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Schnee! Schnee!

Von Hasnain Kazim - Seltsame Entscheidungen / Menschliche Widersprüche / “Kulturelle Aneignung” / Buchtipp

Liebe Leserin, lieber Leser,

warum sagen jetzt eigentlich so viele Leute, übrigens nicht nur in der Politik, seltsame Dinge oder treffen Entscheidungen, die Populisten und Extremisten in die Hände spielen? Die Wahl des Begriffes “biodeutsch” zum “Unwort des Jahres” 2024 ist so eine Sache. Zumal die Jury in ihrer Begründung klarstellen musste, dass es ihr nur um den “diskriminierenden Wortgebrauch” gehe. Wenn man “biodeutsch” hingegen “ironisch-satirisch” verwende, sei das unproblematisch. Ansonsten aber, sagten die Juroren, verstoße das Wort “gegen die Idee von demokratischer Gleichheit und Inklusion”. Nun ja, der Begriff “…mit Migrationshintergrund” verstößt dann auch gegen “demokratische Gleichheit und Inklusion”…

So richtig überzeugend finde ich das nicht.

Vor allem stört mich: Man kann ahnen, was das bringt, nämlich dass jetzt manche dieses Wort erst recht verwenden werden. Ein Blick ins Netz zeigt: Genau die, von denen ich es ewartet habe, schreiben nun besonders stolz, sie seien “biodeutsch”.

Ein anderes Beispiel: Kritisiert wurde vergangene Woche am Parteitag der “AfD”, dass Alice Weidel, anstatt ihr Publikum mit “Guten Tag” oder “Meine sehr geehrten Damen und Herren” oder “Hallo” zu begrüßen, als erstes einfach die Worte “Schwarz. Rot. Gold.” sagte und dafür bejubelt wurde.

Ähm, ja. Und? Ich meine, es ist zwar ein bisschen beknackt, Menschen mit der Nennung von Farben zu begrüßen, auch wenn es die Nationalfarben der Bundesrepublik Deutschland sind. Aber - na und? Mir fallen jetzt Tausende Dinge inhaltlicher Art ein, die ich an der “AfD” zu kritisieren habe. Dass eine Politikerin ihr Parteitagspublikum mit “Schwarz. Rot. Gold.” begrüßt, zählt nicht dazu. Indem man das zum Aufregerthema macht, springt man über das Stöckchen, das diese Leute einem hinhalten. Man spielt dann unweigerlich ihr Spiel, und sie wiederum freuen sich, dass ihre Gegner sich aufregen, und zwar auch noch über etwas, über das sich aufzuregen nun wirklich nicht lohnt.

Wir müssen wachsam sein, natürlich. Demokratie ist nicht selbstverständlich, sie muss geschützt und verteidigt und gehegt und gepflegt werden. Dazu zählt auch, nicht sinnlos jeden Kram zum Angriff auf sie umzudeuten, denn wenn man das tut, hält eine Beliebigkeit Einzug, die Kritik bei wirklich wichtigen Dingen wirkungslos macht. Das ist wie mit dem Rassismus-Vorwurf: Wenn alles Rassismus ist, ist nichts mehr Rassismus.

Mit anderen Worten: Es gibt keinen Grund zur Gelassenheit im Umgang mit Extremisten. Aber auch keinen Grund zur Hysterie.

Ein Lesefest!

Seit ein paar Jahren darf ich in der Jury des Kisch-Preises mitarbeiten. Der Egon-Erwin-Kisch-Preis wurde 1977 von Henri Nannen gestiftet, dem Gründer des Magazins “Stern”. Er sollte (und soll immer noch) Reportagen in deutschsprachigen Publikationen auszeichnen und damit die journalistische Qualität fördern. Seit einigen Jahren ist dieser Preis Teil des “Stern”-Preises, eben für die Kategorie Reportage.

Es wurden 171 Texte eingereicht, und die Juroren haben nun den ersten Schwung zum Lesen bekommen. Ich muss ganz ehrlich sagen: Es ist immer wieder ein Lesefest! Viele herausragende Texte. Einige eher überraschende, abseitige Themen, bei denen es den Autorinnen und Autoren, zumindest oft, gelingt, das auf eine andere Ebene zu heben und der ganzen Geschichte eine allgemeinere Bedeutung zu geben. Dann natürlich: die erwartbaren, wichtigen Themen. Palästina, Israel, Russland, Ukraine. Das Aufdeckerische. Der kritische Blick auf die Macht. Viel Tristesse - so ist die Welt derzeit und Reportagen bilden sie ab. Hin und wieder auch: ein Satz oder auch nur ein Wort, über das ich mich furchtbar aufregen kann.

Es wird mehrere Leserunden geben, dann Debatte in der Jury, die natürlich intern ist. Und am Ende einen Preisträger, eine Preisträgerin. Ich bin gespannt - und freue mich über die weitere Lektüre.

Menschliche Widersprüche

Immer wieder fällt auf, wie widersprüchlich Menschen sind. Ich natürlich auch. Man sagt dies, tut aber das. Möchte sich nach bestimmten Prinzipien verhalten, verstößt dann aber doch dagegen, wenn es einem in den Kram passt.

Das ist menschlich und hinnehmbar, solange es nicht überhand nimmt, man selbstreflektiert bleibt, sein Reden und Handeln auch mal infrage stellt, überdenkt, vielleicht ändert, sich zumindest der Fehler bewusst ist - und vor allem sich nicht auf die große Bühne stellt und von anderen die Einhaltung bestimmter Dinge einfordert - und selbst permanent dagegen verstößt. Im Wesentlichen aber, finde ich, sollten Leute die Ideale hochhalten, die sie auch selbst leben.

Es gibt Typen, die werfen anderen “kulturelle Aneignung” vor, wenn sie Dreadlocks tragen oder Didgeridoo spielen. Sie machen ein großes Ding daraus, laden Leute aus und fordern sie zu Distantzierung und zur Entschuldigung auf. Aber wenn sie selbst oder ihnen nahe stehende Typen sich jetzt ein “Pali-Tuch” überwerfen (oder sogar um den Hintern wickeln), da kommt dann null Kritik, das ist dann alles in Ordnung und nix “kulturelle Aneignung”. Wenn man sie fragt, wie sie diesen doppelten Standard erklären, was sie dazu zu sagen haben, kommt: nix. Mich macht das fertig. Merkt da noch jemand was?

Genauso fertig macht mich, dass man lesbisch ist, mit einer dunkelhäutigen Frau zusammenlebt und sehr viel Lebenszeit in der Schweiz verbringt, was alles völlig in Ordnung ist, sich dann aber hinstellt und eine homosexuellenfeindliche, rassistische Politik vertritt und sich selbst als “deutsche Patriotin” geriert.

Die “AfD” schreibt in ihr Parteiprogramm: “Die Familie, bestehend aus Vater, Mutter und Kindern, ist die Keimzelle der Gesellschaft.” Kann man so sehen. Aber gilt das dann auch für Frau Weidel? Oder ist die davon ausgenommen, weil sie eh viel Zeit in der Schweiz verbringt? Auch hier: Merkt da noch jemand was?

Der Zauber des ersten Mals

Am Mittwoch hat es in Wien ein kleines bisschen geschneit. Der Schnee blieb nur ein paar Minuten liegen, aber immerhin: Für diese paar Minuten war die Landschaft weiß.

Mein Hund Frau Dr. Bohne im Schnee.
Frau Dr. Bohne im Schnee (Symbolbild).

Bei meiner Gassirunde mit Frau Dr. Bohne sprach mich ein Mann an, vielleicht 30 Jahre alt. Er fragte auf Englisch, ob ich ihn fotografieren könnte. Mit möglichst viel weißer Schneefläche im Bild. “I am from Mexico, and today this is the first time in my life that I see snow”, sagte er und strahlte dabei wie ein Kind.

Wunderbar!

Fusion!

Ich mag, wenn man Dinge aus unterschiedlichen Bereichen miteinander vermengt. “Kulturelle Aneignung” halte ich, mit Ausnahme von ein paar tatsächlich problematischen Dingen, für eine erstrebenswerte Sache. Wir entwickeln uns alle miteinander weiter, wenn wir voneinander lernen, unsere Sicht- und Sprechweisen und Arten, Dinge zu tun, einbringen.

In unserer Familie spielen “kulturelle Aneigung” und das Mischen von Dingen aus den beiden Kulturkreisen, die unser Leben ausmachen, eine große Rolle. Vor allem beim Essen, wo ich zum Beispiel immer wieder darüber nachdenke, wie man deutsche beziehungsweise österreichische Küche mit südasiatischer kombinieren kann. Aber auch in der Musik.

Meine Schwester hat mir dieses Video geschickt: Der indische Musiker Avie Sheck covert den Song “Creep” von “Radiohead”, und zwar gemeinsam mit seiner Mutter Uma, die klassische indische Sängerin ist. Sie bringen beide Welten auf faszinierende Weise zusammen:

https://www.youtube.com/watch?v=nZoHuoFQyrI (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Familiengeschichte aus China

Derzeit bin ich auf Lesereise (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) - Frankfurt, Meerbusch bei Düsseldorf und Berlin -, und ich nutze die Zeit in der Bahn, um zu lesen. Derzeit ein Buch, das 1991 erschienen ist und das ich 2004 das erste Mal gelesen habe: “Wilde Schwäne” von Jung Chang, in der sie die Geschichte ihrer eigenen Familie erzählt: drei Frauen, drei Generationen.

Das Buch liegt auf dem Stapel jener Titel, die ich noch eimal lesen möchte. Jetzt habe ich die alte Taschenbuchausgabe dabei, die Seiten sind schon ein wenig vergilbt, die Geschichte nach wie vor spannend - und aktuell, weil man lernt, welche Abgründe sich auftun, wenn Menschen meinen, das, was sie ideologisch für richtig halten, zum einzig Wahren erklären und mit Gewalt durchsetzen zu müssen.

Gerade in der heutigen Zeit eine lohnenswerte Lektüre.

Und in diesem Sinne: eine gute Woche! Ertragen wir die Amtseinführung von Trump mit Fassung! Er hatte angekündigt, er werde ja als Präsident “nicht zum Diktator, abgesehen am ersten Tag”. (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Bleiben wir wachsam, bleiben wir cool.

Herzlich,

Ihr Hasnain Kazim

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