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Über die Stille in Venedig, ewig Gestrige und etwas Geopolitik

Jetzt beginnt die einzige Zeit im Jahr, in der es in Venedig still wird. Praktisch von nächster Woche an - bis etwa eine Woche vor Karneval, der in diesem Jahr relativ spät beginnt. Allerdings sehe ich jetzt gerade, dass am 14. Februar Valentinstag ist, und da werden sich schon wieder die Verliebten in Venedig drängeln. Ich erinnere mich noch an die schreckgeweiteten Augen des neunjährigen Leonardo, als wir auf dem Glockenturm von San Marco standen und plötzlich neben uns ein junger Mann wie vom Blitz gefällt zu Boden ging. Was macht der denn da?, fragte Leonardo bestürzt, als er sah, wie der junge Mann unter dem triumphierenden Blick seiner Freundin kniete und etwas umständlich an seiner Jackentasche nestelte. Hm, ich nehme an, er macht ihr einen Heiratsantrag, sagte ich und Leonardo sagte so gleichmütig “Ah”, als hätte ich ihm gerade einen weiteren unverständlichen Ritus eines Eingeborenenstammes erklärt. Als venezianisches Kind ist er an Exotismen gewöhnt, an Leute, die ohne Not in einen Kanal springen, schreiend in der Gondel sitzen oder im Flamingo-Schwimmreifen ins Vaporetto einsteigen, warum also nicht auch Männer, die auf dem Glockenturm plötzlich zu Boden gehen und so tun, als würden sie einen Ritterschlag entgegennehmen.

Diese stillen Tage im Januar erinnern mich an die Zeit, als Venedig noch eine Stadt war, als in den Gassen Venezianisch gesprochen wurde, es Bootsbauer, Vergolder und Spezialisten für falschen Marmor gab und sich die Stadt noch nicht in diese Venedigmaschine verwandelt hatte, die das ganze Jahr läuft. Und die nur deshalb kurz vom Netz genommen wird, weil ein paar Stellschrauben justiert und das Gewinde neu geölt werden muss.

Und damit die Venedigmaschine nicht ins Stocken gerät, bereitet man sich hier schon darauf vor, dass im nächsten Jahr ein neuer Bürgermeister gewählt werden soll. Brugnaro hat bereits zwei Amtszeiten hinter sich - die eigentlich im September dieses Jahres abgelaufen wären - wenn man nicht noch ein kleines bürokratisches Hintertürchen gefunden hätte, das ihm erlaubt, sein preziöses Werk bis zum Frühjahr 2026 fortzusetzen. Seine Nachfolger bringen sich in Position. Darunter der Manager Nicola Falconi mit seiner soeben gegründeten Liste, “Forza Venezia”, die nicht zufällig so ähnlich klingt wie der Schlachtruf, der einst Berlusconi siegreich werden ließ. Falconi hat für das Consorzio Venezia Nuova gearbeitet, den Zusammenschluss privater Bauunternehmer, der für den Bau der Hochwasserschleuse Mose zuständig war und sich im Schmiergeld-Skandal 2014 auflöste, bei dem auch Falconi verhaftet und wegen Schmiergeldzahlungen verurteilt wurde. Die der Kassationshof im Jahr 2020 als verjährt erklärte. Kann man sich eine bessere Qualifikation für einen Bürgermeisterkandidaten vorstellen?

Über die Mafia zu sprechen, gilt ja inzwischen als so was von gestrig. Wer tatsächlich noch darauf beharrt, wird belächelt. Aus den italienischen Medien ist die Mafiaberichterstattung komplett verschwunden, allein Antimafia-Organisationen ist zu verdanken, darüber zu informieren, dass Mafiabosse -. die sich in der Haft von jeher durch gute Führung auszeichnen - jetzt auch ohne zu gestehen das Gefängnis verlassen können. Die Mafia dankt. Für diese Erleichterung hat die Regierung Meloni gesorgt, der im Übrigen wenig daran liegt, dass die Öffentlichkeit über die jahrzehntelange Zusammenarbeit der Rechten mit der Mafia informiert wird.

„Diese Bosse verlassen das Gefängnis und behaupten ihre Macht innerhalb des Clans“, sagte Salvatore Borsellino, der Bruder des ermordeten Staatsanwalts: „Unter den Mafiosi und den Unterstützern der Cosa Nostra werden sie noch mehr Ansehen genießen, weil sie sich damit rühmen können, im Gefängnis gewesen zu sein, ohne jemals ausgesagt oder die Namen anderer Mitglieder des Clans genannt zu haben.“ (Interview auf Englisch nachzulesen hier (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre))

Auf den Fall der in Teheran inhaftierten Journalistin Cecilia Sala habe ich bereits letzte Woche aufmerksam gemacht (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Inzwischen hat sich die Lage verschärft: Außenminister Tajani stellte die Einzelzelle, in der sich die 29jährige Journalistin befindet, noch als eine Art Privileg dar - indes machte Cecilias Mutter nach dem ersten Telefonat mit ihrer Tochter die Haftbedingungen klar, die der in iranischen Gefängnissen praktizierten weißen Folter (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) entsprechen: Ihre Tochter schläft auf dem Boden, unter einer Decke und über einer anderen, um sich vor der Kälte zu schützen und ernährt sich von Datteln, die ihr durch einen Türschlitz gereicht werden. Die iranischen Behörden hatten der italienischen Botschafterin für den 30. Dezember versprochen, Cecilia Sala ein Paket auszuhändigen, das Kleidung, Bücher und eine Maske enthielt, um sich vor dem ständig eingeschalteten Neonlicht zu schützen. Das Paket ist nie angekommen.

“Cecilia ist eine italienische Exzellenz, nicht nur der Wein und die Cotechini-Würste”, sagte Cecilias Mutter, nachdem sie mit Giorgia Meloni gesprochen hatte. Das war die einzige Spitze, die sie sich erlaubte. Italiener verstehen diese Anspielung sofort, hat die rechte Regierung doch allen Ernstes ein Ministerium Made in Italy eingerichtet, das die “Qualität, Innovation und Exzellenz des Made in Italy” schützen soll - was für viele so klingt, als solle Italiens Qualitäten auf die von Pizza, Spaghetti und Mandolinen reduziert werden.

Auf die geopolitischen Ausmaße der Verhaftung von Cecilia Sala war die italienische Regierung nicht vorbereitet. Am äußersten Rand der Weltpolitik stehend hat Meloni bislang ihre Rolle überzeugend spielen können: sich von Biden über den Kopf streichen lassen, von Trump als bester Buddy gerühmt zu werden und mit Musk zu flirten. Jetzt aber ist Italien zwischen die Mühlen geraten: Wenn der in Mailand verhaftete Iraner, dem vorgeworfen wird, Teheran Software für Dronen geliefert zu haben, mit denen amerikanische Soldaten in Jordanien getötet wurden, nicht wie gefordert an die USA ausgeliefert wird, hat Meloni ein Problem mit Trump, der eine härtere Gangart gegen die Mullahs gefordert hat. Liefert sie ihn aus, bleibt Cecilia Sala womöglich über Jahre im Gefängnis - und Meloni wäre geschwächt. Bliebe die Möglichkeit, den Iraner zumindest in Hausarrest zu entlassen - ist aber auch keine gute Idee: Zuletzt konnte ein Russe, der nach Amerika ausgeliefert werden sollte, aus der Hausarrest fliehen. Zurück blieben nur die elektronischen Fußfesseln.

Die italienischen Medien üben sich jetzt in Kaffeesatzleserei: Was sagt die Washington Post, was das Wall Street Journal? Italien sei in den Schattenkrieg zwischen den USA und Iran geraten, lesen sie. Huch.

Meloni trifft heute Trump in seinem Golfresort in Florida - wohin in den letzten Tagen alle amerikanischen Tech-Milliardäre geeilt sind, um Trump den Ring zu küssen.

Aber es gibt auch das Positive. Vor allem zwischen Buchdeckeln. In “Als mein Vater in den Straßen von Turin verschwand” (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) beschreibt die junge italienische Autorin Marta Barone die Radikalisierung ihres Vaters in den Siebzigern - und ihre Annäherung an ihn, von dessen Vergangenheit sie nichts wusste. Und mit dem sie sich nicht verstand - bis sie sich über die Recherche zu diesem autofiktionalen Buch wieder mit ihm versöhnte. Ich mochte das Buch, auch weil es von einer Zeit erzählt, in der die Fronten verhärtet und alles ideologisch aufgeladen war. Und dessen Freund-Feind-Denken wir uns anscheinend langsam wieder nähern.

Heute darf ich Ihnen noch alles Gute zum neuen Jahr wünschen - meinen Freunden habe ich jede Menge Sex, Drugs (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) and Rock’n’roll gewünscht, suchen Sie sich das Beste aus!

Aus Venedig grüßt Sie herzlich, Ihre Petra Reski

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