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Would the real Kamala please stand up?

Das Logo von WTH, America? mit einer hängenden US-Flagge

Liebe Leser:innen,

ich weiß, wir alle sind von Donald Trump traumatisiert und Begeisterung für Politik wird gerade in Deutschland immer skeptisch gesehen, aber mein Eindruck der vergangenen zwei Tage unter den US-Demokraten ist klar: Es herrscht die größte Aufbruchstimmung seit Barack Obama.

880.000 Menschen haben in den ersten 24 Stunden seit dem Bekanntwerden der Kandidatur von Kamala Harris 81 Millionen Dollar gespendet – es ist die größte Grassroots-Spendensammlung in der Geschichte der USA. Für zwei Drittel von ihnen war es die erste Spende im Wahlkampf 2024. Bei einem Zoom-Call von „Win With Black Woman” am Sonntag waren 44.000 Menschen eingeloggt, einen Abend später bei „Win With Black Men“ waren 53.000 Menschen mit an Bord. Kamala Harris beherrscht TikTok und sie hat bei ihren ersten beiden kurzen Wahlkampfreden vor Demokraten-Wahlkämpfer:innen minutenlange Begeisterungsstürme ausgelöst – schon jetzt schaut es so aus, als ob „We are not going back!“ zu einem Schlachtruf gegen Trumps autoritäre Phantasien werden könnte.

Abseits der Hardcore-Anhängerschaft gibt es aber natürlich Bedenken: Hat diese Frau nicht ihren 2020er-Wahlkampf an die Wand gefahren? War sie nicht furchtbar farblos als Vizepräsidentin? Und schreckt ihr aufgesetztes Lachen nicht gerade in den USA die Frauenfeinde ab, die schon 2016 Hillary Clinton die Wahl gekostet haben?

Ich glaube: Diese Eindrücke von ihr sind überholt.

Im Newsletter heute argumentiere ich, warum.

Let's go.

VERSTEHEN

Drei Thesen zu Kamala Harris – und ihre Entkräftung

Harris ist eine schlechte Wahlkämpferin.

Kamala Harris war schon im Wahlkampf 2020 auf dem Papier sehr aussichtsreich: Sie sah aus wie das frische Gesicht der Demokraten in einem immer vielfältigeren Land und sie hatte als Staatsanwältin mit hoher Verurteilungsquote bewiesen, erfolgreich Kriminalitätsraten drücken zu können – doch ihr Wahlkampf brach schon 2019 in sich zusammen, sie trat nicht einmal zur ersten Vorentscheidung in Iowa Anfang 2020 an.

Bis heute hält sich deshalb der Eindruck, Harris sei eine schlechte Wahlkämpferin. Doch das Land und sie selbst waren vor vier Jahren noch anders. „Black Lives Matter“ war ein junger, aufstrebender Schlachtruf, der Kampf gegen zu große Autorität von Polizei und Staatsgewalt fand viel Aufmerksamkeit – eine Strafverfolgerin und Staatsanwältin passte nicht in die Zeit. Ihr Kernthema Abtreibung nahm 2020 niemand ernst, schließlich gab es „Roe v. Wade“, das Gerichtsurteil, das landesweit ein Recht auf Abtreibung garantierte. Und das Feld möglicher Kandidat:innen ließ kaum Platz für Harris, zwischen dem Elder Statesman Joe Biden, der linken Gallionsfigur Bernie Sanders, der kämpferischen Elizabeth Warren, dem aufstrebenden Kleinstadt-Bürgermeister Pete Buttigieg und der verlässlichen Midwest-Senatorin Amy Klobuchar.

Vier Jahre später ist alles anders: Rund um Donald Trumps Strafprozesse sehnen sich viele nach einer kämpferischen juristischen Aufarbeitung. Harris’ Anhänger fragen schon jetzt: „You want the cop or you want the criminal?” Das Recht auf Abtreibung ist kassiert und jede dritte Frau im gebärfähigen Alter hat in ihrem Heimatstaat keinen Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch auf eigenen Wunsch. Und von der einstigen Konkurrenz ist nichts zu sehen – der gesamte Apparat an smarten Partei-Alternativen stand blitzschnell hinter der 59-Jährigen. Bisher beweist sie mit ihrer trittsicheren Kommunikation, dass sie den Herausforderungen des aktuellen Wahlkampfs besser gewachsen ist als 2020.

Harris war eine blasse Vizepräsidentin.

Hartnäckig hält sich das Bild, dass Harris als Vizepräsidentin „nicht viel erreicht“ habe. Grundsätzlich sei dazu gesagt, dass dieser schlimme Grüßaugust-Job vor allem auf dem Papier mächtig daherkommt, aber in der Praxis undankbar wenig Einfluss hat. Kaum jemand in diesem Amt kann auf Erfolge verweisen, im Fall von Joe Biden basierten sie eher auf seinen jahrzehntelangen Bündnissen im Senat als auf der Macht, Obamas Stellvertreter zu sein. So bleibt vor allem Dick Cheney als wirklich einflussreicher VP – es ist aber eher unwahrscheinlich, dass sich viele nach dessen Irak-Kriegstreiberei zurücksehnen.

Nichtsdestotrotz stimmt es, dass Harris die ersten anderthalb Jahre kaum Tritt gefunden hat. In einer frühen Besprechung mit Joe Biden über mögliche Aufgabengebiete soll sie laut Elaina Plott Calabro im Atlantic (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) einige kluge Ideen zur Kriminalitätsbekämpfung für Länder mit besonders vielen Flüchtlingen auf dem Weg in die USA geäußert haben. Biden, der unter seinem einstigen Chef Barack Obama besonders in der Außenpolitik punkten konnte, sagte Harris darufhin: „Nun, dann ist halt die Südgrenze fortan Dein Thema.“ Er sah darin ein Zeichen dafür, wie ernst er Harris nahm. Ihr war dagegen klar, dass mit dem Thema nichts zu gewinnen sei und tatsächlich gibt es auf diesem Gebiet kaum Fortschritte, auf die sie verweisen könnte.

In der zweiten Hälfte der Amtszeit unter Biden fand Harris dann aber immer mehr in die Rolle. Sie wurde zur Galionsfigur des derzeit aussichtsreichsten Demokraten-Themas überhaupt: Abtreibungsrechte.

Die letzten Monate ihrer Vizepräsidentschaft und vor allem ihr Auftreten seit dem TV-Duell und den Gerüchten zu Bidens bevorstehendem Rückzug zeigen vor allem eines: Diese Frau hat an Format hinzugewonnen, denn sie agiert strategischer und ist in ihren Reden deutlich klarer und mitreißender als noch vor wenigen Jahren.

Als Frau und Schwarze hat Harris in den USA keine Chance.

Hillary Clintons Niederlage gegen Donald Trump 2016 steckt den Demokraten so sehr in den Knochen, dass viele noch heute raunen: „Ich glaube, das Land ist einfach nicht bereit für eine Frau.“

Nun, erstens hatte auch Clinton drei Millionen Gesamtstimmen mehr in der Bevölkerung, zweitens sind seitdem acht Jahre vergangen und die sichtbare Gleichberechtigung hat weiter zugenommen, drittens hatte Clinton ihre „I’m with her“-Kandidatur mit dem spröden Spruch „Wir durchbrechen die Glasdecke“ durchzogen – ein Argument, das bei Wähler:innen so ankam, als man ihr etwas schulde, viertens wurde auch bei Barack Obama stets gefragt, ob das Land für einen Schwarzen als Präsidenten bereit sei und er bewies ihnen dann das Gegenteil.

Gut möglich, dass Harris immer noch gegen Frauenfeindlichkeit ankommen muss. Doch sie selbst hat bisher gut erkannt, dass sie den möglicherweise historischen Schritt nicht in den Vordergrund stellen sollte, die erste Präsidentin nach 46 Präsidenten zu sein. Dieses Argument lässt sie andere für sie vorbringen.

Wird all das reichen, dass Harris sicher gegen Trump zu gewinnen? Genau kann das keiner sagen, denn noch sind es knapp mehr als 100 Tage bis zur Wahl und die Achterbahnfahrt der vergangenen dreieinhalb Wochen waren eine erschöpfende Mahnung, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen.

Fest steht nur, dass die Demokraten plötzich wieder eine Chance haben, ihre Position auszubauen. In einer allerersten Umfrage (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) nach der Biden-Entscheidung hatte Harris im Vergleich zur Vorwoche plötzlich zwei Prozentpunkte Vorsprung vor Trump – eine Woche zuvor hatten beide gleichauf gelegen. Damit scheint sich zumindest anzudeuten, dass Trump den Parteitag und sein Attentat nicht zu mehr Zustimmung umwandeln kann. Wirklich aufschlussreich werden diese Umfragen allerdings erst Ende August sein, wenn der Demokraten-Parteitag Mitte des Monats ein wenig zurückliegt und mehr Wähler:innen eine Gelegenheit hatten, sich ein Bild der aktuellen Kamala Harris zu verschaffen.

VORAUSSCHAUEN

Findet Trump in den nächsten Tagen eine Attacke gegen Harris?

Kamala Harris hat die Republikaner und Donald Trump kalt erwischt. Sein Wahlkampf war auf den Kontrast stark gegen schwach (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) ausgelegt: Auf der einen Seite der souveräne Donald Trump, der zu Ultimate Fighting Kämpfen geht und aggressiv seine Gegner attackiert. Auf der anderen Seite Joe Biden mit seinen Kirchbesuchen, dem zittrigen Gang und familiärer Wärme für seinen Sohn Hunter.

Mit Harris Antritt ist Trump plötzlich der älteste Präsidentschaftskandidat aller Zeiten in einer der beiden großen Parteien – und die Republikaner versuchen es verkrampft mit einer Schrotflinte, um das Image der Konkurrentin anzukratzen. Ein Memo erläutert in der Sektion „Weird“, dass Harris seltsam lache und Plastikstrohhalme ablehne.

VERTIEFEN

The Ezra Klein Show fragt: Ist Kamala Harris unterbewertet?

Politkommentator Ezra Klein lässt nicht nur seit kurzem im Logo seiner Show ein filigranes Tattoo auf dem Oberarm durchblitzen, sondern er zählt natürlich immer noch zu den klügsten und am dichtesten formulierenden US-Journalisten. Schon Anfang Juli widmete er sich (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) sehr smart der Frage, ob Harris möglicherweise von vielen unterschätzt wird.

ANDERSWO

Neue Arbeit von mir an anderer Stelle

Für das RND habe ich mich im Newsletter US-Radar (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) ebenfalls mit der Frage beschäftigt, wie Kamala Harris nun im Wahlkampf auftreten dürfte. Außerdem geht es um den Trend „Brat Code“ und die Frage, wieso Harris’ X-Account hellgrün daherkommt.

Im Podcast „Bei Burger und Bier“ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) blicken Kollege Bastian Hartig und ich Ende der Woche auf Kamala Harris, die Folge entsteht gerade.

https://burgerundbeer.podbean.com/ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Das wars in dieser historischen Woche.

Beim nächsten Mal geht es dann hoffentlich wieder um mehr als nur eine Person – und ich erzähle, was ich beim morgen angesetzten Wahlkampf-Event „Coconuts for Kamala“ erlebt habe.

Best from NYC,

Christian

PS: Solltet ihr „WTH, America“ von Freundin oder Feind weitergeleitet bekommen haben, könnt ihr selbst hier den

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