Wochenplannewsletter #28

Meine Lieben,
eigentlich bin ich keiner für Jubiläen, ich kann mir ja nicht mal Geburtstage merken, vom Alter der Feiernden ganz zu schweigen. “Du siehst keinen Tag älter aus als 30” hat sich bewährt, um diesen Umstand elegant zu überspielen und gleichzeitig Browniepunkte zu sammeln. Bei Frauen noch mehr. Ist ein Klischee, aber das macht es nicht weniger wahr, zumindest in meiner Bubble.
Zehn Jahre Auf ein Bier allerdings, das zaubert sogar mir ein Lächeln ins Gesicht und eine Träne ins Auge. Dass ich den Geburtstag prompt vergessen hätte, wenn mich mit besserem Gedächtnis gesegnete Hörer nicht darauf hingewiesen hätten, sei an dieser Stelle eigennützig verschwiegen. Ebenso, dass ich das mit allen von der Evolution gesegneten Fingern nachzählte.
Auch ein Klischee wäre es, zu erklären, dass ich vor zehn Jahren niemals damit gerechnet hätte, heute hier zu stehen (buchstäblich, denn ich arbeite seit einigen Monaten ausschließlich im Stehen, und es ist ein Gamechanger für den Rücken und das körperliche Wohlbefinden) und auf zehn Jahre und 525 Episoden zurückzublicken. Dennoch ist es wahr. Unglaublich. Aber wahr.
Ich spare mir die Erklärung, dass es ohne euch und das beste Team der Welt nicht möglich gewesen wäre (obwohl auch das stimmt) und werfe stattdessen einen Blick in die Zukunft, einen zuversichtlichen noch dazu, denn die sind dieser Tage selten und gehören gestreichelt wie Scout. Ich bin nämlich noch lange nicht fertig, und das beste Team der Welt auch nicht. Klischee hin oder her, ich denke, wir können das für dieses Projekt belegen, neue Formate, neue Ideen, tolles Wachstum, aber eben nicht hurrakapitalistisch um jeden Preis, sondern mit Content und Qualität, nicht mit Clickbait und SEO.

(Ja, Scout, du gehörst gestreichelt. Ganz oft)
Ich habe Bock auf die Zukunft. Ich weiß, dass ist momentan nicht en vogue, die Weltuntergangspropheten feiern Konjunktur, und man muss kein Sozialwissenschaftler sein, um zu erkennen, warum. Aber zumindest in diesem kleinen Biotop, in diesem Land, wo Milch und Honig fließen und wir auch jene nicht im Stich lassen, die sich in Notlagen befinden (erst letzte Woche habe ich wieder fünf Menschen mit harten Schicksalsschlägen den Podcast kostenlos zur Verfügung gestellt, und ich sage das nicht, um mich zu feiern, sondern um euch zu feiern, die das subventionieren und nie auch nur ein Wort der Klage verlauten ließen), in diesem kleinen Biotop ist Zukunft etwas, auf das man sich freut; etwas, das man gar nicht erwarten kann; etwas, das laufend spannende Veränderungen produziert; etwas, durch das man flink und tänzelnd manövriert wie einst Muhammad Ali.
Der Journalismus spart und kürzt und frisst sich selbst, seit vielen Jahren. Gürtel werden enger geschnallt. Fette Jahre sind vorbei. Leben sind keine Ponyhöfe. Sucht euch die Bullshitmetaphern aus, mit denen sich die Verlagsmanager und Chefredakteure selbst belügen, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass sie keine Verlagsmanager oder Chefredakteure mehr sind, sondern Abdecker.
Hier nicht. Wenn ich laut in die Welt rufe, dass ich am Ende des Jahres 10.000 Abonnenten will (aktuell sind es etwas mehr als 8.300), dann ist das ein optimistisches Ziel, ja, ein sehr optimistisches, einverstanden, wahrscheinlich ein zu optimistisches, das auch noch dazu führt, dass 2026 ein paar Leute auf mich zeigen, “haha” sagen und ignorieren, dass ich selbst formuliert habe, wie unwahrscheinlich es ist.
Vielleicht könnt ihr die Werbetrommel für mich rühren, damit ich mich nicht zu sehr zum Affen mache. Oder ihr rührt höchstens Kuchenteig, damit ihr 2026 auf mich zeigen und “haha” sagen könnt, verdient hätte ich auch das bestimmt durch irgendwas. Was ich damit aber eigentlich sagen will: Ich bin mir - viel mehr noch als vor zehn Jahren - sicher, dass unabhängige Projekte die Zukunft sind, dass Nischen größer werden und sich zellvermehren, dass der verzweifelte Clickbait-Journalismus den Weg des Dodo geht oder wenigstens den Weg der mexikanischen Nasenkröte, zahlreich vorhanden, aber keinen interessiert’s.
Die Faktoren für zukünftigen Erfolg lauten:
Spart ihr systematisch Qualität kaputt?
Verkauft ihr Scheiße als Gold?
Erhöht ihr dafür auch noch die Preise?
Und/oder geht einem fürchterlich mit Werbung und gekauften Produkttests (Affiliate) in Tateinheit mit Beteuerungen der redaktionellen Unabhängigkeit auf den Sack?
Braucht man für euren Content Spezialisten oder kann den eine mittelmäßige KI jetzt schon ausspucken?
Wer mehr als eine dieser Fragen mit “ja” beantwortet, ist einem hohem Risiko* ausgesetzt, in nicht allzu ferner Zukunft so auszusehen:

Oder wenigstens so:

*Es sei nicht verschwiegen, dass alle - auch und besonders wir - einem viel höheren Grundrisiko ausgesetzt sind als gemeinhin angenommen. Die Geschichte ist voll von Menschen und Unternehmen, die eben noch so groß oder relevant waren, dass jeder dachte, die können gar nicht kaputt gehen oder irrelevant werden - bis sie es plötzlich doch konnten. Der in meinen Augen beste Weg, damit einem das passiert, ist der Glaube daran, es könne einem nicht passieren, jedenfalls nicht schnell und unerwartet. Es gab mal eine Zeit - geologisch betrachtet vorgestern - als nur die überlebten, die beim Knacken eines Astes an einen Säbelzahntiger dachten und nicht an ein Eichhörnchen. Wir alle sind ihre Nachfahren.
Die Frage, ob eine mittelmäßige KI den Content produzieren könnte, meine ich übrigens ohne ethische Hintergedanken. Denn ob richtig oder falsch, es wird passieren. Es passiert jetzt schon. ChatGPT et al haben massive Schwächen und sind der Ort, wo Urhebermoral zum Sterben hingeht, aber sie können einen grotesk hohen Anteil des modernen Online-Journalismus schon jetzt besser als die Journalisten. Was wiederum wenig über die KIs sagt (oder die Journalisten, die in diesem kaputten System funktionieren müssen), aber viel über die Abdecker.
Ein guter Leitfaden für den Hausgebrauch ist meiner Erfahrung nach übrigens die folgende Maxime: Wenn eine mittelmäßige KI den Content ebenso gut produzieren kann, sollte man auch keine Zeit mit dem Konsum verschwenden. Seit ich das praktiziere, habe ich viel Lebenszeit dazu gewonnen (je nach Studienlage verbringen wir im Schnitt etwa eine Stunde täglich mit “News” im weiteren Sinne, unsere Generationen vermutlich noch deutlich mehr), fühle mich mental so gesund wie seit Jahren nicht mehr und habe trotzdem nicht eine einzige wirklich wichtige Nachricht verpasst.
1 Meldung, 5 Gedanken
Ubisoft ist weiterhin der Überzeugung, dass dir dein Spiel nicht gehört
Quelle:
https://www.polygon.com/gaming/555469/ubisoft-holds-firm-in-the-crew-lawsuit-you-dont-own-your-video-games?fbclid=IwZXh0bgNhZW0CMTEAAR6qVUri3YEl-Rm1i2hUkopLGiFMB0vcfSJN_2XvFyiSWDUJc6EDhA_0kDCXkw_aem_vnLG_QctHg-dUb7i1mTNHA (Si apre in una nuova finestra)Erster Gedanke: Ja, schon wieder Ubisoft, die haben offenbar noch nie ein Schwert gesehen, in das sie nicht umgehend stürzen wollten und waren in unserer bezaubernden WoPlaNele in letzter Zeit Stammgast, aber mir geht’s hier nicht um das x-te Ubisoft-Bashing (auch wenn sie echt hart daran arbeiten, sich das zu verdienen), sondern um den Sachverhalt an sich, nicht mehr spielbare Spiele, sobald der Hersteller die Server abschaltet, denn dieser Sachverhalt ist größer als Ubisoft.
Zweiter (unpopulärer) Gedanke: Deal with it. Es muss einem nicht gefallen, aber jeder geistig einigermaßen zurechnungsfähige Käufer weiß oder muss wissen, worauf er sich einlässt. So emotional verständlich die ganze Aufregung darum ist, so wenig hält sie in meinen Augen einer rationalen Betrachtung stand.
Dritter Gedanke: Denn natürlich ist es weltfremd, zu argumentieren, die sollen halt einfach die Server laufen lassen. Das können sie so einfach nicht. Da hängen Rattenschwänze dran, die sich niemand von uns (und auch nicht von jenen, die am Lautesten danach schreien) vorstellen können. Alleine die rechtliche Situation gleicht aus Unternehmenssicht einem Fukushima, wie mir von Leuten gesagt wurde, die sich damit auskennen.
Vierter Gedanke: Sollten sie also einen Offline-Mode einbauen? “Sollte” indiziert meistens eine moralische Komponente, also lautet meine Antwort natürlich “ja, unbedingt”. Dass Spiele mit unnötigem Onlinezwang aus Verbrauchersicht massiv abgestraft gehören, ist selbstevident. Dass das viel zu selten (wenn überhaupt!) gemacht wird, ist wieder einer jener Gründe, die in Zukunft zu einer bemerkenswerten Dodoisierung führen dürften. Oder wenigstens zur Krötenwanderung.**
Fünfter Gedanke: Aber ein Aktienkonzern ist nun einmal keine moralische Einrichtung (oh wie Ubisoft sich gerade Mühe gibt, das ein für allemal zu beweisen), wird es nie sein und moralische Kritik an ihm ist nicht etwa sein Kryptonit, sondern sein Benzin. All die Aufregung, all die Petitionen, all die schöne Lebenszeit wird garantiert nichts ändern, selbst wenn irgendein Gericht am Ende tatsächlich im Sinne der Spieler urteilt, weil dann einfach das nächste Loophole in die AGBs geschrieben wird und der Spaß von vorne beginnt, ein ewiger Kreislauf, der nur Geld und Zeit verbrennt, die beiden Ressourcen also, von denen die meisten Menschen viel zu wenig besitzen.
Auch der an dieser Stelle oft geäußerte Spruch “so lange Leute das kaufen, wird sich auch nichts ändern, also kauf es halt nicht” ist wenig hilfreich (und nicht sonderlich klug), weil ziemlich gut erforscht ist, dass Menschen so nicht funktionieren und vermutlich auch nie werden. Richtig ist: So lange AGs die ethisch unregulierteste und finanziell attraktivste Unternehmensform ist, wird sich daran nichts ändern. Man sollte sich also darauf konzentrieren, das zu ändern, denn das geht. Gesetze, Regeln, Rahmenbedingungen lassen sich ändern. Menschen hingegen nicht, zumindest nicht in einem geologisch überschaubaren Zeitraum und ohne dass sie es selbst wollen. Not Fun Fact: Aus diesem Grund kommt auch langfristig selten was Gutes dabei raus, wenn man so viel öffentlichen Druck aufbaut, dass Menschen einknicken. Die knicken nämlich ganz schnell wieder zurück, sobald das Auge Saurons weitergewandert ist und sind bloß kompetenter im Sich-nicht-erwischen-lassen geworden.
**Es ist eigentlich herrlich absurd, wie die Entertainmentproduktpresse einerseits stramm an Wertungen festhält, weil die Verbraucher das so wollen (was stimmt), bei diesen Wertungen aber meist alles ignoriert oder mit einem Feigenblattabsatz relativiert, was die Rechte dieser Verbraucher mit Stahlkappenschuhen tritt. Die Dynamik, die zu einer Presse führte, die eigentlich auf keiner Seite steht, nicht mal auf der eigenen (dann würde sie sich die Tests nämlich wenigstens von den Herstellern bezahlen lassen, das wäre rational sinnvoller als der Status Quo), wird irgendwann einen Sozialwissenschaftler sehr, sehr glücklich machen.
Ein Teil der Wahrheit ist natürlich, dass man das von innen (wie so oft) einfach nicht bzw. nicht gut wahrnimmt, was ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Man ist so sehr mit dem Jonglieren unterschiedlicher Interessen beschäftigt, dass man gar nicht (oder nicht ausreichend) wahrnimmt, womit man jongliert - Handgranaten nämlich. Und dass man am Ende bloß ohne Hände dasteht, wenn man nicht aufpasst, und von jemandem ersetzt wird, der noch alle Greifwerkzeuge besitzt, mit der Betonung auf noch.
Was wir spielen und was wir sonst noch so machen
Ich weiß es nicht. Ich schreibe diese Zeilen nämlich schon am Sonntag, weil ich am Montag einen Arzttermin habe und das Team daher nicht zur gewohnten und heiligen Zeit planen kann.
Ich weiß, dass Sebastian eine Woche Urlaub hat, um Ostern mit wichtigen Menschen zu verbringen. “Geht das so kurzfristig?”, fragte er mich am Freitag. Natürlich geht das. Was machst du noch hier?
Ich weiß, dass JR immer noch mit Commandos: Origins beschäftigt ist und sich angesichts des sehr, äh, unvorteilhaften Releasezustands ärgert.
Ich weiß, dass ich sehr froh bin, dass wir uns keine Gedanken um die einigermaßen idiotische Frage machen müssen, mit welcher Wertung wir diesem Commandos irgendwie gerecht werden, weil wir keine Wertungen im klassischen Sinn haben und einfach “kauft es nicht” sagen können, wenn man es nicht kaufen sollte, auch wenn das Spiel ohne Bugs toll wäre. Es steht halt momentan nur mit Bugs im Laden (oder im Gamepass).
Ich weiß, dass Dom bestimmt tolle Dinge macht, die er mir morgen nach Erscheinen dieses Newsletter erzählt.
Oh, und ich weiß, dass diese Woche zur Feier des Jubiläums an jedem Tag - also auch heute und am Samstag - ein Podcast erscheint, zwei Extra-Podcasts für euch also, einfach so, weil ihr cool seid und wir auch ein bisschen.
Ich weiß wiederum nicht, was das Thema am Sonntag sein wird, also gibt’s heute nichts zu rätseln. Jedenfalls nicht hier.
Stattdessen gibt’s ein Foto von mir:
Ich wünsche euch, dass ihr diese Woche auch mindestens eine Sache habt, auf die ihr euch so freut, wie ich mich aufs Fußballspiel gestern. Wenn nicht: Sucht euch eine, das ist wichtiger als der meiste andere Scheiß, mit dem wir einen erheblichen Teil unseres Lebens verbringen.
Auf die nächsten zehn, ach was, 20 Jahre, mindestens! Denn um einen schlauen Mann zu zitieren: tramps like us, baby we are born to run.
Jochen