Wie geht (drogen)politische Analyse?
Liebe Leser*innen, willkommen liebe Neuen!
Der heutige Artikel ist ursprünglich am 22.11.2024 für Förder*innen des Drogenpolitik Briefings (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) erschienen. Dies ist die Version ohne Paywall, die ich zeitverzögert versende – Danke für Deine/Ihre Anmeldung und das Interesse! Wer diesen Artikel weitergeleitet bekommen hat oder ihn im Web liest: Gerne hier kostenlos abonnieren (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Was ich euch hier verspreche, ist drogenpolitische Analyse. Aber was heißt das eigentlich? Bevor es in den nächsten Wochen (unter anderem mit einer neuen Perspektive auf das Kostenargument) weitergeht, hier heute ein kleiner Einschub.
Am Ende des Beitrags verlinke ich euch einen Lesetipp zur Frage, was nun drogenpolitisch unter Trump denkbar ist.
Wie geht (drogen)politische Analyse?
Um sich die politischen Geschehnisse zu erklären und daraus potenziell effiziente Handlungsmöglichkeiten zum Erreichen von menschenrechtlichen (oder anderen) Zielen ableiten zu können, gibt es verschiedene theoretische Ansätze. Man kann zum Beispiel offizielle Dokumente oder Medienberichterstattung oder Politikerreden über einen längeren Zeitraum und in der Breite analysieren und daraus ein besseres Verständnis für gesellschaftliche Entwicklungen ableiten. Um das nicht nach Bauchgefühl zu machen, gibt es wissenschaftliche Methoden. Die sind alle nicht perfekt, aber erlauben gute Annäherungen. Ein Problem, und ich glaube, das betrifft vor allem den menschlichen Umgang mit psychoaktiven Substanzen, ist bei diesen Methoden aber, dass sich die gelebte Realität infolge von Kriminalisierung, Stigmatisierung und Beschämung durch die alleine Analyse offizieller und öffentlicher Niederschriften oder Aussagen nur schwer einfängen lässt.
Ich lese gerade nochmal Michel de Certeaus Buch “Die Kunst des Handels” (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), das mir meine Professorin Nadja-Christina Schneider an der Humboldt-Universität für eine Hausarbeit empfohlen hatte. Michel de Certeau (Jesuit, Soziologe, Historiker und Kulturphilosoph, 1925-1986) beschreibt in dem Buch eine Herangehensweise für das Erfassen des alltäglichen menschlichen Handelns und der alltäglichen Entscheidungsfindungen, die ja immer von sehr vielen Faktoren abhängen, situativ sind und wir in der Regel selbst in Tagebüchern nicht transparent dokumentieren. Über Drogengebrauch schreibt de Certeau zwar nicht, aber über das Gehen, Sprechen, Kochen, Lesen und Wohnen. Anders gesagt: Im Fall von Drogen und Sucht ist mit Gesetzen, Politikerreden, statistischen Konsumzahlen, Behandlungszahlen, Sicherstellungen durch die Polizei, geschätzte Drogenmengen, geschätzte Geldwäsche, Informationen über die Beschaffenheit von Substanzen und der Funktionsweise vom Botenstoffen im Gehirn und der Historie von UN-Konventionen noch nicht wirklich was erzählt. Zwar genügend, um auf andere Schlussfolgerungen für eine geeignete Drogenpolitik kommen zu können, aber das Menschliche ist noch nicht erfasst.
Ein anderes Beispiel: Das Wort “Entkriminalisierung” erzählt noch nicht viel, aber die praktische Strafverfolgung, mitunter Polizeigewalt, unverhältnismäßiger Fokus auf marginalisierte und von Armut betroffene Bevölkerungsgruppen, traumatisierende Hausdurchsuchungen und die Folgen für den Drogengebrauch sind sehr konkret und relevant für die davon Betroffenen, aber in der Regel ohne Dokumentation und Daten – die, anders als Regierungsdokumente, Berichterstattung und Politikerreden, erstmal auf ein gezielte Interesse stroßen und mit extra Aufwand geschaffen werden müssen. Worauf es mir hierbei ankommt: Für das Verständnis von Drogenpolitik, ihrer Kritik und dem Erörtern von Änderungspotenzial sind die unausgesprochen, alltäglichen Entscheidungen im gesellschaftlichen Umgang mit Drogen essenziell. Drogenpolitik wird nicht allein und auch nicht vorrangig daran entschieden, welche Reden gehalten oder offizielle Dokumente verfasst werden, sondern an den alltäglichen Entscheidungen und Abwägungen.
Ohne das Ergründen der konkreten, alltäglichen Folgen von Kriminalisierung und Stigmatisierung auf die von der Politik direkt betroffenen Menschen, ihre Einstellungen und Handlungsspielräume sowie jene der Parteien, Behörden, Meinungsführer*innen und Wähler*innen, bleibt eine drogenpolitische Analyse nur an der Oberfläche. Das Eintauchen in den gelebten, nicht verschriftlichen Alltag macht es kompliziert und aufwändig, aber lohnt sich, denn: Politische Analyse versucht, Zusammenhänge zu verstehen, Änderungen korrekt zu verfolgen, zukünftige Entwicklungen bzw. wahrscheinliche und unwahrscheinliche Szenarien vorauszusagen und entsprechend strategische Handlungsempfehlungen für heute zu geben bzw. sich selbst stategisch und gezielt einzumischen, um Einfluss zu nehmen.
Trump wurde gewählt. Was heißt das für die Drogenpolitik?
Zu Trumps Plänen für die Drogenpolitik könnt ihr hier eine Einschätzung lesen: “War on Cartels” and Harm Reduction in Peril—Drug Policy Under Trump (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Er hat weltweit ja einige grausige Vorbilder und Freunde wie Putin und Duterte. Ein paar Stellschrauben der jetzigen repressiven Drogenpolitik lassen sich leicht in weit größere Albträume drehen.
Der Artikel ist auf Englisch. Ich darf die Artikel von Filtermag ins Deutsche übersetzen und im MBMC-Blog (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) veröffentlichen, aber das schaffe ich gerade leider nicht. Zur Übersetzung lässt sich bspw. auch deepl.com (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) nutzen. Falls etwas unklar bleibt, gerne melden.
Wie immer: Ich freue mich über eure Rückmeldungen, Wünsche oder Fragen. Schreibt gern unter diesen Beitrag oder antwortet mir per Mail.
Beste Grüße aus Berlin
Philine
Über mich & Anstehende Termine
Seit 2015 setze ich mich für einen Paradigmenwechsel in der deutschen Drogenpolitik ein. 2017 habe ich die My Brain My Choice Initiative als ehrenamtliche Plattform und Thinktank mitbegründet und vertrete unsere Konzepte und Kampagnen gegenüber Medien und Politik. Als Schildower Kreis-Mitglied stehe ich auch nach meinem Studium der Regionalwissenschaften (M.A.) im Austausch mit Expert*innen aus der Wissenschaft.
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My Brain My Choice (MBMC) ist eine zivilgesellschaftliche Initiative, die sich der Vertretung der Interessen von Menschen widmet, die Drogen gebrauchen. Wir setzen uns dafür ein, dass deren Perspektiven gehört und respektiert werden. Mit unseren Projekten und Kampagnen arbeiten wir seit 2017 daran, die Stigmatisierung und Diskriminierung von illegalem Drogengebrauch zu verringern und eine aufgeklärte, menschliche Drogenpolitik zu fördern, welche die gescheiterte Drogenprohibition überwindet.