Nord Stream - Medienmechanismen
Arbeit ist, wenn man auch einmal etwas machen muss, was keinen Spaß macht. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich mal einen Beitrag mit den Worten beginne „Ich habe keinen Bock“.
Der Spiegel liegt nach wie vor auf meinem Schreibtisch. Ich habe die meisten Veröffentlichungen zu dem Thema Sprengung der Nord Stream verfolgt, auch in ausländischen Medien. Und nun veröffentlicht ZAPP gestern „Geheimsache Nord Stream – Wird die Aufklärung blockiert?“
Und ich mag nicht mehr. Ich mag nicht einmal mehr lesen, sehen und hören, was Formate zu erzählen haben, die ich zuvor geschätzt habe.
Um das gleich zu beantworten: Selbstverständlich wird die Aufklärung blockiert, ihr Blitzgescheiten. Von allen Seiten. Das nennt man Geheimhaltung.
Was die Menschen wissen wollen
Was die Menschen interessiert ist die Frage, wer für die Sprengung von Nord Stream verantwortlich ist. Aber das wird nicht beantwortet. Weil die Journalisten es nicht beantworten können. Und ihr Umgang damit kommt mir zunehmend naiv vor.
Journalisten haben nicht die Kompetenz, in die Kreise der ganz selbstverständlich verantwortlichen Geheimdienste einzutauchen. Journalisten können nur Fragen stellen. Und wenn niemand antwortet, sind sie mit ihrem Handwerk am Ende.
Es ist selbstwertdienlich, das nicht so klar auszusprechen.
Alle sensationellen Veröffentlichungen durch die Medien sind nicht geschehen, weil Journalisten sich in Geheimdienste eingeschleust haben. Sondern weil irgendwer gequatscht hat. Das fängt bei den professionellen Amateuren von Watergate an und endet nicht bei Snowden.
Techniken des Journalismus
Doch wenn es wenig zu berichten gibt, wenn eine Story zu dünn ist, dann gibt es Techniken, sie größer erscheinen zu lassen, als sie ist.
Dramatische Hintergrundmusik, dramatische Zitate die aus dem Kontext gerissen werden, Andeutungen was sein oder passiert sein könnte, und so weiter. Konjunktive, so wichtig.
Eine Möglichkeit eine Story groß erscheinen zu lassen ist, dass man gar nicht mehr primär über die Erkenntnisse berichtet. Sondern man wechselt auf die Meta-Ebene und berichtet über die Recherche. Das ist so ähnlich wie bei Geschichts-Dokus, die meist wenig über Geschichte berichten, sondern über Archäologie. Sie sollten nicht „Geschichts-Dokus“ heißen, sondern „Archäologie-Dokus“.
Manchmal ist eben das Glas Milch interessant, weder die Kuh, noch wie die Milch ins Glas kam.
Und genau das passiert derzeit mit Nord Stream 2.
Es gibt seit Monaten keine neuen Erkenntnisse. Und nun wird darüber berichtet, wie man recherchiert hat, wie man die Yacht Andromeda gechartert und für viel Geld der Gebühren tagelang die Rute nachgefahren ist und das Medienmagazin Zapp berichtet, was andere berichtet haben und Journalisten interviewen andere Journalisten.
Sich das bewusstmachend ist es eigentlich ein Witz. Und zeigt bei genauerer Betrachtung die Funktionsweise der Medien auf. Erst kommt der Umsatz, dann die Information.
Kaum klare Aussagen
Und dabei entsteht dann auch mal ein falsches Bild. Wobei ich nicht unterstelle, dass diese Medien das absichtlich tun. Ich bin sogar recht sicher, die sind von dem überzeugt, was sie da tun und sagen.
Da rutscht dann dem Spiegel „Recherche-Koordinator“ Jörg Diehl auch mal raus, dass ein bei Ermittelnden ein „Klima der Angst entstanden ist“. Wobei ich nur wiederholen kann: Das nennt man Geheimhaltung. Hätte ich damals irgendwas ausgequatscht, hätte ich gute Chancen gehabt, dafür ein oder zwei Jährchen im Kerker zu landen. Und das in Deutschland und in Friedenszeiten. Und bei vergleichsweise uninteressantem Zeug.
Dass man vom Dienstherrn für ein Ausplappern disziplinarisch oder strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann, wie ZAPP extra herausstellt, ist im Fall der militärischen Geheimdienste noch das geringste Problem. Zumal wenn es auch um den russischen Militär-Geheimdienst GRU gehen kann.
Und so rutscht Diehl dann auch mal heraus, dass klar sei, dass die Yacht Andromeda das Boot gewesen sei, mit dem die Saboteure unterwegs gewesen seien. Und das ist eben nicht klar. Klar ist lediglich, dass diese Yacht in dem Zeitfenster durch undurchschaubare Quellen angemietet wurde und an Bord Sprengstoffspuren gefunden wurden. Was heißt, dass durch undurchschaubare Quellen angemietet wurde und an Bord Sprengstoffspuren gefunden wurden. Und mehr nicht.
Und da viele Menschen solche Hinweise mangels Phantasie und Kenntnis solcher militärisch-geheimdienstlichen Operationen erst verstehen, wenn man eine Alternative aufzeigt: Die Pipelines können auch von einem U-Boot aus gesprengt worden sein und man hat über Scheinfirmen einfach mal ein paar Leute mit einem Päckchen und gefälschten Ausweisen ein paar Tage durch die Gegend schippern lassen. Damit die Medien und Ermittler sich daran abarbeiten.
Nur nebenbei: Hat eigentlich schon einmal jemand geguckt, ob das Kilo-U-Boot in dem Zeitfenster von mehreren Wochen dauerhaft in Kaliningrad vor Anker lag?
Überraschung: Lag es nicht.
Aber das ist eben auch nur eine Möglichkeit. Correlation ist not causation.
Und der schwedische Ingenieur und selbsternannte Ermittler Erik Andersson wundert sich darüber, dass ein deutscher Augenzeuge nicht durch die Medien befragt wurde. Was daran liegen könnte, dass der angebliche Augenzeuge auch nur die Fontäne an der Wasseroberfläche gesehen hat und somit kein Augenzeuge ist. Außerdem spricht er ständig von Bomben, was in dem Kontext doch etwas laienhaft ist.
Bei militärischem Geheimdienst ist Schluss mit Lustig
Geheimdienste gründen Scheinfirmen, schleusen Menschen ein, die völlig banalen Tätigkeiten nachgehen und drucken Ausweise selber. Was übrigens nachweislich in mindestens einem Fall bei der Nord-Stream-Story passiert ist: Echte Dokumente mit der Identität einer real existierenden Person, die damit aber nichts zu tun hatte. Das ist Geheimdienst wie aus dem Lehrbuch.
Dass die angebliche Spur in die Ukraine führt, hat absolut nichts zu sagen. Zumal sie auch über Polen und die Tschechei führt und in mindestens einem Fall nicht in der Ukraine, sondern auf der russisch besetzten Krim endet. Bei einer Frau, die inzwischen in Russland lebt und Fotos von sich vor schicken Autos auf Social Media postet.
Die Leute wollen wissen, wer verantwortlich ist. Und das wird man erst halbwegs zweifelsfrei wissen können, wenn einer der Beteiligten nicht nur quatscht, sondern es auch irgendwie belegt. Da laufen nämlich auch eine Menge sich wichtigmachende Hafensänger rum.
Alles andere, was dazu berichtet wird, ist einfach nur noch ein Berichten um des Berichtens willen. Und ich persönlich bin inzwischen von dem Unfug so überreizt, dass mich das ganze Thema nur noch nervt.
Ach, würden sie doch nur schweigen.
Was mich viel mehr interessieren würde, und was ebenfalls niemand laut anspricht, warum Deutschland eine „kritische Infrastruktur“ - das Wort ist ja nun Mode – hat, die gar nicht Deutschland gehört. Sondern einer russischen de-facto Diktatur. Und warum Deutschland sich sehenden Auges von einem Staat wie Russland abhängig gemacht hat.
Ich habe so das Gefühl, die Aufklärung dessen wird ebenso „blockiert“, wie die Aufklärung der Sprengungen.