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Liebe Dana,
ich bin eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern. Ich habe in den letzten Jahren viel in meinem Leben umgekrempelt: Trennung, Auszug, Jobwechsel. Alles absolute Änderungen zum Positiven. Ich bin gut darin, zu handeln, anzupacken und zu ändern. Aber ich bin nicht gut darin, anzukommen, zu vertrauen und zu genießen. Nach einem Leben mit vielen toxischen Beziehungen (zu meinen Eltern und meinem Ex-Partner) kann ich – trotz viel Aufarbeitung und Therapie – einfach nicht loslassen. Ich bin immer in Hab-Acht-Stellung und vermute toxisches Verhalten überall. Wie schaffe ich es, einfach mal zur Ruhe zu kommen und anzukommen? Oder gibt es das gar nicht?
– A.
Liebe A.,
das Wichtigste zuerst: Im Alltag so sehr für dich einzustehen, Veränderungen aktiv anzugehen und deine Stärken so klar fühlen zu können – nach gleich mehreren toxischen Beziehungen, zumal von Kindesbeinen an, ist das alles andere als selbstverständlich. Ich weiß, dass es für uns „gebrannte Kinder“ oft schwer ist, wertschätzende Worte anzunehmen, aber ich möchte es trotzdem gern sagen: Du hast unfassbar viel geschafft. Dass es dir nach so vielen Jahren, in denen dein Vertrauen immer wieder aufs Neue enttäuscht wurde, schwer fällt, aus der Hab-Acht-Stellung auszusteigen, ist vollkommen klar.
Schutzmechanismen können unser Leben retten – aber sie wissen nicht, wann es genug ist. Sie wissen nicht, wann sie nicht mehr gebraucht werden. Und weil wir nun mal keinen Termin mit unserem Unbewussten vereinbaren und Dinge ausdiskutieren können, müssen wir andere Wege gehen.
Ein möglicher Weg führt über den Körper. Wir wissen, dass starke Gefühle unseren Kreislauf aktivieren: Unsere Atem- und Herzfrequenz erhöhen sich. Umgekehrt funktioniert das genauso: Wir können unserem Körper durch gezielte Atemtechniken vermitteln, dass wir in diesem Augenblick safe sind. Ein Klassiker ist die 4-7-8-Übung: Nimm dir morgens nach dem Aufwachen und abends vor dem Einschlafen zwei, drei Minuten Zeit. Atme langsam und tief durch die Nase ein und zähle dabei bis vier. Halte dann die Luft an und zähle bis sieben. Atme dann mit dem Mund aus und zähle dabei bis acht. Ich verlinke dir weiter unten einige Bücher, in denen du zahlreiche weitere Achtsamkeitsübungen für den Alltag findest.
Ein anderer möglicher Weg stammt aus der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT): Entgegengesetzte Wahrnehmung. Eine Hab-Acht-Stellung bedeutet, dass unser ganzer Fokus auf potenziell bedrohlichen Signalen liegt. „Harmlos“ existiert in diesem Zustand nicht. Wir scannen unsere Umgebung panisch auf alles ab, das uns gefährlich werden könnte: Abwertung, Beschämung, Angriff. Bleiben wir zu lange in diesem Zustand, wird die Angst in uns dauerhaft zu laut, verpassen wir die Momente, in denen wir safe sind.
Vermutlich gibt es in deinem Leben Situationen, in denen du rational weißt, dass du gerade keinen Schutzpanzer brauchst: Zum Beispiel im Zusammensein mit deinen Kindern, mit einer guten Freundin oder einem guten Freund. Versuche in diesen Momenten, ganz bewusst eine entgegengesetzte Wahrnehmung einzuüben. Richte deine Aufmerksamkeit auf alles, was verbindet: Herzliche Umarmungen. Unbeschwertes Kichern. Freude bei der Erinnerung an etwas Schönes, das ihr gemeinsam erlebt habt. Nimm diese positiven Gefühle ganz bewusst wahr; mach dir, wenn möglich, nach dieser Begegnung Notizen. Halte fest, wie sich die Sicherheit und Geborgenheit für dich angefühlt haben. Je plastischer du die Erinnerung machst, desto besser kannst du sie künftig im Alltag abrufen – und nutzen.
Wenn du beruflich oder privat Situationen erlebst, in denen deine Hab-Acht-Stellung auch weiterhin wichtig und sinnvoll ist, kannst du trotzdem die Gedanken, Bilder und Gefühle aktivieren, die mit Schutz und Freude verknüpft sind: Stell dir den Ort vor, an dem du dich zuletzt, zum Beispiel mit deinen Kindern oder mit Freund*innen, safe gefühlt hast. Nimm bewusst eine andere Körperhaltung ein: Raus aus der Verkrampfung; Schultern nach hinten, Kopf aufrichten, Kiefer entspannen. Je öfter du deinem Körper signalisierst, dass in diesem Moment alles in Ordnung ist, desto besser können deine Überlebensmechanismen verstehen, dass sie gerade nicht gebraucht werden und leiser werden dürfen.
📚 Quellen und Leseempfehlungen 📚
Martin Bohus, Martina Wolf-Arehult: Interaktives Skillstraining für Borderline-Patienten („Umgang mit Gefühlen“)
Alice Boyes: 5 Mistakes We Make When We’re Overwhelmed, https://hbr.org/2021/04/5-mistakes-we-make-when-were-overwhelmed (Opens in a new window)
James Clear: Atomic Habits. Tiny Changes, Remarkable Results
Tim Desmond: The Self-Compassion Skills Workbook. A 14-Day Plan to Transform Your Relationship with Yourself
Ayelet Fishbach, Ying Zhang, Minjung Koo: The dynamics of self-regulation. In: European Review of Social Psychology, 20(1), S. 315-344, DOI: 10.1080/10463280903275375
Jon Kabat-Zinn: Full Catastrophe Living. Using the Wisdom of Your Body and Mind to Face Stress, Pain, and Illness
Jon Kabat-Zinn: Wherever You Go, There You Are.
MDR Ratgeber: Besser und schneller einschlafen mit der 4-7-8 Methode, https://www.mdr.de/brisant/ratgeber/besser-schlafen-104.html (Opens in a new window)
Wolfgang Senf et al: Techniken der Psychotherapie. Teil IV: Allgemeine emotionsorientierte Therapietechniken.
Maferima Touré-Tillery, Ayelet Fishbach: Three sources of motivation. In: Consumer Psychology Review, 1, S. 123–134, DOI: 10.1002/arcp.1007
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