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Trumps Tricks

Das Logo von WTH, America? mit einer hängenden US-Flagge

Liebe Leser:innen,

Es nun neun Tage her, dass Joe Biden seinen Rückzug angekündigt hat und die Demokraten erleben weiter ein zuvor kaum vorstellbares Hoch. Jubelnde Anhänger:innen feiern Kamala Harris und die designierte Präsidentschaftskandidatin liefert ab, unterstützt von klugen Slogans wie „We are not going back“ und „If we fight, we win“.

Spendenzahlen gehen weiter durch die Decke, Hunderttausende Freiwillige sitzen in Zoom-Calls und Harris bekommt für ihre souveränen Wahlkampfauftritte jedes Mal frenetischen Applaus.

Auch beim Event „Coconuts for Kamala“, bei dem ich vergangenen Mittwoch in New York war, gab es prächtige Stimmung: 600 Gäste haben mehr als 500.000 Dollar zusammengebracht.

Zwei männliche DJs beim Event "Coconuts for Kamala", die vor aufgeblasenen Palmen und "Kamala"-Luftballons die Turntables bedienen.

Aktuell betonen die Demokraten auch immer wieder, wie „merkwürdig“ und „seltsam“ die Republikaner seien – „weird“ ist ihr Angriff der Stunde und ich könnte mir gut vorstellen, dass diese leicht belustigte, leicht verwunderte Stichelei Donald Trump hart trifft. Was bleibt schon von seiner angeblichen Stärke, wenn man nicht einmal Angst vor ihm hat?

Um Rhetorik im Wahlkampf soll es auch heute hier gehen. Bis nach Deutschland hat es Trumps Ankündigung vor strenggläubigen Christen geschafft, dass sie doch bitte nur noch einmal wählen bräuchten, in vier Jahren sei es nicht mehr nötig. Ich will den Satz nutzen, um auf die sprachlichen Tricks von Autokraten zu schauen. Außerdem geht’s etwas ausführlicher um VP-Kandidat:innen für Harris und eine smarte Republikaner-Versteherin.

Let's go.

VERSTEHEN

Trump meint, was er sagt!

Schon wieder ist es passiert, schon wieder sind sie naiv auf Trump reingefallen. Das Attentat habe ihn sicher gemäßigt, hieß es genauso wie unzählige Male zuvor, als ihm ein neuer präsidialer Stil unterstellt wurde. Doch nur wenige Tage später hat er natürlich wieder gepoltert und plusterte sich sogar auf, eben doch nicht nett (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) sein zu wollen.

Oft heißt es zu Trumps Entschuldigung, er sei nicht wortwörtlich zu verstehen, sondern man müsse seine Äußerungen nur gesamthaft ernst nehmen – eben „seriously, not literally“. Und so setzt seit Jahren eine Deuterei ein, die bei Autoritären und Rechtskonservativen überall zum Standardrepertoire gehört. Das Spektakel besteht immer wieder aus den gleichen drei Schritten:

1.) Die Populisten sagen etwas, das sich radikal verstehen lässt, aber eben einen winzigen Ausweg erlaubt, die sogenannte „plausible deniability“, das „plausible Abstreiten“.

2.) Medien berichten über die Aussage, aber verstecken sich oft hinter der Einordnung, dass der politische Gegner den Radikalen in eine bestimmte Richtung deute und ihn dafür kritisiere – möglich sei auch eine wohlwollendere Deutung, so die naive Einordnung.

3.) Der Kandidat beschwert sich über die angeblich unverschämte Auslegung seiner Worte, stellt sich so Richtung Mitte als Opfer dar, während er gerne mitnimmt, nach rechts zu zwinkern, wissend, dass dort seine Aussage sehr wohl wortwörtlich verstanden und gefeiert wird.

All das ließ sich diese Woche bei Trump beobachten. Er sagte, protokolliert bei Huff Post (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre): „Christen, geht raus und wählt. Nur dieses eine Mal. Ihr müsst das dann nicht mehr machen. Wisst ihr was? Vier weitere Jahre und alles wird gelöst sein, es wird gut sein. Ihr müsst nicht mehr wählen, meine wundervollen Christen.“

Das lässt sich nun auf zweierlei Arten deuten, einerseits radikal („Trump will freie Wahlen abschaffen.“), andererseits gemäßigt („Trump verspricht, im Interesse der Christen zu arbeiten, so dass bisher politisch Desinteressierte nach einer nächsten Amtszeit von ihm ihre Ziele erfüllt sehen und wieder zu Nichtwähler:innen werden können.”).

Warum aber geben wir dem Mann immer und immer wieder den „benefit of the doubt“, einen wohlwollenden Zweifel? Warum gehen wir davon aus, dass ausgerechnet dieser betrügerische, rassistische, frauenfeindliche Zündler, der ein Einreiseverbot für Muslime durchsetzte, Ladendiebe im Geschäft erschießen lassen will und der bei Wahlkampfauftritten Behinderte nachäfft (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), doch sicher dieses Mal seine Aussage gemäßigt gemeint hat, gerade so als schere er sich um gesellschaftliche Normen, die Demokratie und faire Wahlen? Wir müssen wirklich nicht raten, ob Trump gerne ein Diktator wäre und Wahlen abschaffen möchte, er sagt es doch selber und fügt dann an „aber nur am ersten Tag“, zwinker, zwinker.

Wie Sean Carroll bei Bluesky (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) zurecht mit Blick auf den Kapitolsturm sagt: „Der vielleicht beste Beweis dafür, dass Trump die Ergebnisse einer Wahl missachten und versuchen würde, an der Macht zu bleiben, ist dieses eine Mal, als er die Ergebnisse einer Wahl missachtet und versucht hat, an der Macht zu bleiben.“ Oder, wie Masha Gessen immer erklärt: „Wenn Dir ein Autokrat sagt, wer er ist, dann glaub‘ ihm beim ersten Mal.“

Bei Substack (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) erklärt Jason Sattler Trumps rhetorischen Trick des „plausiblen Abstreitens“.

Wer noch tiefer in das rhetorische Umfeld von Trump eintauchen möchte und verstehen will, wie Evangelikale ihn unterstützen wollen: Der Atlantic (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) hat 59 Gebete ausgewertet, die bei Wahlkampfveranstaltungen für den Republikaner gesprochen wurden. Es gibt tatsächlich eine Gruppe an Unterstützer:innen, die ihn, auch schon vor dem Attentatsversuch, für einen Gesandten halten.

VORAUSSCHAUEN

Harris stellt Vize vor

Am kommenden Dienstag will Kamala Harris in Philadelphia zum ersten Mal mit der Person auftreten, mit der sie als Vizepräsident:in ins Weiße Haus einziehen will. Das hat schnell Spekulationen genährt: Wenn sie in Pennsylvania auftreten, dann müsse der VP ja wohl Josh Shapiro sein, der beliebte Gouverneur des Bundesstaates, hieß es. Schnell hat Harris’ Wahlkampf-Team klargestellt, dass man doch bitte in den Ort nicht zu viel hineinorakeln sollte. Wir müssen uns also noch ein wenig gedulden.

Shapiro ist jedenfalls in seinem Bundesstaat, einem wichtigen Swing State, extrem beliebt und er wurde mit deutlichem Vorsprung und einer besseren Marge als Biden gegen Trump wiedergewählt. Er wäre allerdings eine Vernunftentscheidung mit Gepäck, weil er gegen Gewerkschaften in seinem Staat vorgegangen ist.

Bleiben einige weitere Namen im Gespräch:

  • Mark Kelly
    Gemäßigter Senator aus Arizona mit guter Bilanz an der Grenze und ehemaliger Astronaut und Kampfjetpilot mit berühmter Politiker-Ehefrau Gabby Giffords, die einst ein Attentat überlebte. Er brächte das Risiko mit sich, dass die Demokraten erneut einen Senatorenposten in einem umkämpften Bundesstaat gewinnen müssten und so möglicherweise eine dünne Mehrheit im Senat verlieren könnten.

  • Tim Walz
    Bis vor kurzem nahezu unbekannter Gouverneur von Minnesota und früherer Lehrer, der dort eine progressive und beliebte Agenda umgesetzt hat, aber gemäßigt daherkommt. Unter anderem sind dort nun Frühstück und Mittagessen an Schulen kostenlos. Er hat den „weird“-Angriff auf die Demokraten etabliert und gilt ihm aufziehenden Harris-Wahlkampf als Prototyp des fröhlichen Kriegers, obwohl er optisch eher dem gutmütigem Onkel von nebenan entspricht.

  • Gretchen Whitmer
    Beliebte Gouverneurin in Michigan, die wortgewandt als aufrichtige Abtreibungsbefürworterin auftritt, aber als Frau für einige eher vorsichtige Wahlkämpfer ein zu großes Risiko darstellt.

Als Wild Card gilt zudem noch Verkehrsminister Pete Buttigieg, der sich in vielen Fernsehauftritten extrem versiert als Demokraten-Erklärer verdient macht und auch im The Daily (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)-Podcast der New York Times sehr überzeugte. Gegen den offen schwul und mit zwei Kindern lebenden Aufsteiger wird immer wieder das Argument vorgebracht, dass seine Homosexualität Wähler:innen verprellen könnte – ich frage mich allerdings, ob es wirklich so viele Menschen gibt, die eine schwarze Progressive aus Kalifornien als Präsidentin gut fänden, die sich dann aber abwenden, weil ihr VP schwul ist. Nichtsdestotrotz wäre seine Verpflichtung eine Überraschung.

Will Harris ein Zeichen Richtung Arbeiter und Mittleren Westen setzen, wird es Shapiro oder Walz, möchte sie das Grenzthema besetzen, nimmt sie Kelly, will sie mutig mit ihrer „Wir stehen für Zukunft“-Message punkten, wählt sie Whitmer oder Buttigieg.

VERTIEFEN

Wähler verstehen mit Sarah Longwell

Im aktuellen Wahlkampf habe ich extrem die Arbeit und Auftritte von Sarah Longwell schätzen gelernt. Sie ist von Haus aus Republikanerin, aber will dringend eine weitere Amtszeit von Donald Trump verhindern.

Longwell organisiert Fokus-Gruppen, in denen sie Wähler:innen verschiedener Ausrichtungen zusammenführt: Clinton-Trump-Wähler:innen, Unentschiedene, Trump-Biden-Wähler:innen, Schwarze Nichtwähler:innen, Trump-Trump-Wähler:innen, die vom Kapitolsturm entsetzt waren.

Longwell ist immer wieder in US-Talkshows und Podcasts zu Gast, sehr klug sprach sie zuletzt bei The Wilderness (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Dort erzählt sie, dass sie seit Bidens Rückzug vier Gruppen organisiert habe und es auffällig sei, wie sehr die Teilnehmenden aktuell nach Gründen suchen, Harris zu mögen – sie erlebe weniger aktive Ablehnung, sondern eher die Frage, wofür sie nun stehe.

Sehr hörenswert ist auch Longwells eigener Podcast The Focus Group (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

ANDERSWO

Neue Arbeit von mir an anderer Stelle

Im Podcast „Bei Burger und Bier“ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) blicken Kollege Bastian Hartig und ich ausführlich auf Kamala Harris und beleuchten, wieso sie sich nach dem gescheiterten Wahlkampf 2019/20 und einem holprigen Vizepräsidentschafts-Start gewandelt hat – es hat mit Hautfarbe und Geschlecht zu tun.

https://burgerundbeer.podbean.com/e/kamala-mania-wie-kamala-harris-den-us-wahlkampf-umkrempelt/ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Soviel für heute. Nach einigen Tagen in Los Angeles, wo sich viele Leute bemühten, mir ausdrücklich zu versichern, wie unpolitisch sie seien, bin ich wieder zurück an der Ostküste. Bis nächste Woche!

Best from NYC,

Christian

PS: Solltet ihr „WTH, America“ von Freundin oder Feind weitergeleitet bekommen haben, könnt ihr selbst hier den

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