Leserfrage: Wie man mit AfD-Wählern diskutiert und warum nicht
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André hat mich schon am vergangenen Dienstag gefragt, wie man am besten mit AfD-Wählern diskutieren soll. Ich gebe dazu den ehrlichen und lieb gemeinten Rat: Gar nicht.
Obwohl ich es schon häufig beantwortet habe, tue ich das auch dieses Mal offen.
André und seine Lebensabschnittsgefahr, Status und Geschlecht unbekannt, arbeiten in der Pflege. „Uns geht es ja gut.“ Deshalb habe man sich bis vor einem Jahr nicht um Politik gekümmert.
Nun wollten aber Viele im Freundeskreis und auf der Arbeit die AfD wählen. Die das Wahlprogramm gar nicht kennen. (Und deshalb vermutlich auch gar nicht verstehen würden, aber anderes Thema.) Und deshalb hatte André einige Fragen.
Ich kürze es mal mit einer Gegenfrage ab:
Wie sinnvoll erscheint es, mit jemandem über seine Lieblingsfarbe zu diskutieren?
Der Mensch bildet sich ein, Probleme logisch und faktisch zu lösen. Aber das ist nicht der Fall. Der Mensch ist zutiefst emotional gesteuert. Er redet sich nur ein, logisch zu handeln. Würde der Mensch logisch handeln, bräuchte er keine Religion.
Er hängt mit dem Kopf über den Wolken, auf sein Handy starrend, aber steht mit den Füßen in der Steinzeit. Der Mensch ist nicht geschaffen für das, was er erschaffen hat.
Oxytocin ist mein Lieblings-Neurotransmitter. Ein Botenstoff, der gerne als „Kuschelhormon“ bezeichnet wird. Weil Frauen ihn vor und nach der Geburt ausschütten, er stärkt die Bindung zum Kind. Was wichtig ist für uns, denn im Gegensatz zu anderen Spezies kann das Blag ja noch nicht vor wilden Tieren weglaufen. Es ist also für unser Fortbestehen wichtig, dass der Säugling beschützt wird. In unserer modernen Gesellschaft etwa, bis er auszieht oder heiratet. Werkseinstellung waren aber so bummelig vier Jahre.
Nun ist aber auch nachgewiesen, dass dieses „Kuschelhormon“ auch bei Fremdenfeindlichkeit eine große Rolle spielt. Was evolutionär auch Sinn macht. Denn wenn Mutti mit dem Rotzisch so in ihrer Höhle saß und ein Männchen einer anderen Population um die Ecke bog, gab es das realistische Risiko, das es den Säugling erschlug und die Mutter mitnahm, um seine eigenen Gene weiterzureichen.
Wie wir inzwischen wissen, handhaben das auch einige Primaten bis heute so. Ist für die Jungsteinzeit inzwischen auch in Deutschland nachgewiesen. Es macht also für die Mutter Sinn, skeptisch zu sein.
Das soll nur ein Beispiel sein, wie weit der Mensch eigentlich von dem abhängig ist, was wir gerne als „Instinkt“ bezeichnen. Und auf dieser Ebene passiert das, was wir bei AfD-Wählern sehen.
Ein Beispiel sind die Anschläge durch Islamisten und durchgeknallte Ausländer.
Gemessen an unserer Population sind die Opfer ein verschwindend geringer Bruchteil. Rein logisch sollte man erwarten, dass es höchstens diejenigen berührt, welche die Opfer persönlich kannten.
2024 wurden in Deutschland 2.840 Menschen im Verkehr getötet. Sie sind uns völlig gleichgültig. Wissen Sie, wie viele im gleichen Zeitraum durch islamistische Anschläge getötet wurden?
Vier.
Soll ich nochmal sagen?
Vier Getötete und der Attentäter von München.
Trotzdem wird es anders wahrgenommen. Dafür entscheidend sind zwei Faktoren.
Zum ersten „das Fremde“. Das sind „die Anderen“, die „unsere Gesellschaft“ bedrohen. Was sie aber gar nicht können.
Zum zweiten die subjektive Einschätzung von Gefahr für einen selbst. Und weil die Medien diese Fälle ja berichten, die anderen aber nicht, wird diese Gefahr verzerrt. Grob gerechnet ist es 710-mal wahrscheinlicher, morgen im Verkehr zu sterben, als von einem Islamisten getötet zu werden. Und das ist wirklich nur sehr grob gerechnet. Denn hält man sich nicht in so genannten „Soft Targets“, also großen Menschenmengen auf, sinkt das Risiko auf annähernd null.
Fordern wir deshalb ein Autoverbot oder gehen nicht mehr auf die Straße?
Und so kann man das mit vielen Dingen durchgehen. Von Messerstechereien bis zu Atomstrom. Letzteres ist auch ein wundervolles Beispiel für die Unlogik des Menschen. André fragte ganz konkret, wie die AfD die Energien „wieder bezahlbar machen“ wolle, „ohne vom Russen wieder abhängig zu werden.“ Die Antwort ist leicht: Das können sie nicht und das wollen Sie nicht (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Genau das steht in ihrem Wahlprogramm, sie wollen wieder schön Kohle machen mit russischen Fossilen.
Dabei schmücken gerade die AfD-Wählerinnen und -Wähler mit dem Etikett des Patriotismus. Aber wäre es nicht viel patriotischer, sich nicht von anderen abhängig machen zu wollen? Es wird ausgeblendet oder modelliert. Unser Freund Russland. Eine Diktatur.
Ich könnte noch viele Beispiele bringen. Im Grunde könnte ich das ganze Wahlprogramm der AfD durchgehen und „debunken“ oder zumindest entzaubern. Alleine, es nützt nichts.
Denn der Glaube, die AfD würde oder könnte irgendetwas fundamental anders machen, beruht zumeist auf Ahnungslosigkeit. Der Ahnungslosigkeit von eben jenen, die sich nie für Politik interessiert haben. Die durch die Propaganda und Emotionalisierung auf einer Ebene angesprochen werden, die für Fakten nicht erreichbar ist.
Es ist kein Zufall, dass der einzige Anlass, bei dem man mehr deutsche Fahnen sieht als bei einer AfD-Demonstration, ein Fußballländerspiel ist.
Wenn die Grünen nach der Bundestagswahl nicht wieder in die Regierung kommen, werde ich mich sicher etwas ärgern. Aber ich würde nach kurzer Zeit darauf schauen, was man auch sonst tun und organisieren kann, würde mir vielleicht mal die Energiepolitik der CDU angucken oder überlegen, wie ich aktiv werden kann.
AfD-Wählern unterstelle ich, dass sie im gleichen Fall sehr viel persönlicher betroffen sind. Dass sie sich fühlen, als hätte ihre Fußballmannschaft verloren. Und das Gefühl wird unweigerlich dazu führen, dass sie sich noch mehr unbeachtet oder zurückgesetzt fühlen.
Fühlen. Fühlen, fühlen, fühlen.
Also: Wie sinnvoll ist es, mit jemandem über seien Lieblingsfarbe zu diskutieren?
Gar nicht. Denn seine Meinung, sein Geschmack, seine Präferenz, ist emotional begründet. Das zu hinterfragen, wird abgewehrt. Weil es denjenigen sonst in eine Krise führen kann, in der er sich hinterfragen muss.
Daher habe ich konkret nur zwei Ratschläge:
Fakten gegenhalten. Aber nicht, um zu diskutieren. Sondern um zu widersprechen. Das kann nur funktionieren, wenn man die Fakten kennt. Und wenn man das in dem Bewusstsein tut, nicht debattieren zu wollen. Denn das Gegenüber wird sofort andere Fakten nachschieben wollen. Wie bei einem Kartenhaus, aus dem man eine Karte herauszieht, und von der anderen Seite eine nachgeschoben wird, weil es sonst zusammenfällt.
Fragen stellen. Stellt jemand eine Behauptung auf, ergebnisoffen und freundlich fragen, ob das so ist. Ob es dazu eine Quelle, also einen Nachweis gibt. Behauptet jemand, dass Atomstrom preiswerter wäre, fragen, wo man das nachlesen kann und ob die Finanzierung durch den Staat für den Bau des Werks schon einberechnet sind. Behauptet jemand, dass Russland sich nur verteidigen wolle, nachfragen, wodurch es konkret seit 2014 bedroht wird. Sagt jemand, dass die Grünen (oder jede andere Partei der Mitte) dieses oder jenes getan hätten, beispielsweise für „unbegrenzte Migration“ stehen, nachfragen, wo das konkret steht oder welchen Bundestagsbeschluss es dazu gab.
Das kann dazu führen, dass das Gegenüber sich hinterfragen muss. Und Zuhörer oder Mitleser auf Social Media ihn hinterfragen. Kommunikationspsychologisch richtet man damit das Spotlight auf ihn.
Mehr kann der Einzelne nicht tun. Den Rest müssen die Profis machen.
Es wäre lediglich Zeitverschwendung und die Vergeudung von Energie.
Der Großteil der AfD-Wähler ist rational nicht zu erreichen.