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Apathie und Aufregung

Manchmal kommen die Aufreger ja von selbst zu einem: Gestern ging es erst in meiner Historiker:innen-, dann in meiner linksliberalen und zuletzt sogar in meiner Fußball-Bubble bei Twitter herum: In Wuppertal sollte sich ganz Schreckliches zugetragen haben: In einer Lehrveranstaltung des Fachbereichs Geschichte hatten Studierende ein Konzept für die Gestaltung einer Gedenkstätte am örtlichen ehemaligen KZ Kemna vorgestellt und wurden dabei tatsächlich hochproblematisch zitiert (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre):

„Die Einteilung in Opfer und Täter versuchen sie jedoch zu vermeiden. Denn die Grenzen seien schwammig: "Natürlich hat niemand dieses Leid verdient", sagt Studentin DT. Doch wurden auch Täter zu Opfern und umgekehrt. "Rund 80 Prozent der Häftlinge waren Kommunisten und damit auch Gegner der Weimarer Republik, also der Demokratie", führt Ulrike Schrader aus. Eine weiße Weste habe deshalb keiner, man wolle niemanden zum Helden machen oder eine Vorbildfunktion geben, die er nicht hat.“

Die Studentin habe ich anonymisiert, damit sie nicht in diesem Kontext bei Google auftaucht. Ulrike Schrader hingegen ist nicht nur Dozentin der Lehrveranstaltung, sondern auch Leiterin der Begegnungsstätte „Alte Synagoge“ in Wuppertal und muss sich dann als solche auch zitieren lassen. Der Shitstorm ließ sich natürlich nicht vermeiden: So, wie das dort stand, war es geradezu unerträglich. Die Konstruktion eines „Niemand hat KZ-Haft verdient, aber…“ gehört zu den argumentativen Tiefpunkten, die jede Form der Entnazifizierung Deutschlands überlebten und über Jahrzehnte zum Beispiel den Antiziganismus in Bevölkerung und Staatswesen am Leben erhalten konnten. Dieses „aber…“ legitimiert die Verfolgung und lehnt lediglich ihre Mittel ab. Es ist die harmloser wirkende Form des Zitates, das den rechtsextremen Bundestagsabgeordneten Wolfgang Hedler 1952 ins Gefängnis brachte:

„Ob das Mittel, die Juden zu vergasen, das gegebene gewesen ist, darüber kann man geteilter Meinung sein. Vielleicht hätte es andere Wege gegeben, sich ihrer zu entledigen.“

So viel zur Verabscheuungswürdigkeit dessen, was da im Artikel steht. Es ist aber wie bei eigentlich jedem Moment großer kollektiver Empörung sinnvoll, einen Schritt zurückzugehen und zu überlegen: Ist das, so wie es da steht, plausibel? Schrader hat seit Jahren Lehraufträge an der Universität, arbeitet seit über 30 Jahren für die „Alte Synagoge“, hat mit den Studierenden nicht nur über den Entwurf gesprochen, sondern offenbar auch andere Gedenkstätten besucht.

Wer schon einmal zu sensiblen Themen wie dem gesamten Komplex „Nationalsozialismus“ mit öffentlicher Anteilnahme gearbeitet hat, weiß oft zu gut, wie schwierig es sein kann, diese Komplexität mit all ihren Nuancen so zu vermitteln, dass sie die oft gestressten Notizen von Lokaljournalist:innen eben überdauern wie den Schreibprozess und die unvermeidlichen Kürzungen in der Schlussredaktion. Menschen verstehen manchmal Dinge falsch, und andere Menschen, gerade Studierende die das erste Mal interviewt werden, drücken sich nicht optimal aus. Es kommt vor.

Ich habe weder mit der Autorin des Artikels noch mit Frau Schrader gesprochen, beide werden besseres zu tun haben, aber mir erscheint es deutlich plausibler, dass hier nicht die Rede davon war, Opfer und Täter zu vermischen, sondern dass es darum ging, Opfer nicht automatisch zu Helden zu machen, was tatsächlich im Gedenkstättenbereich immer mal wieder vorgekommen ist. Das hat die NS-Geschichte unzulässig simplifiziert, in ein Freund-Feind-Schema gepresst und damit jeden didaktischen Mehrwert verloren. Oder anders, etwas deutlicher: Auch ein Arschloch kann Opfer des Nationalsozialismus geworden sein und hätte es niemals werden dürfen. Und wir tragen Verantwortung dafür, dass auch ein Arschloch nie wieder Opfer eines solchen Systems werden kann.

Ulrike Schrader ist offenbar ein eigenwilliger Kopf. In einem auf YouTube veröffentlichten Vortrag namens „Die Liebe zum Opfer (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)“ springt sie von heiteren Anekdoten zu bitteren Vorwürfen der Nötigung gegen das Stolpersteine-Projekt des WDR (an dem ich mitgearbeitet habe) und zurück. Dass sie bei einem offenbar vorformulierten Vortrag schon so springt, spricht nicht dafür, dass sie vor dem Mikrofon der Tageszeitung unbedingt verständlicher war. Das ist ein Problem, gerade auch in ihrer beruflichen Position. Es taugt aber nicht zur Generalabrechnung, wie sie in der Jungen Welt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) eiligst stattfand oder zur atemlosen Skandalisierung, wie sie auf Twitter so gerne geübt wird und dann übers Ziel hinausschießt: An einer Stelle ist von „Hörduschen“ die Rede, das sind zielgerichtete Lautsprecher, die an einer bestimmten Stelle in der Ausstellung Klänge abspielen, die aber den Bereich drumherum nicht stören. Jedes Museum wird schon mit diesen Geräten zu tun gehabt haben, in fast jeder Ausstellung kommen sie irgendwo vor. Wer sich mit diesem Kontext nicht auskennt, assoziiert dann offenbar in großem Eifer damit gerne die falschen Duschen von Auschwitz. Allein: die Möglichkeit einer gerechten Empörung entbindet nicht von der Pflicht, sich auch selbstständig zu informieren. Eine simple Google-Abfrage hätte gezeigt, dass der Begriff vollkommen eindeutig besetzt ist.

Die Universität Wuppertal hat sich mittlerweile eindeutig positioniert (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) und „ausgesprochen irritierende Formulierungen“ bemängelt, woraufhin Ulrike Schrader angibt, es handle „sich um einen diesbezüglich seitens der Berichterstattung besonders unglücklich verkürzten und missverständlich verknüpften Wortlaut.“ Dieses Statement hätte man abwarten können, seine Plausibilität für sich selbst einschätzen und kritisch würdigen. Aber dann hätte man einen Tag Aufregung verpasst.

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