Outlaw werden - rein ästhetisch
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Diedrich Diederichsen hat für die “Berlin Review” einen Text zum Bündnis zwischen Neokonservativen und Alt-Right in den USA einerseits, libertären High-Tech-Milliardären andererseits verfasst. In seinen Grundgedanken situiert dieser sich verhältnismäßig nahe an dem, was ich hier zuletzt in einigen Texten formulierte. Er verdichtet die Liaison beider Entitäten auf die tief in der US-Mythologie installierte Formel:
Die Gründerväter und „Pioniere“, die auch wenig Probleme damit hatten, im Sinne ihrer Freiheit und Religion ganze Völker abzuschlachten oder aber durchs halbe Land auf Todesmärsche zu schicken, um sie in Reservate zu sperren und dort siechen zu lassen, verstanden ihre Weltsicht wohl auch in diesem Sinne. Diese Mythen der protestantischen Sekten trieben auch schon die Tea Party an. Es gibt dazu in Europa kein Äquivalent, weil der Protestantismus hier dazu tendierte, Staatsreligion zu werden - während die Katholische Kirche selber Staat sein wollte.
Hinzu tritt die im und um das Internet wuchernde Transformation der US-Gegenkultur der 60er Jahre. Diederichsen formuliert es so:
Beides geht zurück auf einen Outlaw-Typus, der schon in Folk-Music sich inszenieren konnte, der bei Iron Butterfly hörbar wurde und sogar in New Queer Cinema-Klassikern wie „The Living End“ sich zeigt. In diesem billig produzierten und bis heute sensationellen Film von Gregg Araki ziehen zwei HIV-Positive als Outlaws in den Kampf gegen „das System“, dem sie den Willen zum Genozid an Schwulen diagnostizieren - unter Reagan/Bush Senior. Mittels AIDS. Dass tatsächlich, was auf der Linken wie üblich weitestgehend ignoriert wurde, die Trump-Regierung die Finanzierung der AIDS-Forschung einstellte, kann als Fortsetzung dieser Politik gelesen werden. Ein anderer noch recht aktueller Film, der den Gesetzlosen auf queer dreht, ist „Outlaws - Die Geschichte der Kelly Gang (Si apre in una nuova finestra)“. Ein australischer Film, der gesättigt ist mit schwulen Motiven und letztlich die Gangster in Drag ihre Verbrechen ausführen lässt . Letztlich ist auch „Sense 8 (Si apre in una nuova finestra)“ von den Wachowski-Schwestern: Als neuer Menschentypus entwickelt sich in dieser eine Outlaw-Serie der Homo Sensorium, der anders als der Homo Sapiens zur Einfühlung fähig ist. Er kann mentale, Raum und Zeit aushebelnde Cluster bilden, in denen sogar Gruppensex zu „What’s up“ von den 4NonBlondes möglich ist. Die Schwestern koppeln ihre Vision an trans und eine weltumspannende Solidarität zwischen Südkorea, Kenia, Indien, Mittelamerika, USA und Europa. Die Feinde einer solche Utopie jagen den Homo Sensorium, foltern ihn, wollen ihnen vernichten - queere und multiethnische Solidarität ist halt eine gefährliche Macht.
Die High Tech-Oligarchen reagieren auf diese bildgewaltigen Modelle und bekämpfen sie. Sie bewegen sich stattdessen noch in fortentwickelten Hacker-Welten, jenen der „Masters of Deception (Si apre in una nuova finestra)“ ähnlich. Hier lassen sich allerlei Stränge bis hin zum Attentäter von Oklahoma und rassistischer Science Fiction-Literatur ziehen. Sie schmeißen Berichten zufolge Drogen ein, anders als ihre Hippie-Urahnen jedoch eher leistungssteigernde, und haben zudem eine neo-spritituelle Eso-Bewegung im Rücken mit auch rechtsradikalen Ablegern, die Youtube füllt. Die sollte nicht unterschätzt werden.
All das sei erwähnenswert, weil sich dieser Strang des neuen Techno-Faschismus anders, als Diederichsen es behauptet, auf einen regen Mythen- und Bilderschatz von Cowboys und Pionieren bis hin zu Star Wars - die „Kathedrale“, also der liberale Wissens-und Demokratiekomplex, ist das Empire -, „Herr der Ringe“ mit seiner rassistischen Ikonographie und mittendrin immer auch das Frühwerk der Wachowski-Schwestern „Matrix“ berufen zu können glaubt. Die Wahl zwischen roter und blauer Pille ist zentral in den rechten und neofaschistischen Erzählungen und wird besonders gerne von Maskulisten zitiert. Wenn nun Musk die staatliche Struktur der USA mittels Zugriff auf die Zahlungssysteme abräumt, dann agiert er inmitten audiovisueller Mythenknäuel wie den Zitierten.
Was dabei freilich auf der Strecke bleibt, ist, dass zumindest in den USA, hierzulande weniger, dies aus der Defensive heraus geschieht. Gerade deshalb begreifen viele Trump als die „letzte Chance“. Die ganze Spinnerei um den „Woke Mind Virus“ entsteht vor dem Hintergrund eines demographischen Wandels, in dem Weiße nicht mehr die Mehrheit stellen könnten. Auch deshalb ja Deportationen: wieder die Mehrheit erlangen. Auch der in unzähligen Netflix- und sogar Amazon-Serien längst bildstark gefeierte Wandel in Sachen Gender Trouble hat sich ja längst vollzogen: es identifizieren sich immer mehr US-Bürger als LBGT*. Die Rechten führen das auf angebliche Verführung zurück: tatsächlich ist es auch durch Popkultur schlicht leichter geworden, Queerness nicht mehr als Stigma zu erleben. Weil es halt ziemlich sexy ist. Eben das macht die neuen Oligarchen ebenso wütend wie ihre neokonservativen Bündnispartner: das etwas ihre öden Lebensmodelle überstrahlt.
Ihr Trick besteht nun darin, statt das aus - siehe oben - tatsächlichen Outlaw-Erfahrungen, raus aus der Kriminalisierung und Illegalisierung, der Stigmatsierung, der rechtlich fixierten Segregation im Falle von BPoC hin zu rechtlicher Gleichstellung und einer wirkungsmächtigen Feier des Diversen Kämpfende einfach wieder als ein Projekt des Staates zu erdichten. Dieser würde das steuern. Was zwar grober Unfug ist, aber letztlich leben sie von dieser Lüge.
Das funzt aber spätestens nach der Machtergreifung von Trump und Musk nicht mehr. Es ist absurd, dass sie, die nunmehr alles Diverse noch von Universitätsseiten verschwinden lassen, weiter als Outlaw agieren würden - selbst dann, wenn sie Gerichtsurteile ignorieren. Sind jetzt die Macht, selbst zur „Kathedrale“ geworden. Zum Empire. Zusammen mit Putin.
Was mit anderen Worten heißt, dass gerade Produktionen wie die oben Genannten, „The Living End“, „Outlaws“ und „Sense8“, vorher schon die „Rocky Horror Picture Show“, auch das gesamte „Blaxploitation“-Kino, eine einzige Outlaw-Veranstaltung, „Shaft“ zumindest kennt ja jeder, auch der Gangsta Rap trotz all seiner Sexismen nunmehr zumindest in den USA als die wahren Erben des Outlaw-Mythos sich wieder feiern können. Das sind jetzt einfach Organe des Widerstandes geworden - gegen Putin gleich mit.
In Europa ist das Problem, dass es außer in Frankreich solche Mythen vielleicht allenfalls noch im Falle Robin Hoods oder der italienischen Partisanen gegen den Faschismus gibt, „Bella Ciao“. In Deutschland war man ja sogar zu brav, ein eigenes „Stonewall“ zustande zu bringen und ließ sich von der Regierung befreien. Es gibt ein paar Mythen wie die „Hafenstraße“, wo Menschen Wohnraum für sich selbst erkämpften, ansonsten wurde in subventionierten Theatern Widerstand geleistet. Ich will hier auch ausdrücklich nicht für Rechtsbrüche plädieren; das sind ästhetische Kategorien, die Lebenswelten prägen können. Bowie und Charlie XCX. Es wäre absurd, wo schon der Kanzlerkandidat der CDU mit Rechtsbrüchen kokettiert, nun solche in den Mittelpunkt zu rücken.
Dennoch hilft es wenig, diese ästhetische Dimension zu ignorieren und stattdessen „Hannes Wader singt Arbeiterlieder“ für sich zu entdecken. Ästhetik wird nichts helfen, wenn Putin in Mitteleuropa einmarschieren will. Aber sehr wohl, wenn es darum geht, sich zu überlegen und zu konzeptionalisieren, was denn nun aktuell überhaupt als widerständig gelten kann. Läuft man auf den durch und bürgerlichen Demos gegen Rechts mit, dann verblüfft, dass es keine mit ihnen korrespondierende Popkultur gibt, die an den ästhetischen Outlaw anknüpfen würde. Nur so können überhaupt zombieske, verstrahlte Nazi-Kids im Osten so tun, als seien sie widerständig, wenn sie gegen CSDs aufmarschieren. Sind sie nicht. Sie sind die Vollstrecker der Normalität. Öde wie ihre Großväter und so gewalttätig und mörderisch wie ihre Urgroßväter.
Es braucht Stories und Ästhethiken, die das brechen. Mich kurz selbst lobend: in meinen Tracks und Videos suche ich danach. Mein Youtibe-Kanal ist voll davon. Und ich wäre erfreut, wenn das andere auch probieren würden.
https://www.youtube.com/watch?v=AC-grhrSIvg (Si apre in una nuova finestra)(Mitgliedschaften und Newsletter-Abonnenments helfen mir beim Pflegen dieser Seite. Herzlichen Dank!)