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Buon Natale!

Eigentlich will ich bis heute das Weihnachten meiner Kindheit wieder auferstehen lassen - und das verlief so: Schon seit den frühen Morgenstunden des Heiligen Abends war meine ostpreußische Großmutter auf den Beinen, schob zwei Gänse in den Backofen, bewarf den Weihnachtsbaum im Vorbeigehen mit Unmengen von Lametta, Engelshaar und Wunderkerzen, deckte den Tisch und spielte ab elf Uhr mit meinem Großvater Mühle, weil sie wieder mal zu früh fertig geworden war. Gegen zwölf trafen die ersten Kinder und Enkelkinder ein, setzten sich an den Tisch und konnten es kaum abwarten, mit dem Essen anzufangen. Manchmal kam zu den Gänsen noch eine Ente hinzu, vor allem, wenn zu erwarten war, dass sich noch der Wattenscheider oder Leverkusener Zweig meiner weitläufigen ostpreußischen Familie hinzugesellen würde.

Die Erwachsenen nagten jedes Knöchelchen der Weihnachtsgans ab, wobei ihnen das Fett übers Kinn lief, ich hingegen schob das Fleisch an den Tellerrand und hoffte, dass mich niemand zum Essen zwingen würde. Das kannst du doch nicht liegen lassen, sagte Tante Rosi vorwurfsvoll, wenn sie mein zerpflücktes Stück Gans sah, zog den Teller zu sich und aß meine Reste. Die großen Knochen saugte sie blank, die Haut schluckte sie ganz, mitsamt dem darunter liegenden, weißlichen Fett, und ich liebte sie dafür.

Heute würde man sofort das Jugendamt rufen, aber damals wäre es normal, dass wir sieben Enkelkinder (zwei fehlten, sie wohnten im Schwarzwald, praktisch Ausland) an einem Extra-Tisch sitzend im Zigarettenrauch versanken und Limonade mit Eierlikör tranken. Nachdem die Weihnachtsgänse bis auf die Gerippe abgenagt, die Weihnachtslieder abgesungen, die Gedichte vorgetragen und die Blockflötenstücke einschließlich des schwer zu treffenden Fis vorgespielt worden waren, ertranken wir am frühen Abend in einem Meer von Geschenkpapier, Plastiktüten und Kartons - und waren glücklich.

Bis heute bin ich mit meinen Cousins und Cousinen eng verbunden. Und wir alle waren traurig, als das gemeinsame Weihnachtsfest nach dem Tod meines Großvaters abgeschafft wurde, weil es für meine Großmutter zu anstrengend sei. Da waren wir schon fast erwachsen - und wollten immer noch zusammen Weihnachten feiern.

Hier ein Bild einer Weihnachtsfeier bei den Reskis - aus der Zeit vor meiner Geburt. Der Weihnachtsbaum meiner Großmutter sah auch später so aus, also irgendeine dünne Fichte, kein großes Ding, irgendwie wild geschmückt, mit dem, was gerade da war. Meine schlesische Mutter hingegen schmückte als Puristin den Weihnachtsbaum immer nur ganz in Weiß oder ganz in Silber, nie bunt wie meine ostpreußische Großmutter, die ohne jede Rücksicht auf farbliche Harmonien einfach all das an den Weihnachtsbaum hängte, was sie am Weihnachtsmorgen in irgendwelchen Kartons fand.

Ich bin, was das Schmücken des Weihnachtsbaums betrifft, eher meine Großmutter. Was mir jemand, nachdem ich mein Weihnachtsbaumvideo (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) gepostet hatte, prompt auf Facebook zum Vorwurf machte: “Mein volles Mitleid! Plastik ist schon schlimm, aber bei Blinklichtern würde ich bis Heilige Drei Könige ins Hotel ziehen...”

Nun ist es so, dass ich Jahre meines Lebens damit verbracht habe, gegen den Venezianer und für einen echten Tannenbaum zu kämpfen. Jahrzehntelang hat er ebenso glücklos wie beharrlich versucht, einen echten Baum zu verhindern, wobei er sich aufführte, als handele es sich dabei um einen Einsatz für Greenpeace: Rettet die Edeltanne. Er schlug vor, einen Plastiktannenbaum aufzustellen, den man nach Gebrauch wie einen Regenschirm wieder einklappen könne; ich hingegen hatte einen Weihnachtsbaum beim Blumenhändler in der Calle de la Mandola bestellt und angezahlt und war nur noch von der Frage bewegt, warum es in Venedig keine Blautannen gibt. Es gibt auch keine Rottannen, keine Weißtannen, es gibt eigentlich überhaupt keine richtigen Edeltannen, es gibt nur minderwertige Bäumchen, in der Mitte völlig dürr, die Spitze schief. Mickerige Fichtchen,die schon zu nadeln anfangen, wenn man sie streng anguckt.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich die venezianische Müllabfuhr für Weihnachtsbäume nicht verantwortlich fühlt, mitgenommen wird nur, was in eine Mülltüte passt. Wenn ich nach den Feiertagen versuchte, den Baum zu zerlegen, erbarmte sich der Italiener meiner und half mir die Tanne zu zersägen und sie in schwarze Mülltüten zu pressen, wobei er mich so vorwurfsvoll anschaute, als sei er mir bei der Beseitigung einer Leiche behilflich. Und genau aus diesem Grunde habe ich resigniert und einen Plastikbaum gekauft. Der übrigens keineswegs klimafreundlicher ist: “Je nachdem, wie der Naturtannenbaum entsorgt wird, bringt der Kunstbaum das Zwei- bis Zehnfache an klimaschädlichen Emissionen auf die Waage”, weiß Geo (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

Auf jeden Fall kommt unsere ganze Familie an Heiligabend bei uns zusammen - das Privileg habe ich mir als Deutsche ausbedungen. In italienischen Familien werden die Geschenke nicht an Heiligabend, sondern am ersten Weihnachtsfeiertag vom Weihnachtsmann gebracht. Nach Heiligabend ist bei uns also jeder frei, praktisch in Abwandlung der italienischen Redensart “Natale con i tuoi, Pasqua con chi vuoi“ (Weihnachten mit deiner Familie, Ostern mit wem immer du willst.)

Als die Enkelkinder klein waren, aßen sie erst bei uns zu Abend, dann war Bescherung und danach wurden sie mitsamt ihrer Geschenke in die Obhut einer freundlichen Tante entlassen, und wir Erwachsenen gingen im Restaurant essen.

Es ist schon einige Jahre her, als die beiden ältesten unserer fünf Enkel einfach auf dem Sofa sitzen blieben, als der Weihnachtsmann kam. Und als ich sie nach dem Grund fragte, sagten sie: "Das interessiert uns nicht."

Okay, sagte ich mir. Ein Jahr später wurde wieder Weihnachten gefeiert. Wie üblich saßen die Kinder bei ihrem Weihnachtsessen in der Küche und aßen ungeduldig, weil sie die Bescherung vom Weihnachtsmann nicht abwarten konnten. "Keine Ahnung, ob der Weihnachtsmann dieses Jahr kommt", sagte ich beiläufig. Die Kinder blickten erst leicht irritiert auf, aßen dann aber kichernd weiter, weil sie an einen meiner üblichen Witze glaubten.

"Nein, wirklich, ich bin mir nicht sicher, ob er kommt, letztes Jahr war er ziemlich beleidigt", sagte ich, ohne dass eines der Kinder mir zuhörte, denn jetzt ging die Tür auf und alle stürzten sich auf die unter dem Weihnachtsbaum liegenden Geschenke, um die Geschenkanhänger zu kontrollieren – und dann erstarrt festzustellen, dass alle Geschenke nur für die Erwachsenen gedacht waren. Unruhe breitete sich aus.

„Tja, wir haben es Euch ja schon gesagt, dass der Weihnachtsmann beleidigt ist. Er sagte uns, dass er seine Zeit nicht mit Kindern verlieren kann, die sagen: Das interessiert uns nicht!“, meinten wir und haben unsere Geschenke ausgepackt, während die Kinder um uns herumstanden und unsere Kaltblütigkeit nicht fassen konnten. (Wir selbst auch nicht!!)

Die beiden Großen versuchten erst alles abzustreiten („Haben wir nie gesagt“) um dann, als das nicht überzeugte, die Situation zu retten, indem sie das Ganze für ein großes Missverständnis erklärten. Die Kleinen fingen an zu weinen. Und machten den Großen Vorwürfe.

Mein Mann spielte seine Rolle besonders überzeugend: „Tja, ist jetzt leider zu spät. Um diese Zeit ist der Weihnachtsmann wohl schon in Padua, der hat alle Hände voll zu tun, anderen Kindern Geschenke zu bringen.“ Die beiden Großen riefen: „Ihr Erwachsenen seid so gemein!“ Die drei Kleinen hingegen machten Front gegen die beiden Großen, zeigten mit Fingern auf sie und riefen: „Ihr seid schuld!“ Die Väter fingen an, die Kleinen zu trösten: „Ihr seid unschuldig!“ Im allgemeinen Durcheinander fiel niemandem auf, dass mein Venezianer kurz verschwand und ein Foto vom Weihnachtsmann schickte, den er – mit Mühen – überzeugt habe, doch noch eine Ausnahme zu machen. Und der möglicherweise in ein paar Minuten vorbeikommen würde, vielleicht. Die Spannung stieg. Die Tränen trockneten erst, als der Weihnachtsmann endlich mit dem Sack voller Geschenke kam und fragte: „Wer hat hier gesagt: Das interessiert uns nicht?“. Die Kleinen schrien: „Wir nicht, die da waren das!“ und zeigten auf die Großen.

Manchmal ist eben nützlich, einfach mal die Klappe zu halten. Die Eltern waren natürlich schon vorher eingeweiht worden - und wir lachen über unsere perfide Intrige gemeinerweise noch bis heute. Inzwischen haben sich vier von den fünf Enkeln bereits in Pubertiere verwandelt, mit Bartwuchs und einer tiefen Stimme, die mich immer erschreckt, wenn sie mich begrüßen. Die Zeiten mit Blockflöte und Gedichten sind vorbei. Aber wer weiß, vielleicht trage ich dieses Mal eins vor.

Wer am 23. Dezember immer noch kein Geschenk hat, dem empfehle ich, eine Ehrenvenezianerschaft zu verschenken (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)! Und wer tatsächlich immer noch nicht “All’italiana!” gelesen haben sollte und in München wohnt, findet signierte Exemplare (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)bei Literatur Moths in der Rumfordstraße!

Ich hoffe, Sie mit meinen kleinen Weihnachtsgruß etwas von der Weltlage abgelenkt zu haben, wünsche uns allen friedliche Weihnachten, auch wenn das nichts als ein frommer Wunsch ist. Herzliche Grüße aus Venedig, Ihre Petra Reski

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