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Washington Toast

Es ist Montagmorgen. Du liest die Blaupause, den Newsletter, mit dem du Communitys besser verstehst und erfolgreich Mitgliedschaften anbietest. Diese Woche: Meine virale Idee zur Rettung einer legendären Institution.

Hallo!

Ich wohne in Berlin-Prenzlauer Berg. Ich laufe jeden Morgen mit meinem Hund Juri etwa eine Stunde ins Steady-Büro in den Wedding. Während wir den Mauerpark durchschnüffeln, fällt mir manchmal etwas ein; manchmal nutzlos, manchmal brauchbar.

Am Freitag schwirrte mir die Zukunft der Washington Post im Kopf herum. Das neben der New York Times wahrscheinlich die wichtigste Marke des Journalismus weltweit, spätestens seit den Watergate-Enthüllungen von Carl Bernstein und Bob Woodward, die 1974 Richard Nixon zum Rücktritt zwangen.

Nach allerlei Missmanagement gehört die Zeitung seit 2013 Amazon-Gründer Jeff Bezos, einem der reichsten Männer der Welt. Das war anfangs zu ihrem Vorteil, denn der stellte Kapital bereit und brachte die Technik auf Zack. Im Übrigen hielt er sich völlig raus.

Bis zur Präsidentschaftswahl 2024.

Auf einmal verbot Bezos der Redaktion im Oktober eine Wahlempfehlung abzugeben. Diese ist bei amerikanischen Qualitätsmedien üblich, und sie wäre sehr wahrscheinlich für Kamala Harris ausgefallen. Bezos verhinderte das.

Im Januar dann kündigte die Karikaturistin Ann Telnaes ihre Zusammenarbeit mit der WaPo auf, nachdem die Zeitung diesen Cartoon-Kommentar der Pulitzer-Preis-Trägerin nicht veröffentlicht hatte:

Ann Telnaes says the rough version of the cartoon she drew for The Washington Post , shown above, was rejected by the paper's editorial page editor.

Der dritte Schlag des Milliardär-Verlegers gegen die redaktionelle Unabhängigkeit seiner Zeitung folgte vergangene Woche: Künftig dürfen im Meinungs-Ressort nur noch Kommentare erscheinen – das schrieb Bezos in einer E-Mail an die Redaktion, die er zugleich bei X veröffentlichte –, die „persönliche Freiheit und freie Märkte“ propagieren. Whatever that means.

Für mich war klar: Die große Washington Post ist damit erledigt. Washington Toast, sozusagen. Statt des Mottos „Democracy dies in Darkness“ ist sie ab jetzt ein Instrument zur Abschaffung der Demokratie. „Media Capture“ nennt sich diese Spezialform der Korruption: Oligarchen kontrollieren Medien, um ihren autokratischen Geschäftspartnern gefällig zu sein.

Was tun?

Dazu hatte ich eine Idee, die ich wie gesagt am Freitag, vor Beginn meines eigentlichen Tagewerks, noch schnell bei Linkedin und Bluesky veröffentlichte. Hier ist sie.

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Während ich beschäftigt war, wachte Amerika auf. Irgendwie hatte es mein Post über den Atlantik geschafft und war – für meine bescheidenen Verhältnisse – viral eskaliert. Mehr als 900 Likes hat der kleine Text bis gestern Nachmittag gesammelt, er wurde von mehr als 35.000 Menschen gesehen. Mir unbekannte Verzweifelte aus Übersee schreiben mir seitdem lange Direktnachrichten, in denen sie ihre Hoffnungslosigkeit beschreiben. Es ist ziemlich herzzerreißend.

Etwas mehr Kontext: Kara Swisher ist eine bekannte Tech-Journalistin und Podcasterin (unter anderem Host des unterhaltsamen Pivot-Podcasts mit Scott Galloway), die Unterstützung für die Idee sammelt, Bezos die Washington Post abzukaufen (für die sie einmal gearbeitet hat).

https://open.spotify.com/show/4MU3RFGELZxPT9XHVwTNPR?si=74c5a32f56214398 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Wenig überraschend zeigt der Mega-Milliardär aber keinerlei Interesse. Eine Person mit einer hoher Bekanntheit, Glaubwürdigkeit und großer Reichweite wie Swisher wäre aber die ideale Galionsfigur für so einen Walkout. Meiner Erfahrung nach braucht es in solchen Situationen jemanden, der vorangeht. Dann kommt die Sache ins Rollen und gewinnt von allein an Fahrt.

Mich beschäftigt in diesem Zusammenhang weiter die Analyse der Politikwissenschaftler Steven Levitsky und Lucan Way, die ich vor zwei Wochen in der Blaupause empfohlen habe: The Path to American Authoritarianism (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Was vor uns liegt, ist nach ihrer Analyse keine faschistische Einparteiendiktatur, sondern ein System, in dem bei Wahlen zwar mehrere Parteien miteinander konkurrieren, aber der Machtmissbrauch des Amtsinhabers lässt der Opposition keine Chance. Das stolze Amerika folgt also dem Vorbild der Türkei, der Slowakei, von Ungarn, Indien, El Salvador oder Venezuela.

Für freie Medien eine düstere Perspektive. Oft übernehmen in so einem System regierungsnahe Oligarchen etablierte Medien, wie eben Bezos die Post. Ähnliche Probleme bedeuten aber auch: ähnliche Lösungen. Es gibt tatsächlich viele Beispiele, bei denen Journalist:innen nach einer feindlichen Übernahme eines Mediums oder einem Redaktions-Walkout ein neues digitales Medium gegründet haben. Daruas gibt es einiges zu lernen. Besonders in Osteuropa, Lateinamerika und Asien sind solche unabhängigen Medien entstanden. Viele davon sind als Genossenschaften oder anderen alternativen Eigentumsmodellen organisiert, um erneute Einflussnahme zu verhindern.

  1. Direkt36 (Ungarn, 2015): Gegründet von investigativen Journalist:innen, die nach politischem Druck auf ungarische Medien keine Plattform mehr für unabhängigen Journalismus fanden. Eines der führenden investigativen Medien Ungarns. Hat mehrfach Korruptionsskandale rund um Viktor Orbán und seine Regierung aufgedeckt.

  2. Denník N (Slowakei, 2014): Entstanden aus der Redaktion der Tageszeitung SME, nachdem der neue Eigentümer (Penta Group) als problematisch galt. Größte Digitalzeitung der Slowakei. War nach zwei Jahren profitabel.

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Anzahl der aktiven Abos von Denník N in den letzten 5 Jahren
  1. Kyiv Independent (Ukraine, 2021): Gegründet von den entlassenen Journalist:innen der Kyiv Post, die sich gegen einen neuen pro-regierungsnahen Eigentümer wehrten. Internationale Bekanntheit durch umfassende Ukraine-Kriegsberichterstattung. Millionen von Leser:innen weltweit. Crowdfunding (~2 Mio. $ nach Kriegsausbruch).

  2. Meduza (Russland/Lettland, 2014): Gegründet von ehemaligen Journalist:innen von Lenta.ru (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), die nach einer politischen Übernahme das Land verließen. Führendes, unabhängiges Medium für russischsprachige Nachrichten. Trotz „Foreign Agent“-Einstufung durch Russland weiterhin aktiv. Eine der wenigen unabhängigen Informationsquellen für Russ:innen weltweit.

  3. The Wire (Indien, 2015): Gegründet von ehemaligen The Hindu-Journalist:innen, die sich gegen die Einflussnahme der Eigentümer wehrten. Heute eine der führenden investigativen Digitalzeitungen Indiens. Kritische Berichterstattung über Politik und Korruption, oft mit großem öffentlichen Echo.

Weitere Beispiele:

  • Efecto Cocuyo (Venezuela, 2015)

  • Aristegui Noticias (Mexiko, 2015)

  • Tiempo Argentino (Argentinien, 2016)

  • The Quint (Indien, 2015)

  • Stand News (Hongkong, 2014–2021)

  • Rappler (Philippinen, 2012)

  • Malaysiakini (Malaysia, 1999)

  • Malanka Media (Belarus, 2020)

  • Myanmar Now (Myanmar, 2015, Exil seit 2021)

Bei alldem können wir uns glücklich schätzen, dass die Situation in Deutschland für unabhängige Medien so gut ist wie in wenigen anderen Ländern. Anders als der AfD-Fan und Demokratie-Experte J.D. Vance behauptet, gibt es bei uns kaum Probleme mit der freien Meinungsäußerung. Allerdings werden die strauchelnden Verlage auch bei uns in den kommenden Jahren gezwungen sein, ihre Zeitungen zu verscherbeln. Auch bei uns werden zunehmend zweifelhafte Verleger zum Zug kommen. Redaktionen – und Leser:innen – tun gut daran, sich für diesen Fall einen Plan in die Schublade zu legen.

Gibt es Interesse an so einem Plan? Dann schreibe ich ihn bald mal hier in der Blaupause auf.

Bis nächsten Montag!
👋 Sebastian

PS: Eine hat sich bisher noch nicht gemeldet: Kara Swisher.

PPS: Transparenzhinweis: Ich bin Mitglied im Beirat von Direkt36 und habe Meduza 2022 geholfen, ihre Rettungskampagne zu organisieren.

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