Wenn Eltern leiden, leiden die Kinder mit: Wie die psychische Gesundheit der Eltern die Entwicklung von ADHS, Angststörungen und Verhaltensproblemen beeinflusst
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Kinder mit ADHS oder Angststörungen haben oft Eltern, die selbst psychisch belastet sind. Aber beeinflussen die Kinder die Eltern – oder ist es umgekehrt? Eine neue Studie zeigt: Die mentale Gesundheit der Eltern könnte eine entscheidendere Rolle spielen, als bisher angenommen.
Warum ist das Thema wichtig?
Immer mehr Kinder zeigen Symptome von ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung), Angststörungen oder Verhaltensauffälligkeiten. Doch oft wird übersehen, dass die psychische Gesundheit der Eltern eine zentrale Rolle spielt. Eine neue Studie aus den USA zeigt deutliche Zusammenhänge zwischen elterlicher Belastung und der Schwere psychischer Störungen bei Kindern.
Eltern mit schlechter mentaler Gesundheit haben ein bis zu 4,6-mal höheres Risiko, ein Kind mit schwerer ADHS zu haben. Auch Angststörungen treten bei Kindern von belasteten Eltern bis zu sechsmal häufiger auf. Diese neuen Erkenntnisse werfen ein wichtiges Licht auf den Zusammenhang zwischen Elternstress und der psychischen Gesundheit ihrer Kinder.
Doch die entscheidende Frage bleibt: Sind Eltern gestresst, weil ihr Kind ADHS hat – oder bekommt das Kind ADHS-Symptome, weil die Eltern psychisch belastet sind?
Steigende Zahlen: Immer mehr Kinder betroffen
Eine umfassende Datenanalyse der National Survey of Children’s Health (2019–2022) zeigt alarmierende Trends:
ADHS nimmt zu:
2019: 10 % der Kinder betroffen
2022: 12,8 %
Schwere ADHS-Fälle stabil bei 13,7 % bis 14,4 %
Angststörungen steigen weiter an:
2019: 9,5 % der Kinder betroffen
2022: 11 %
Schwere Angststörungen 2020 auf einem Höchststand von 8 %
Verhaltensstörungen (z. B. oppositionelles Verhalten):
2019: 9,2 %
2022: 10,3 %
Autismus-Spektrum-Störungen (ASD):
2019: 3 %
2022: 4,25 %
Schwere ASD-Fälle schwankten zwischen 9,8 % (2019) und 14,5 % (2021)
Wie stark beeinflusst die Psyche der Eltern die Kinder?
Die Studie zeigt deutliche Korrelationen:
Kinder von Eltern mit „schlechter“ psychischer Gesundheit haben ein 4,6-mal höheres Risiko für schwere ADHS.
Schwere Angststörungen treten bis zu sechsmal häufiger auf, wenn die Eltern psychische Belastungen haben.
Auch schwere Verhaltensauffälligkeiten sind signifikant häufiger.
Kein signifikanter Zusammenhang wurde zwischen der elterlichen Psyche und Autismus oder Depressionen bei Kindern festgestellt.
Diese Erkenntnisse zeigen, dass die mentale Verfassung der Eltern einen enormen Einfluss auf die psychische Entwicklung von Kindern hat.
Ursache oder Folge? Wer beeinflusst wen?
Diese Daten werfen eine zentrale Frage auf: Sind die Eltern psychisch belastet, weil ihr Kind ADHS oder Angststörungen hat – oder ist es umgekehrt?
1. Belastung durch das Kind – Wenn ADHS den Eltern Stress macht
Eltern von Kindern mit ADHS oder starken Ängsten sind oft extrem gefordert:
✔ Hoher Betreuungsaufwand: ADHS-Kinder brauchen viel emotionale Begleitung und Struktur.
✔ Dauerhafte Stressbelastung: Impulsives Verhalten, Konzentrationsprobleme und emotionale Ausbrüche können Eltern zermürben.
✔ Schlafmangel und Erschöpfung: Viele Eltern berichten von Schlafproblemen durch unruhige Nächte ihres Kindes.
✔ Soziale Isolation: Betroffene Eltern ziehen sich oft zurück, weil sie sich mit anderen Familien nicht vergleichen können.
2. Elterlicher Stress als Risikofaktor für Kinder
Umgekehrt gibt es starke Hinweise darauf, dass gestresste Eltern das Risiko für psychische Störungen bei Kindern erhöhen können:
✔ Kinder spüren elterlichen Stress: Angst, Depression oder emotionale Unausgeglichenheit der Eltern überträgt sich oft auf die Kinder.
✔ Fehlende emotionale Regulation: Belastete Eltern haben weniger Kapazitäten, ihr Kind emotional zu begleiten.
✔ Unsichere Bindungen: Unsicherheit oder emotionale Abwesenheit der Eltern kann ADHS-Symptome verstärken.
Das Fazit: Die Dynamik ist bidirektional – Kinder mit ADHS belasten Eltern, aber auch belastete Eltern können das Risiko für ADHS oder Angststörungen bei ihren Kindern erhöhen.
Für mich heisst das aber auch : Wenn bei einem Familienmitglied ADHS und / oder Autismus diagnostiziert wurde, sollten bei allen Familienmitgliedern mit “mentalen” Problemen eine entsprechende Diagnostik und auch Behandlung (auch oder gerade in Hinblick auf ADHS) erfolgen.
Was können Eltern tun? Tipps für mehr mentale Stabilität
Die Studienautoren empfehlen einen ganzheitlichen Ansatz, der sowohl Kinder als auch Eltern unterstützt:
1. Selbstfürsorge der Eltern stärken
Eltern dürfen nicht nur an ihre Kinder denken, sondern sollten aktiv an ihrer eigenen psychischen Gesundheit arbeiten. Therapie, Selbsthilfegruppen oder Coaching können hier helfen.
2. Systemische Familientherapie nutzen
Therapieansätze, die das ganze Familiensystem einbeziehen, sind langfristig effektiver als reine Kind-Therapien.
3. Stressreduktion im Alltag etablieren
✔ Feste Routinen helfen Eltern und Kindern gleichermaßen.
✔ Pausen für Eltern einplanen – auch kleine Auszeiten bringen Entlastung.
✔ Netzwerke aufbauen: Austausch mit anderen Eltern kann entlasten und neue Perspektiven schaffen.
4. Gesellschaftliche Unterstützung verbessern
✔ Mehr Therapieplätze für Kinder und Eltern
✔ Finanzielle und soziale Unterstützung für betroffene Familien
✔ Bessere Aufklärung über ADHS, Angststörungen und deren Ursachen
Warum diese Studie so wichtig ist
Die Ergebnisse zeigen, dass mentale Gesundheit kein individuelles, sondern ein familiäres Thema ist. Wer nur das Kind therapiert, übersieht einen entscheidenden Faktor: die Eltern.
Frühe Unterstützung für Eltern kann langfristig helfen, die wachsende Zahl von Kindern mit ADHS, Angststörungen und Verhaltensproblemen zu reduzieren.
Denn: Eltern, die sich selbst stabilisieren, können ihre Kinder besser begleiten.
Und das fängt häufig mit der eigenen Behandlung des ADHS der Eltern an.
Quelle:
Sacca, L., Lent, A., Dunn, A., Eldawy, N., Jhumkhawala, V., Rao, M., & Sohmer, J. (2025). Rising Childhood ADHD, Anxiety, ASD Linked to Caregiver Mental Health. Pediatric Reports, 16(1).
📌 Autor: Dr. Martin Winkler