Wer hat Kontrolle über Europas Öffentlichkeit?
Es ist Montagmorgen. Du liest die Blaupause, den Newsletter, mit dem du Communitys besser verstehst und erfolgreich Mitgliedschaften anbietest. Diese Woche: Europa muss die Regulierung digitaler Plattformen als souveräne Digitalstrategie neu denken.
Hallo!
Interessante Wochen liegen hinter uns, interessante Jahre liegen vor uns. Eine neue Bundesregierung wird schnell grundlegende Entscheidungen treffen müssen, weil sich die Welt schnell grundlegend geändert hat. Eine weitere große Entscheidung sollte sie zu dieser Liste hinzufügen: Europas Kontrolle über seine Öffentlichkeit.
Es ist manchmal nicht leicht, jemanden zu finden, um sich kompetent und interessant über Politik und die digitale Öffentlichkeit zu unterhalten. Ich freue mich immer über die originellen und schlauen Perspektiven des Unternehmers Heiko Scherer. Und weil wir zum Thema Social Media zu ähnlichen Einschätzungen kommen, haben wir sie gestern, noch vor dem Wahlergebnis, zusammen aufgeschrieben.
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Sonst sollten wir sie verbieten
von Sebastian Esser und Heiko Scherer
Die Vereinigten Staaten agieren nicht länger als Schutzmacht Europas. Sie verfolgen eine interessengeleitete Politik, die zunehmend autokratischem Verhalten ähnelt. Es ist zu befürchten, dass China, Russland und nun auch die Vereinigten Staaten die Welt in Machtblöcke und Einflusssphären teilen und dabei wenig Wert auf die alte wertebasierte Ordnung legen. Gewalt ist dabei wieder Instrument der Macht.
Nach 80 Jahren geht offenbar das Sicherheitsbündnis zwischen Nordamerika und Europa zu Bruch. Die EU wird sich in kurzer Zeit und zu enormen Kosten eine eigene Armee schaffen müssen, und einen Plan, wie Verteidigung gegen Russland ohne die USA funktionieren kann.
Die neuen Blöcke begreifen digitale Infrastruktur schon lange als Machtinstrument. Darum schotten sie sich zunehmend auch kommunikativ voneinander ab. Sie haben verstanden, dass digitale Öffentlichkeiten ihren Gegnern die Möglichkeit eröffnen, Bevölkerungen zu beeinflussen und Wahlen zu manipulieren. China verbietet seit jeher westliche Software-Anbieter und die meisten Medien; Russland setzt schon lange auf Anbieter unter eigener Kontrolle und blockiert Journalismus; die USA bedrängen die chinesische Plattform Tiktok.
Und Europa? Wir gucken zu, wie autoritäre Regimes mithilfe ihrer Plattformen Tiktok, Telegram und neuerdings denen zu Trump bekehrten Facebook und X unsere Wahlen manipulieren und die Stimmung in der Bevölkerung gezielt immer weiter in Richtung von rechtsextremen, autoritären Parteien wie der AfD verschieben. Mithilfe dieser Plattformen kamen autoritäre Anti-EU-Regierungen an die Macht (Italien, Niederlande, Polen, Tschechien, Slowakei und andere), logen und betrogen britische Nationalisten ihr Land aus der Europäischen Union, gelangte Marine Le Pen zweimal in Reichweite der französischen Präsidentschaft. Die Europäer schauen tatenlos zu, wie konkurrierende System mithilfe dieser Kommunikations-Technologien das politische System der Europäischen Union angreifen.
Dazu gehören neuerdings auch die Vereinigten Staaten. Die Lobbyisten der amerikanischen Social-Media-Plattformen singen schon seit einiger Zeit das Lied vom Ende der Meinungsfreiheit durch die Regulierung ihrer Produkte in Europa. Gleichzeitig ruft Elon Musk auf der sich in seinem Privatbesitz befindlichen Plattform X zur Wahl von Nigel Farage, Giorgia Meloni und der AfD auf – und stellt sicher, dass seine Algorithmen diese Meinung bevorzugen. Der neue US-Vize-Präsident J.D. Vance nutzte in seiner Rede während der Münchner Sicherheitskonferenz explizit die Wahl in Rumänien als Beispiel für mangelnde Meinungsfreiheit – die der dortige Oberste Gerichtshof wegen gröbster Wahlmanipulation aus Russland annulliert hatte. Ein perfektes Beispiel dafür, wie diese Interpretation von Meinungsfreiheit in Wirklichkeit ihrem Gegenteil dient.
Was die „Make America great again“-Leute des Silicon Valley als freie Meinungsäußerung, oder wahlweise Innovation und Nutzerorientierung verkaufen wollen, ist in Wahrheit nur in ihrem eigenen Interesse. Dabei lässt sich kaum unterscheiden, wo es um Macht geht und wo um Geld. Trumps wenige Stunden vor seiner Amtseinführung gestarteter Kryptocoin brachte ihm Milliarden ein, und macht es gleichzeitig möglich, ihm unbegrenzt Geld zukommen zu lassen, dessen Ursprung niemand nachverfolgen kann. Korruption und Vetternwirtschaft ist dem neuen Präsidenten in Washington gemeinsam mit den Regimes in Russland und China, in Ungarn, der Türkei, Indien, oder Tunesien.
Der autoritäre, korrupte Charakter der neuen amerikanischen Regierung ist für die kommenden Jahre schlicht eine Tatsache. Es fällt den europäischen Regierungen, aber auch Gesellschaft und Wirtschaft noch schwer, diese neue Realität zu akzeptieren. Springer-Chef Mathias Döpfner nannte die Vance-Rede im Interview mit der „Financial Times“ (FT) (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) gerade „inspirierend“, veröffentlichte in der „Welt“ einen Musk-Wahlaufruf für die AfD. Für Döpfners Konzern sind die USA der wichtigste Wachstumsmarkt. Ähnlich wie die Chefs der großen amerikanischen Tech-Konzerne küsst er Trump den Ring, um seine Firma zu schützen. Diese Appeasement-Strategie wird für Europäer nicht gutgehen.
Eine neue Bundesregierung sollte zusammen mit unseren europäischen Partnern stattdessen aus alldem drastische Grundsatzentscheidungen ableiten. Die Kontrolle über Europas digitale Infrastruktur und das Durchsetzen von Regeln auf digitalen Plattformen ist eine Frage der Unabhängigkeit und Eigenständigkeit des Kontinents. Was auf dem Spiel steht, sind Europas Demokratie und Souveränität. Diese Zusammenhänge zu erkennen und endlich handlungsfähig zu werden, ist ähnlich wichtig wie eine Zeitenwende in der Verteidigungspolitik. Wenn wir uns weiter beeinflussen lassen von den Plattformen aus gleich drei autokratisch organisierten Systemen, werden sie die EU nach ihrem Willen kontrollieren und umgestalten, unseren demokratischen Diskurs zerstören. Dabei sind sie schon weit gekommen.
Wir sollten unsere medienpolitische Naivität beim Beurteilen sozialer Netzwerke ablegen. Sie sind schon lange nicht mehr harmlose Freundschaftsnetzwerke. Algorithmen bestimmen, was Millionen Menschen sehen und was nicht. Trotzdem übernehmen die dahinterstehenden Unternehmen weniger Verantwortung als ein kleiner Stadtteilblog im Ruhrgebiet. Seit Jahren wird über Löschpflichten debattiert, aber selbst den wenigen Pflichten, die sie haben, kommen die amerikanischen Tech-Giganten einfach nicht nach. Das war ärgerlich, solange sie nur Gewinne im Sinne hatten. Jetzt geht es aber um mehr.
Europa muss die Regulierung digitaler Plattformen als souveräne Digitalstrategie neu denken. Es muss neue Regeln verabschieden – und sie auch durchzusetzen. Das kann eine Chance sein für neue Anbieter, für Wettbewerb und Innovation.
An verbindliche, strenge Gesetze, die auf europäischen Werten basieren, sollten sich Plattformen aus anderen Systemen halten müssen. Sonst sollten wir sie verbieten.◾️
Bis nächsten Montag!
👋 Sebastian
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