Die merkwürdige Gewichtung des Menschlichen
Es fällt mir schwer, die Gewichtung der Berichterstattung nachzuvollziehen. Da ein enormer Platz von der derzeitigen Situation der Zivilisten im Gazastreifen eingenommen wird.
Durch viele Kommentare habe ich das Gefühl bekommen, dass viele aber gar nicht verstehen, worum es mir bei dieser Bewertung geht.
Stellt Euch einfach vor, wir sitzen am Tresen, ich hab gerade noch zwei Bier bestellt und erkläre das mal, wie ich das sehe. Janz subjektiv, ussem Lamäng.
Gaza-Stadt ist durch die Hamas untertunnelt. Ebenso wie die Grenze nach Ägypten.
Das sind keine Tunnel, die irgendwo in der Wüste rauskommen. Sondern wie bei mexikanischen Drogenschmugglern in Kellern von Häusern und unter Autowerkstätten. (Was übrigens schon nahelegt, dass viele Menschen davon wissen.)
Wenn eine große Bodenoffensive Israels kommt, werden die Israeli versuchen, so schnell wie möglich Gaza-Stadt zu erreichen. Also den platten, wenig bewachsenen Zwischenraum zu überwinden. Denn da sind die gepanzerten Fahrzeuge verletzlich.
Eine Stadt ist wie eine riesige Stellung, aus jedem Fenster kann auf sie geschossen werden.
Israel wird sicher versuchen, Gaza-Stadt zu umschließen. Einmal, um schnell das Ufer zu erreichen und von dort Nachschub zu unterbinden. Und einmal um Gaza-Stadt abzuschneiden und die Hamas einzukesseln.
Was wie mit welcher Intensität gemacht würde, hängt von den akuten Prioritäten und den Gegebenheiten vor Ort ab. Das kann keiner Beurteilen, der nicht gerade im israelischen Planungsstab sitzt.
Haben die Streitkräfte die Stadtgrenze erreicht, werden die Fußsoldaten aus den Schützenpanzern springen („abgesessene Infanterie“) und sich Haus für Haus vorkämpfen. Und das wird übel.
Das nennt man Häuserkampf. Und die moderne Geschichte ist voll von Beispielen, wie so etwas läuft. Sarajevo (Sniper Alley), Mariupol (Stahlwerk), Berlin 45, Breslau, Mogadischu, Grosny. Das ist die größte Scheiße, die man sich vorstellen kann.
Die Streitkräfte würden das aber machen müssen. Weil die Hamas sich in den Tunneln verschanzen würde. Sie müssten also jedes Haus kontrollieren – dazu werden sie sicher gute Informationen vom Nachrichtendienst haben – und die Häuser säubern.
Sie werden niemanden in ihrem Rücken zurücklassen. Was bedeutet, dass sie Bewohner, die noch da sind oder von der Hamas dort als Schutzschilde festgehalten werden, rausschmeißen und entweder abtransportieren oder vor sich hertreiben.
Man kann sich leicht vorstellen, dass die Soldaten in dieser Situation auf alles schießen, was auch nur zuckt. Wenn sie jemanden auch nur an einem Fenster sehen, fliegt da eine Granate rein. Dort, wo Kampfpanzer mit in die Stadt fahren, werden diese auch aus den 120mm Kanonen auf alles ballern, was verdächtig ist. (Merkava) Und die automatischen Kanonen der Schützenpanzer (Namer) sind keineswegs harmloser. Im Häuserkampf eher schlimmer.
Und nein: Nichts von alledem sind Kriegsverbrechen. Es ist Collateral Damage. Und das Gleiche gilt auch für Russland und die Ukraine.
Und deshalb verstehe ich die Gewichtung der Öffentlichkeit, der Medien und vieler Organisationen nicht.
Natürlich sitzen dort auch viele Menschen ohne Wasser und Strom. Doch wenn die Bodenoffensive kommt, wird es dann wohl besser oder schlechter?
Deshalb wollen die Israeli möglichst viele Zivilisten aus der Stadt verscheuchen.
Die Hamas selber wird dafür sorgen, dass ihre Terroristen dortbleiben und heroisch die Stadt verteidigen. Denn durch den Märtyrer-Kult sind die für die im Ausland sitzenden Führer der Hamas eh Verbrauchsmaterial.
Ich sehe keinen Protest Aufschrei, dass die Hamas offenbar Menschen an der Flucht hindert. (ca. 800.000 sind bereits geflohen) Ich sehe nicht, dass die UN oder Russland oder sonst wer sagt: „Mensch Leute, lauft. Nehmt die Beine in die Hand. Im Süden gibt es Wasser, dort können die Hilfslieferungen eher hingebracht werden. Lauft ihr Narren!“
Selbstverständlich warnt die UN vor der Situation der Zivilisten.
Selbstverständlich warnt der Iran Israel.
Selbstverständlich werden die arabischen Anrainerstaaten eine Konferenz veranstalten.
Selbstverständlich ist man von den Geiseln erschüttert.
Selbstverständlich wird um das Leben der Geiseln gerungen.
Selbstverständlich werden Hilfslieferungen organisiert.
Selbstverständlich hält Ägypten die Grenzen dicht und will keine Flüchtlingskamps auf dem Sinai.
Soll ich die Nachrichten schreiben? Kann ich. Mache ich zwei Tage im Voraus, kein Problem.
Ich habe das Gefühl, ich stehe vor einer Wand der menschlichen Idiotie. Die nicht in der Lage ist, sich mit dem Unausweichlichen abzufinden oder zumindest damit zu beschäftigen, was mit täglich wachsender Wahrscheinlichkeit kommen wird.
Stattdessen nur Blabla und Propaganda von allen Seiten.
In der japanischen Kultur erkennt man ein Problem und versucht es zu lösen. Der Manager, der Scheiße gebaut hat, wird dann schon aus einem Ehrbegriff heraus selber den Anstand haben, aus dem nächsten Fenster zu springen.
In Deutschland muss erst einmal ein Schuldiger her. Dann kann über eine Lösung diskutiert werden. So lange man keinen Schuldigen hat, titschen alle wie ein in Panik geratenes Rudel Katzen durch die Gegend und sind völlig orientierungslos.
Dass Israel mit der Offensive wartet zeigt, dass sie sehr bedächtig mit der Situation umgehen und die zivilen Opferzahlen so gering wie möglich halten wollen.
Im Gazastreifen sind das übrigens die, die mit weiter Mehrheit für einen Vernichtung Israels sind. Die ihnen zur Vergeltung wieder Wasser liefern.