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Was uns noch retten kann

Ich hatte in dieser Woche die Ehre, im Südtiroler Landtag als Referentin zur Anhörung „Tourismusgesinnung und Tourismusentwicklung im Lande/Gästekarten und Mobilität“ eingeladen worden zu sein. Kurios fand ich das Wort “Tourismusgesinnung” - wohinter sich nichts anderes verbirgt, als dass die Südtiroler den (Über-)Tourismus zunehmend als Belastung empfinden, weil auch bei ihnen der Wohnraum aufgrund Airbnb&Co verknappt und die Natur zerstört wird.

Landtagsabgeordnete der Südtiroler Volkspartei (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)betrachten die Einführung des Eintrittsgeldes für Venedig als bahnbrechende Maßnahme zur Begrenzung des Tourismus und waren nach Venedig gereist, um sich diese von venezianischen Visionären wie Simone Venturini, Stadtrat für Tourismus, vor Ort erklären zu lassen. Der hatte erst kurz zuvor die Gemüter von rund 400 Vertretern der touristischen Vermieter beruhigt, die sich unter der Kampfparole “Das Haus gehört dir... oder vielleicht doch nicht?“ in Venedig eingefunden hatten, um gegen die (nie angewendete) rechtliche Regelung zu protestieren, die besagt, dass Wohnungen in Venedig - theoretisch - nicht länger als 120 Tage im Jahr vermietet werden dürfen, ansonsten gelten sie als touristischer Betrieb, der nicht steuerlich begünstigt wird. Außerdem müssen die Wohnungen über eine Klärgrube verfügen. Nur: Dies alles müsste kontrolliert werden. Wenn man es denn wollte.

Aber da den touristischen Vermietern zu den - nie kontrollierten - Regeln in Venedig auch noch weitere Geißeln drohten, etwa die Gäste in Anwesenheit begrüßen zu müssen, eine 24-Stunden-Notrufnummer bereitzustellen, die Gäste über die Verhaltensregeln in der Stadt aufzuklären und ihnen Säcke zur Mülltrennung zur Verfügung zu stellen, fühlte sich der Stadtrat für Tourismus genötigt, sich wie ein Mann vor sie zu werfen: „Wir sind nicht in der Sowjetunion, wir nehmen keine Rechte weg. Wir hören euch zu, wir arbeiten mit euch zusammen, aber denkt daran, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass der nächste Stadtrat einer von denen ist, die nachts losziehen, um die Schlüsselkästen zu entfernen“, sagte er in Anspielung auf die Proteste gegen die Airbnb-Schlüsselkästen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) in Rom. Schließlich wird in Venedig nächstes Jahr ein neuer Bürgermeister gewählt, da lässt man keine Chance zum Wahlkampf aus.

Tatsache ist, dass Südtirol unter den Auswirkungen des Massentourismus im Grunde wie Venedig leidet, aber anstatt die Ursachen zu bekämpfen, versucht die herrschende Südtiroler Volkspartei vor allem Einfluss auf die Wahrnehmung seitens der Bevölkerung zu nehmen: eben die “Tourismusgesinnung” zu beeinflussen. Frage ist nur, wie das gehen soll, wenn man weder Wohnungen mehr noch Arbeit jenseits der touristischen Monokultur findet und die Natur zunehmend zerstört wird?

Spannend in diesem Zusammenhang fand ich auch, was die ehemalige Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), in einem Interview gesagt hat. Von den Propagandisten des Ferienwohnungsmodells wird ja oft das Argument angeführt, dass sie mit den Ferienwohnungen das Reisen zu moderaten Preisen ermöglichten, während Hotels und Pensionen unerschwinglich seien, kurz, dass Airbnb praktisch so etwas wie Robin Hood sei, der auch weniger Begünstigten das “Recht auf Reisen” garantiere. Dazu sagt Ada Colau (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre): “Man sollte eine grundlegende Überlegung anstellen. Warum sollte es der Bürger sein, der in die Vororte zieht, und nicht der Tourist? Das Recht zu leben ist ein Grundrecht, aber man kann nicht dasselbe über das „Recht“ sagen, eine Stadt zu besuchen, indem man sich massenhaft in ihrem historischen Zentrum aufhält. Wir wollen keine Ghettos schaffen und diejenigen, die sich die überhöhten Mieten der Immobilienspekulation nicht leisten können, in die Vororte vertreiben. Deshalb haben wir auch einen Mindestanteil von 30 Prozent an subventionierten Mieten bei jedem Neubau oder jeder Renovierung gesetzlich festgelegt.”

Auch daran kann man sehen, dass Diskussionen über die Zukunft des Tourismus immer Diskussionen über die Gesellschaft sind. Darüber habe ich auch in diesem Interview gesprochen:

https://www.barfuss.it/leute/wir-lassen-uns-nicht-vertreiben/?fbclid=IwY2xjawGv7wVleHRuA2FlbQIxMQABHQ2ZB5micWLJh-6QnW9hIaFltGVS8dT_ObitluBZnum2QPVoOm-yFKM2Pg_aem_ZMgq1zG1IYslJJElyjnx0A (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

A propos Gesellschaft: In “All’italiana! Wie ich versuchte, Italienerin zu werden” (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) habe ich unter anderem das Verglühen der Fünfsterne-Bewegung beschrieben, das mich um so mehr betrifft, als es genau sie waren, die mich überhaupt zur Italienerinnen-Werdung getrieben haben, weil die Fünfsterne erste italienische Partei waren, die ich überhaupt als wählbar betrachtet habe.

Seit April 2021 werden die Fünfsterne von Giuseppe Conte (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)als “Presidente” geführt, ein ziemlich anachronistischer Titel für eine sich als basisdemokratisch betrachtende Bewegung. Aber gut. Ich habe den Eindruck, dass Conte ein in der Wolle gefärbter democristiano ist, der sich dafür verwendet, die Fünfsterne zu neutralisieren. Folglich fließt kein gutes Blut zwischen ihm und Beppe Grillo, dem “Garante” der Grundwerte der Fünfsterne. Zu denen etwa das Rotationsprinzip gehört, also dass Parlamentarier nicht länger als zwei Legislaturperioden im Amt sitzen bleiben sollen - revolutionär in Italien, wo es nicht ungewöhnlich ist, wenn Parlamentarier 70 (siebzig!) Jahre lang im Parlament versteinern. Natürlich ist diese Regelung vielen Parlamentariern ein Dorn im Auge, kann man sich leicht vorstellen, angesichts der Tatsache, dass italienische Abgeordnete zu den bestbezahlten und privilegiertesten Abgeordneten in Europa gehören: Warum den Ast absägen, auf dem man selber sitzt?

Dass die Fünfsterne in den Augen ihrer Wähler zunehmend unglaubwürdig sind, zeigte sich zuletzt bei den Regionalwahlen in Ligurien, der Emilia Romagna und in Umbrien: In keiner Region erreichten die Fünfsterne fünf Prozent:

Gewinner bei den Regionalwahlen war, wie bereits bei den Europawahlen, die Enthaltung: In der Emilia wählten nur 37 Prozent der Stimmberechtigten, schon bei den Europawahlen gaben weniger als die Hälfte (49,69%) der Wähler ihre Stimme ab. Die Fünf-Sterne-Bewegung erreichte nur knapp 10 Prozent.

Dies alles aber war für Giuseppe Conte und seine Parlamentarier kein Grund zum Zweifel, ganz im Gegenteil: An diesem Wochenende läuft in Rom ein “Parteitag” ab, an dessen Ende die Bestätigung von Giuseppe Conte im Amt des Präsidenten stehen wird. Abgeschafft wird das Rotationsprinzip wie auch Beppe Grillo als “Garante”. Fun fact: Gestimmt wurde, bevor man sich traf und eigentlich diskutieren sollte (oder auch nicht). Schon im Vorfeld hatte Conte seinen Getreuen gedroht, zu gehen, wenn seine Vorschläge nicht angenommen würden.

Vielen Fünfsterne-Sympathisanten ist die von Conte vorangetriebene Ausrichtung der Fünfsterne als “kleiner Bruder” der Demokratischen Partei ein Dorn im Auge. Indes wagte es nur eine einzige Fünfsterne-Parlamentarierin, sich kritisch dazu zu äußern: die ehemalige Bürgermeisterin von Turin, Chiara Appendino (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

Zum Fünfsterne-Treffen in Rom wurden nicht nur alle möglichen Journalisten eingeladen, sondern auch Sahra Wagenknecht. Gute Gesellschaft, würde ich sagen. Der Osten ist ja für Italien immer schon weit weg gewesen. Und Putin ist für die Fünfsterne auch kein Problem. Hauptsache: Frieden!

Und als guter democristiano, der sich die Türen nach allen Seiten offenhält, hat Giuseppe Conte auch seine Teilnahme bei Melonis Fantasy-Party “Atreju” zugesagt, dem Jugendtreffen der Fratelli d’Italia.

Was uns da noch retten kann? Eigentlich nur die Schwarze Madonna. Gerade erst bin ich über die schwimmende Brücke zur Salutekirche gepilgert, um dort eine Kerze anzuzünden.

Nach Jahren, ach Jahrzehnten der Renovierung - und der werbewirksamen Verschandelung durch Werbeplakate auf den Baugerüsten ⬇️

können wir die Fassade der Salutekirche endlich ohne Werbung bewundern!

n diesem Sinne grüßt Sie aus Venedig, Ihre Petra Reski

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