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Bist Du eher Team Verdrängen oder Team Gefühle zulassen, wenn es um die Klimakrise geht?

Unsere These: Noch viel zu wenige Menschen stellen sich ihren Klimagefühlen. Sie verdrängen sie zu oft, weil sie unangenehm sind und ihren Alltag infrage stellen.

Es ist schwer, Personen zu finden, die offen über ihre Klimagefühle sprechen. Wir haben deshalb bei den Psychologists for Future nachgefragt, die uns jemanden aus dem Bekanntenkreis vermitteln konnten: die 40-jährige Carina aus Hamburg. Sie hat uns von ihren Ängsten und Schuldgefühlen berichtet – und wie sie sie in etwas Positives umgemünzt hat. Ihre Geschichte erzählen wir hier, um zu zeigen, wie entscheidend es ist, Klimagefühle zuzulassen.

Übrigens: Unsere beiden Juli-Ausgaben widmen wir der Klima-Psychologie, die so wichtig ist, um Menschen zum Handeln zu bringen. Hier kommt der erste Teil dieses kleinen Schwerpunkts.

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#31 #Klimagefühle #Porträt

„Ihr wisst noch gar nicht, was auf euch zukommt“

Lange lebt Carina ohne Bewusstsein für die Dringlichkeit der Klimakrise. Als ein Freund sie endlich wachrüttelt, plagen sie Angst- und Schuldgefühle – bis sie einen Ausweg findet. ~ 8 Min. Lesezeit

Manchmal passiert es plötzlich, in ganz gewöhnlichen und harmlosen Momenten. Es ist ein Sommertag im Juli 2021, Zuhause in Hamburg. Die fünfjährige Anna beschwört ihre Mutter Carina, dass sie unbedingt ihre Baby- und Kinderklamotten aufbewahren müsse.

Wenn sie irgendwann selbst Kinder bekomme, erklärt Anna ihrer Mutter, möchte sie ihnen dieselben Sachen anziehen, die sie heute so gerne trägt. „Ich werde mal fünf Kinder haben. Und du bist dann Oma!“

Da verkrampft sich plötzlich alles bei Carina. Es tut ihr weh, wenn Anna so über ihre Zukunft spricht.

Die Kleine weiß noch so wenig über die Welt, schießt es Carina durch den Kopf.

Sie plant ihr Leben, träumt und geht immer vom Guten aus …

… und sie weiß noch gar nicht, wie sehr ihre Zukunft auf dem Spiel steht.

Anna hat keine Ahnung, wie schnell die Menschen gerade die Erde erhitzen, wie wenig sie dagegen tun und wie bald Kipppunkte überschritten sein könnten, die das Klima aus dem Gleichgewicht bringen. Sie hat noch nichts von der Klimakrise gehört, dabei könnte sie ihr Leben auf den Kopf stellen.

Wenn Carina daran denkt, überkommen sie Trauer, Hilflosigkeit, Wut. Sie hat Angst um ihre Kinder, um Anna und den dreijährigen Leo, und sie plagt das schlechte Gewissen.

Wie wird es ihren Kindern einmal ergehen?

Wie werden sie an ihre Kindheit zurückdenken, in der alles so normal erschien, obwohl die Welt geradewegs auf eine Katastrophe zusteuert?

Was lebt sie, Carina, ihren Kindern eigentlich vor?

Der Schockmoment bei WhatsApp

Fast 40 Jahre ihres Lebens verbringt Carina ohne solche Gedanken, ohne Schuld gegenüber ihren Kindern, ohne Angst um deren Zukunft. Sie lebt ein unbeschwertes Leben, reist um die Welt, geht ihrer Karriere nach, zunächst im Marketing, dann im Management- und später im Strategie-Bereich. Bis ein Wintertag im Dezember 2020 alles ändert.

Carina sitzt mit ihrem Handy im Wohnzimmer auf dem Sofa. Sie öffnet WhatsApp und schickt ihrem alten Freund Michael eine Nachricht. Wie es ihm gehe?, fragt sie ihn.

Ehrlich gesagt, antwortet Michael, mache er sich große Sorgen wegen der Klimakrise. „In allem was ich wahrnehme – und wenn ich nur aus dem Fenster schaue“, schreibt er, „sehe ich die Zerstörung und den Niedergang.“ Er fühle sich wie am Rande einer Depression.

Carina stutzt. Sie hat noch nie von jemandem gehört, dem der Klimawandel derart zusetzt.

Wie kann ihn das so sehr berühren?

Verdrängen könne er die Krise auch nicht einfach, schreibt Michael weiter. Er werde ja alles noch miterleben. Wieder stutzt Carina. Sie schließt WhatsApp, öffnet Google und tippt „Klimawandel“ ins Suchfeld ein. Natürlich weiß sie vom Klimawandel, und sie sieht sich auch als umweltbewusste Person – trotzdem ist dieses Problem für sie sehr abstrakt. Und vor allem ein Problem weit in der Zukunft, mit dem sie sich nicht herumschlagen muss, genausowenig wie ihre Kinder.

Oder?

Sie liest Artikel, sucht nach Daten – und bald dämmert es ihr: Michael hat Recht. Es ist alles viel schlimmer und akuter, als sie bislang dachte. Carina spürt sofort, dass diese Erkenntnis unfassbar viel in ihrem Leben ändern wird.

Die Krisen-Erkenntnis rüttelt sie wach

In den kommenden Monaten befasst sich Carina immer wieder mit der Klimakrise. Je mehr sie erfährt, desto stärker stellt sie ihre Entscheidungen infrage. Sie recherchiert, welche Auswirkungen ihr Konsumverhalten hat. Sie geht bewusster einkaufen, hört auf, Fleisch zu essen und bestellt sich kaum mehr neue Dinge online.

Und sie fragt sich zunehmend, wie sie so lange ihre Augen verschließen konnte. Da muss sie an ihre alte Schulfreundin Lea Dohm denken. Lea ist heute Psychotherapeutin und hat die Initiative Psychologists for Future mitgegründet. Carina abonniert den Instagram-Channel der Psychologists und liest sich die Beiträge auf der Website durch.

Da geht es um die psychologischen Auswirkungen der Klimakrise und um Fragen wie: Warum fällt es uns so schwer, die Fakten anzuerkennen? Wie verdrängen wir die Klimakrise? Welche Ausreden hat unser Unterbewusstsein parat?

💌 Überforderung, Verdrängung, Ablenkung: diese Reaktionen auf die Klimakrise sind normal, sie lähmen aber auch. Mehr dazu in unserer Ausgabe #26 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

Carina liest und liest und fühlt sich, als wäre sie bei etwas Verbotenem erwischt worden. Sie erkennt sich wieder in vielen der Abwehrmechanismen und psychologischen Barrieren, die vom Handeln abhalten, und die so schön die „Drachen der Untätigkeit“ genannt werden.

Die Inhalte haben eine ungeheure Wirkung auf sie – kein bisschen länger wird sie noch die Augen vor der Krise verschließen können.

Wisst ihr alle, was ich weiß?

Sie setzt sich immer tiefer mit der Krise auseinander und sie merkt, wie die schockierenden Fakten sie zunehmend belasten. Sie durchlebt ein Auf und Ab von intensiven Gefühlen. Mal ist sie erstaunt und überrascht in Momenten der Erkenntnis, mal überfordert von der Verantwortung, die das neue Wissen bringt, dann wieder ist sie wütend, wenn sie Menschen beobachtet, denen die Krise egal zu sein scheint.

Und dann ist da noch die Trauer: Der Verlust ihres alten Lebens schmerzt Carina. Sie wünscht sich die Zeit zurück, in der sie noch nichts von der Krise wusste und sich alles so schön und unbeschwert angefühlt hat. Heute geht sie durch die Welt, nimmt die Menschen um sich herum wahr, wie sie so ihrem Alltag nachgehen – und ist zunehmend irritiert.

Wisst ihr alle, was ich weiß?

Das kann doch nicht sein, dass wir durchs Leben gehen, als wäre nichts.

Wieso ist die Klimakrise nicht überall Thema, in der Politik, den Nachrichten, in jedem Gespräch?

Carina fühlt sich plötzlich so alleine, abgeschnitten. In ihrem Umfeld scheint die nahende Katastrophe niemanden so richtig zu kümmern. Carinas Tage aber vergehen nie, ohne dass sie nicht an die Krise denkt. Wenn sie durch den Wald spaziert, sorgt sie sich um die Gesundheit der Bäume, wenn die Kinder spielen, wenn sie über die Zukunft sprechen oder Fragen über die Welt stellen, dann klopft dieser ängstliche Gedanke in ihrem Kopf.

Ihr wisst noch gar nicht, was auf euch zukommt.

Eines Abends, als sie mit ihrer Familie am Essenstisch sitzt, passiert es wieder. Sie weiß, dass Fleischkonsum einer der größten Treiber der Klimakrise ist – und doch steht jetzt Salami auf dem Tisch.

Werden sich Anna und Leo später daran erinnern?

Werden sie sich fragen, wie sie, Carina, trotz allem die Salami auf den Tisch stellen konnte?

Werden sie ihr vorwerfen, dass sie ihnen ihre Zukunft verfüttert hat?

Bei jeder Scheibe Salami solche Gedanken... Carina hält es nicht länger aus. Sie muss sich dieser Krise annehmen. Ihre Verhaltensänderungen hier und da reichen nicht. Sie muss noch mehr tun, sonst kann sie ihren Kindern nicht mit gutem Gewissen gegenübertreten.

Nur was?

Ihr schießen sofort Bilder von demonstrierenden Klimaaktivist°innen in den Kopf.

Sollte sie auch auf Demos gehen?

Das passe so gar nicht zu ihr, denkt sie. Und Ministerien besprühen oder sich auf Autobahnen festketten – das will sie schon gar nicht.

Aber wie sonst soll sie sich für Klimaschutz einsetzen?

💌 „Was kann ich tun?“ – warum diese Frage problematisch sein kann, die Antwort aber trotzdem ganz einfach ist, liest Du in unserer Ausgabe #04 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

Carina denkt zurück an das Gespräch mit Michael und wie es ihr die Augen geöffnet hat. Sie denkt an die Arbeit der Psychologists For Future, die bei ihr so viel bewirkt hat.

Es gibt so viel Katastrophenkommunikation, so viel „Du musst was tun, du darfst dies und jenes nicht“.

Aber das, was die Psychologists machen – Menschen ohne Zeigefinger dazu zu bringen, über sich selbst nachzudenken und ihnen zu zeigen, wie sie ihre Handlungshemmnisse überwinden können – davon gibt es viel zu wenig.

Die Arbeit der Psychologists müsste noch viel bekannter sein!

Und plötzlich hat Carina die Lösung: Sie kann einfach das tun, was sie sowieso gut kann – sie hat Erfahrung im Marketing und kann ihr Wissen doch nutzen, um mehr Bewusstsein für die Klimakrise zu schaffen.

Wieso keine deutschlandweite Kampagne machen mit den wichtigen Botschaften der Psychologists? Alle sollen von ihren Drachen der Untätigkeit erfahren!

„Es geht um eine lebenswerte Zukunft“

Angespornt von der Idee schnappt sie sich ihr Handy und kontaktiert Lea. Die beiden verabreden sich an der Alster, beim Spazieren erzählt Carina von ihren Gedanken. Der Vorschlag kommt an. Sie bespreche das mal mit den anderen, sagt Lea.

Carina freut sich, hofft aber insgeheim, dass ihr Teil damit getan ist. Der Gedanke, immer tiefer in das Thema einzusteigen, macht ihr Angst. Und mit ihrer Idee hat sie ja schon etwas Konstruktives beigetragen.

Doch als die Kampagnenarbeit im August 2021 startet, ist Carina plötzlich voll involviert. Sie nimmt an Video-Calls teil, tauscht sich mit den Psychologists aus – und stellt dabei etwas Wunderbares fest: Hier sind ganz viele Leute, denen es ähnlich geht wie ihr. Sie machen sich angesichts der Klimakrise genauso große Sorgen. Carina muss sich überhaupt nicht rechtfertigen für ihre Gefühle.

Angst, Trauer, Wut, Verzweiflung, Schuld – das sind völlig normale Reaktionen angesichts der drohenden Katastrophe! 

Carina muss wieder an Michael denken, und wie sie damals meinte, er reagiere besonders sensibel auf die Klimakrise. Wie viel besser sie es jetzt weiß.

Carina ist unglaublich erleichtert. Doch so sehr ihr das Aktivwerden auch hilft, so ganz beruhigt ist sie noch immer nicht. Während die aufwendige Kampagnenarbeit noch lange weiterläuft, will Carina noch mehr tun für die Zukunft ihrer Kinder, sich auch politisch engagieren.

Zur selben Zeit reicht sie deshalb einen Mitgliedsantrag bei einer Partei ein, von der sie glaubt, dass sie ernsthaften Klimaschutz voranbringen möchte. Zwei Wochen später stellt sie sich persönlich bei der Partei vor.

Nach dem Gespräch schnappt sie sich ihre Kinder, schwingt sich aufs Fahrrad und fährt auf den Abenteuerspielplatz. Die Sonne des Spätsommers scheint und Carina beobachtet, wie frei und neugierig Anna und Leo über den Platz laufen und miteinander spielen. Abends setzt sich Carina auf ihr Bett. Sie ist glücklich – und doch sind da auch wieder die Sorgen.

Was wird mit Anna und Leo passieren, wenn wir bald einen Kipppunkt nach dem anderen überschreiten?

Wenn sie sich durch Hitzewellen quälen müssen und das Wasser in Deutschland richtig knapp wird?

Werden sie verstehen, wie sich ihre Mutter einmal gefühlt hat?

Da kommt ihr ein Gedanke. Sie schnappt sich ihren Laptop, klappt ihn auf und tippt. Sie muss das alles irgendwie verarbeiten. Sie will ihre Bemühungen festhalten, einen Brief schreiben an Anna und Leo – für später, wenn sie einmal größer sind und das alles verstehen.

Sie schreibt davon, wie schön dieser sonnige Tag und die gemeinsame Zeit mit ihren Kindern gewesen sei. Sie sei unglaublich stolz auf die beiden, wie sie heute so selbstbewusst gespielt haben. Dann erzählt sie von ihrem heutigen Gespräch, wie sie sich als neues Parteimitglied vorgestellt hat. Tränen treten in ihre Augen, als sie diese Zeilen tippt.

„Es geht um eine lebenswerte Zukunft“, schreibt Carina, „um eure lebenswerte Zukunft. Ich werde dafür kämpfen, dass es eine gibt. Das Ganze macht mir unfassbar Angst, aber es setzt auch sehr viel Kraft frei, die ich nutzen möchte und werde. Ich hoffe, dass dieser Tag auch in dieser Hinsicht ein guter war.“

Das war's mit Teil 1 unseres Schwerpunkts zum Thema „Klimagefühle“. Wie geht es Dir mit der Klimakrise? Welche Klimagefühle hast Du und wie oft verdrängst Du sie vielleicht auch? Antworte uns gerne auf diese Mail!

In zwei Wochen kommt dann Teil 2 – und damit eine Premiere bei Treibhauspost. Nur so viel wollen wir verraten: Es wird einen exklusiven Vorab-Buchauszug für Dich geben.

Eine kleine Bitte zum Schluss

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Bis bald!
Julien & Manuel

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