwies in einem Panel im Anschluss an die Hamburger Premiere darauf, dass der Film in den USA und Indien, wo sie bei einer Aufführung zugegen war, sehr stark gewirkt habe - in den USA wegen Trump, in Indien wegen der propagandistischen Mittel des aggressiven Hindu-Nationalismus.
Dem Film nicht anzulasten ist, dass er zur Bestätigung des Publikums, ja all das vollends überwunden zu haben, beitragen kann. Annahmen zu pflegen, gegen so etwas wie die Filme Riefenstahls gefeit zu sein, und ein wohliges Gefühl, dass sie sich zudem selbst destruiert, das passt allzu gut zum Selbstverständnis der deutschen Wiedergutwerdung - das allerdings in Zeiten, in denen die AfD in manchen Landstrichen bis zu 30% Wähler*innenstimmen einfährt, erfolgreich TikTok bespielt und auch bei Youtube oder Instagram direkt oder indirekt ihre eigene Art von Ästhetisierung der Politik betreibt, in Treue zu den russischen und US-Vorbildern.
PRODUKTIVKRAFTENTWICKLUNG UND PRODUKTIONSVERHÄLTNISSE
Benjamins Aufsatz operiert in seiner Analyse in der marxistischen Unterscheidung zwischen Produktivkraftentwicklung und Produktionsverhältnissen - eine Unterscheidung, der selbst neoliberale Volkswirtschaftler etwas abgewinnen können, die also zur Diagnostik auch dann taugt, wenn man nicht die Diktatur des Proletariats anstrebt. Produktivkraftentwicklung, das ist schlicht der technische Fortschritt - von der Drei-Felder-Wirtschaft über die Dampfmaschine hin erst zur Elektrisierung, dann zur Digitalisierung. Diese Formen der Produktion bringen Eigentumsverhältnisse hervor und Weisen, wie Arbeit gesellschaftlich organisiert wird - von der Fron- hin zur Lohnarbeit, z.B.. Die bürgerliche Gesellschaft setzt auf das Privateigentum an Produktionsmitteln. Betrachtet man den eingangs angeführten Gedanken einer Staatswerdung der High-Tech-Oligarchie, dann lässt sich das mit Marx ganz gut erklären, was da konstatiert wird. René Martens zitiert aus einem KNA-Interview mit dem Kulturwissenschaftler Michael Seemann, der sich folgendermaßen äußert:
Tatsächlich haben sich durch Plattformökonomie, Algorithmen, Social Media und Digitalisierung, Produktivkraftentwicklung also, die politischen Verhältnisse verschoben. Die gesellschaftlichen Subsysteme administrativer Macht, mit Habermas geschrieben, werden von ökonomischen Systemimperativen annektiert. Eben das passiert seit Thatcher und Reagan sowieso überall da, wo "Bürokratieabbau" angepriesen wird, weil diese "unternehmerische Freiheit" beschränke, und Privatisierungspolitiken wie auch die Ankopplung an Mechanismen der "Unternehmensberatung" in der Politik durchgesetzt werden. Nur dass die argumentative Ebene in politischen Öffentlichkeiten dabei weniger bewirkt, als man es mit Habermas gerne hätte. Damit hat er übrigens durchaus gerechnet, in "Strukturwandel der Öffentlichkeit" geht es ja gerade um eine "Refeudalisierung" der Medien und somit politischer Öffentlichkeiten.
Der Begriff der Refeudalisierung wurde von libertären Vordenkern wie Hans-Herrmann Hoppe, einst Habermas-Schüler, vom Kritischen ins Affirmative gewendet in Interviews aus den Nullerjahren, aus dem Gedächtnis zitiert - tatsächlich forderte er eine neue Ständegesellschaft. Eine, in der Transferempfänger*innen von Sozialleistungen z.B. über kein Wahlrecht verfügten und der gesamten nervtötenden linken, heute würde man wohl "woke" sagen, Intelligenzia in Kultur und Universitäten die Geldhähne zugedreht werden. Tatsächlich wettert Trump ebenso wie in Argentinien Milei in genau diese Richtung, auch Verlautbarungen des Berliner Kultursenators Chialo lassen sich so deuten.
Diese Gruppen brauchen, anders als konsensorientiertere Modelle der Vergangenheit, Libertäre nicht mehr, um so Demokratie zu legitimieren - guck mal, wir bezahlen sogar noch die Kritik an uns gleich mit, wenn wir Soziologie-Lehrstühle zulassen, diese Ära geht zuende.
Libertär, das wird oft als "Anarchokapitalismus" gedeutet. Als Vordenker agitierten Murray Rothbard (Si apre in una nuova finestra) und Robert Nozick (Si apre in una nuova finestra) , mit Abstrichen Friedrich August von Hayek (Si apre in una nuova finestra). Anarchokapitalismus trifft es nicht; es geht keineswegs um die anarchosyndikalistische Selbstorganisation von Arbeiter*innen, sondern um eine Zurückweisung aller staatlichen Interventionen in die Ökonomie. Was derzeit bei der Staatswerdung der Oligarchenwirtschaft betrachtet werden kann, vollendet deren Utopie - die Wirtschafts"führer" selbst stehen an der Spitze des Staates und führen ihn wie ein Unternehmen. In den USA gelang ihnen die Verbindung mit einem rassistischen, misogynen und queerfeindlichen Rechtskonservatismus von den Evangelikalen bis zur Tea Party.
QUELLEN DES LIBERTÄREN IN DER DIGITALWIRTSCHAFT
Die Faszination dieses Denkens gerade bei Akteuren in der Digitalwirtschaft ist kein Zufall. Sie speist sich in Teilen sogar aus Gegenkulturen, die mit Nixon und Reagan wenig anfangen konnten. Das lässt sich anhand einer Kiffer-Bibel, der "Illuminatus"-Trilogie von Robert A. Wilson und Robert Shea gut nachvollziehen. Hagbard Celine, eine Figur und Widerstandsikone in diesem formal anarchischen Romanwerk, formuliert lupenrein libertäre Ansätze. Der legendäre deutsche Hacker Karl Koch, dessen Geschichte u.a. aus dem Film "23" bekannt ist, wählte Hagbard Celine als sein Pseudonym und verfasste Pamphlete im libertären Geist. "Illuminatus" macht sich über Verschwörungstheorien lustig und initiierte zugleich den Glauben an sie. Der Film "23" zeigt auf, wie Karl Koch Ende der 80er Jahre sich immer tiefer in einen Wahn rund um das angebliche Wirken der Illuminaten verstrickte. Die Nähe der Libertären zu Verschwörungstheorien, sei es nun QAnon oder der angeblich wirkungsmächtige "woke Virus", ist somit kein Zufall. Viele der frühen Hacker, so z.B. die "Masters of Deception (Si apre in una nuova finestra)" , agierten aus libertären Impulsen - und in "Cosmic Trigger 3" von "Illuminatus"-Autor Robert A. Wilson findet sich die Blaupause aller Kritiken an "Political Correctness" und "woke" - bei einem Autor, der zu den Ikonen der US-Gegenkultur gehörte und in "Cosmic Trigger 1" noch den Satanisten Aleister Crowley feierte.
Das wäre alles egal, wenn es nicht gerade bei Youtube sich wuchernd weiterentwickelte. Gerade in den Grenzbereichen von Esoterik und "Creator Economy" feiern US-Youtuber aus einer solch "gegenkulturellen" Haltung heraus die Attacke auf "die Matrix" und "das System", beides wird häufig mit den Demokraten identifiziert, ungebrochen Elon Musk als ihren Helden; als Beispiel für Innovationskraft und Genie. Ein Visionär! Dass er seine Automarke nach Nikolas Tesla benannte (die Firma gründete nicht Musk, er stieg ein als Risiko-Kapitalgeber), auch ein Held in diesen Kreisen, spricht in deren Augen dann erst recht für ihn. Dass eine Staatsanwältin, Kamala Harris, dagegen nicht ankam, das erstaunt wenig.
AKTUELLE FORMEN DER ÄSTHETISIERUNG VON POLITIK
Wie schon Walter Benjamin richtig konstatierte, bringt die Produktivkraftentwicklung auch eigene Ästhetiken hervor, die als Ästhetisierung von Politik faschistische Tendenzen befördern können. Das an sich radikal individualistische und auch Egoismus feiernde Libertäre schlägt aufgrund der Entwicklung von KI, das meines Erachtens noch viel zu wenig als tatsächliche Produktivkraft verstanden wird, fast schon Karikaturen totalitärer Ästhetik hervor. Das bemerkte gestern in einem Bluesky-Thread der Bildwissenschaftler Roland Meyer, auf einen Artikel in DIE ZEIT reagierend:
KI-Ästhetiken sind nicht nur durch Mustererkennung bestimmt. Sie sammeln im Netz Gefundenes ein, das tendiert eh immer schon zur Normalisierung aufgrund der Anpassung an die Normalverteilung (Si apre in una nuova finestra) als statistischem Filter, und idealisieren es zumeist dezidiert antimodern. Keine Ästhetik des Hässlichen, des Expressiven, der Abstraktion - wie Arno Breker oder auch Leni Riefenstahl setzen sie auch eine Überzeichnung klassischer Körper- und Schönheitsideale, die immer auch eine weiße Ästhetik proklamieren - mag Riefenstahl sich auch von schwarzen Athleten fasziniert gezeigt haben. In auch von der AfD distribuierten KI-generierten Bildern "traditioneller" Familien, die wie verkitschte Versionen der Lebensborn-Zuchtprojekte (Si apre in una nuova finestra) der Nazis wirken, zeigt sich dieser - mit Clement Greenberg - verkitschte Blick, der zudem im Kontrast zu den Wähler*innen Trumps und der AfD stehen. Die adipösen Leiber der "Hillbillies" und die zombieesken Jung-Nazis, die eher durch Crystal Meth verstrahlt wirken und ihre Pickel und Bierbäuche zur Schau tragen (ich habe nichts gegen Pickel und will hier auch kein Bodyshaming betreiben), wenn sie gegen eine CSD-Demo in Bautzen aufmarschieren, stehen in einem seltsamen Kontrast zu den KI-Idealisierungen. Hitler sah aber ja auch nicht aus wie ein "Arier" in den Propagandafilmen, und, das wird oft vergessen - die Leute haben sich auch über ihn zunächst lustig gemacht ...
TRASH TV
Was neu ist, verglichen mit den durchästhetisierten Filmen Riefenstahls, das ist der Trash-Faktor, den Johannes Franzen in seinem eingangs zitierten Text gut herausarbeitet. Trump wie auch Milei, mit Abstrichen die AfD, sind allesamt viel stärker durch die Trash-Sektoren der Medienproduktion geprägt. Wenn Milei den Helden-Schurken mit der Kettensäge gibt, dann wirkt er nicht zufällig wie eine Figur aus "Austin Powers" oder ähnlichen Filmen. Er spielt damit, ob bewusst oder nicht, und wurde übers Fernsehen als Freak, der die Regierung in Talk-Shows angriff, und eine Radiosendung bekannt. Trump verdankt seine Popularität einer Hire & Fire-Show im Trash-TV. Das seltsam irreal-clowneske, das seiner Erscheinung anhaftet, bewegt sich immer noch in diesen Ästhetiken und wird gemixt mit verkitschten Auswüchsen des Plastik-Sakralen pathetischer Kreationisten unter den US-Christen, die durch Billy Graham und andere lange schon auf Trash-Versionen des Religiösen getrimmt wurden - denen er als Deal anbietet, dann eben Abtreibung zu verbieten. Er bedient Klischees und Plots aus B-Movies rund um Gangster und die Mafia und spielt somit die Outlaw-Klaviatur in seinen offensiv ausgestellten Rache-Fantasien - die gesamte Inszenierung ist durchzogen von den Plots drittklassiger Filme. Zu denen immer auch gehört: "das ist so schlecht, dass es schon wieder gut ist". Alle, mögen sie auch Trump kritisieren, reagieren wie Pawlowsche Hunde auf die so getriggerten Rezeptionsmuster und distribuieren diese Inszenierungen. Das funktioniert, weil es so pointiert ist und auf den "hook" setzt, irgendwas Krasses am Anfang des TikTok-Filmchens basteln, dann bleiben die Leute schon hängen. Das belohnt der Algorithmus in sozialen Medien. Den Unterhaltungswert kann man schlecht bestreiten.
Ich erinnere mich gut an einen Abend, wie üblich Überstunden, in der Firma MME, in der ich lange angestellt war. Einer meiner Chefs holte uns feixend zu einem Sichtgerät - er wolle uns die neue "Peep!"-Moderatorin zeigen. Dieses Erotik-Magazin produzierte die MME. Wir sahen Verona Feldbusch auf einem Bildschirm, mein Chef bekam sich gar nicht mehr ein vor Lachen - und der Grund, sie zu casten, bestand darin, dass Verona Feldbusch kurz zuvor die Titelseite der BILD füllte. Weil Dieter Bohlen, wenn ich mich recht entsinne, sie verprügelt habe. Die Firma ließ sich auch "Pfui TV" als Titel schützen, nachdem eine ihrer Sendungen per BILD-Schlagzeile mit diesem Label versehen wurde und ließ medienwirksam in "Banzaii" das Gemächt von Gotthilf Fischer wiegen. Zu meiner Verteidigung sei erwähnt, dass ich zu jener Zeit erst an der mit dem Grimme Preis ausgezeichneten Doku-Reihe "Pop 2000 - 50 Jahre Popmusik und Jugendkultur" arbeitete und anschließend das ARTE-Popkultur-Magazin TRACKS leitete. Was beides aber nur finanzierbar war, weil zugleich "Top of the Pops", "The Dome" und "Peep!" die Kassen füllten.
Diese Haltung meiner Chefs, "das ist so Scheiße, so krass, das finden die Leute bestimmt gut, Hauptsache, es unterhält", ja, es gab auch Produktionen, an die sie nicht so heran gingen, "Bauer sucht Frau" wurde aber auch mit der Methode ein Erfolg, dürfte mittlerweile auch die Politik vor allem in den USA, aber immer mehr auch hierzulande antreiben. Sie ist zentraler Baustein der Ästhetisierung von Politik geworden. Manche Politiker-Accounts bei X scheinen mir davon zu leben.
ÄSTHETISCHE RESSENTIMENTS
Was noch fehlt in meinem Rundumschlag ist die Wirkung ästhetischer Ressentiments, die gerade bei in den 80er und 90er Jahren sozialisierten Publizist*innen stark ausgeprägt und wohl in Deutschland aufgrund der relativen Stärke der Öko-Bewegung besonders durchschlagend sich zeigen. Das prägte schon meine Schulzeit, nicht mich, meine Mitschüler*innen, dieses Angewidertsein angesichts derer auf den Anti-AKW- und Friedensdemos. Diese Abgrenzung gegen die "Wollsocken" prägte einen großen Teil der Interviews bei der Doku-Reihe "Pop 2000". Da hatten wir annähernd alle deutschen Pop- und Musikstars der Nachkriegszeit bis 1999 vor der Kamera, Ost wie West. In dem 80er-Jahre Hit "Ich bin der Martin, ne" von Diether Krebs wird diese Haltung deutlich. Zugleich jedoch waren sich bezüglich des Wandels um 1968 herum alle Interviewpartner einig, dass weniger die Parolen des SDS als die Beatles und die Rolling Stones diesen bewirkt hätten. Auch eine Ästhetisierung des Politischen.
Ich denke, dass bei dem Hass auf die GRÜNEN nicht nur in Ostdeutschland, dem Ausrasten angesichts der "Klimakleber" und von Fridays for Future sich diese Haltung bis heute tradiert. International erweitert erstreckt sich sie sich annähernd auf alles, was noch als noch im Paradigma der Hippie- und Popbewegungen der 60er Jahre und den von ihnen ausgelöstem Wandel betrachtet wird.
Die Wirkungsmacht dessen zeigt sich in einem Tweet von nicht zufällig Ulf Poschardt, der ganz im Pop-Diskurs der 80er und 90er Jahre verwurzelt denkt und selten darüber hinaus:
Das ist diese Abgrenzung, die schon wirkte, als S.Y.P.H. in einem Punk-Song Ende der 70er Jahre "Zurück zum Beton" proklamierten und wird erweitert auf alles, was wie "linkes und linksliberales Milieu" aussieht oder spricht. Das korrespondiert mit der oben erwähnten "Vision" Hans-Herrmann Hoppes, all diese nur "vom Staat alimentierten" Bevölkerungskreise rund um Universitäten, NGOs, angeblich auch öffentlich-rechtliche Journalist*innen und Kulturinstitutionen tatsächlich auszuradieren. Als "Scheiße", weil man ja entmenschlichen muss. Hannah Arendt begriff diese Entmenschlichung als zentral für den Weg in den Totalitarismus.
Wo führt das nun hin? Dass man all das nicht ignorieren kann, will man demokratische, progressive und vor allem der Verfassung gemäße Politik konzipieren. Dass bei alledem die Ästhetik eines zentrale Rolle spielt und bestimmte Ästhetiken schlicht wirkungslos bleiben unter aktuellen Bedingungen. Dass man nicht umhinkommt, sich mit Trash, KI und B-Movie-Plots zu beschäftigen, auch peinlich sein darf und muss und vor allem den Unterhaltungsfaktor nicht unterschätzen sollte. Walter Benjamin formulierte die Forderung nach einer Politisierung des Ästhetischen. Der direkte Agitprop-Weg, mag er oft auch peinlich gewesen sein, scheint mir jedoch verstellt.
Mit reinen Plädoyers für Wahrheit und Moralität kommt man jedoch ebenso wenig weiter wie mit Mitteln der Massenbewegungen aus Zeiten der Öko- und Friedensbewegung, immer neu aufgekocht.
Es müssen Gegenästhetiken erarbeitet werden, die sexier sind. Lustiger. So unwitzig die Lage auch ist. Dazu gehört auch ein gewisses Vergnügen an der Schurkenrolle ... man muss sie nur lustvoll genug spielen.
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