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Die Verkrempelung der Welt: Das Buch ist da

Der silberfarbene Einband des Buchs "Die Verkrempelung der Welt"
Untertitel: Zum Stand der Dinge (des Alltags).
Gabriel Yoran
edition suhrkamp
SV (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Morgen, am Montag, den 14. April 2025, erscheint “Die Verkrempelung der Welt”, ein Buch, in dem ich frage, was eigentlich mit den Alltagsdingen los ist. Überall in den Industrienationen beschleicht Menschen nämlich das Gefühl, dass viele Dinge nicht nur nicht besser, sondern sogar schlechter werden. Stimmt das? Und wenn ja, woran liegt das?

Das Buch gibt es im Buchhandel und hier online (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Und ja, es hat einen matt-silber glänzenden Einband, wie der verführerische Elektrokrempel, der in dem Buch immer wieder auftaucht und mit dem das Buch beginnt. Hier ein Auszug aus dem ersten Kapitel.

Ein Tweet mit dem Text:
Niemand:
Wirklich keiner:
AEG-Ingenieure: 0 1 3 5   8 10   14 A

Darunter ein Foto eines Herds mit Glasgeramikkochfeld und darauf ein Touchbedienfeld für die vier Kochflächen, jeweils mit der merkwürdigen Zeichenfolge aus dem Tweet beschriftet. Dahinter ein Spiegelei in einer kleinen roten Pfanne.

So, jetzt ist es so weit: Ich bin meine Mutter.

Das dachte ich, als ich auf das Kochfeld des neuen Herds blickte. Nichts ergab irgendeinen Sinn. Was bedeuten die Zahlen? Wo soll ich drücken? Hilfe!

So fühlen sich vermutlich meine Eltern, wenn auf dem Computer ein unbekanntes Fenster aufploppt oder das Handy nach dem Passwort für etwas verlangt, von dem sie noch nie gehört haben. Eben ging man noch ganz selbstverständlich mit etwas um, plötzlich erscheint es einem fremd, geradezu feindselig.

Im Februar 2022 postete ich ein Foto des Herdbedienfelds auf Twitter, und siebentausend Likes später wusste ich, dass ich einer Sache auf der Spur war. Statt mit Knebeln, den klassischen Drehstellern an der Front von Küchen- und anderen Geräten, wird die Temperatur an dem neuen Herd über ein futzeliges Touchfeld eingestellt, das erst beim dritten Anlauf reagiert, unmittelbar neben den heißen Töpfen platziert ist und sich bei Kontakt mit selbigen (oder Wasser) piepsend abschaltet. Zudem ist es mit der völlig rätselhaften Zeichenfolge »0 1 3 5 8 10 14 A« beschriftet.

Alles an diesem User-Interface ist völlig unverständlich. Vor allem aber, wie es seinen Weg durch den Entwicklungsprozess, die Nutzertests, die Qualitätskontrolle und schließlich in den deutschen Einzelhandel machen konnte. Wer hat sich das ausgedacht? Warum ist niemand in irgendeiner Produktkonferenz aufgestanden und hat gesagt: Entschuldigung, aber das ist doch kompletter Stuss!

[…]

Man kann an solchen Geräten eine merkwürdige Gleichzeitigkeit von Fort- und Rückschritt beobachten. Während die Primärfunktionen, beim Herd also das Erhitzen von Speisen, besser und effizienter erfüllt werden, verlangt das Produkt eine hakelige, unnötig umständliche Befassung mit sich. Nicht die Dinge bedienen uns, sondern sie »wollen bedient werden«, wie der Medienphilosoph Vilém Flusser schon in dem 1993 erschienenen Buch Dinge und Undinge schrieb. Und dieses, im doppelten Sinne, Befassungsbedürfnis der Dinge ist seitdem in vielen Produktkategorien steil angewachsen.

Dieses Unbehagen am Konsum ist nicht nur mein individueller Eindruck. Überall in der westlichen Welt sitzen Verbraucher:innen verzagt vor ihren Anschaffungen. Im US-amerikanischen Onlinemagazin Vox etwa heißt es: »Your stuff is actually worse now« (»Ihre Sachen sind jetzt tatsächlich schlechter«). Die Wirtschaftswoche beklagt: »Bei vielen Gütern und Dienstleistungen verschlechtert sich die Qualität.« »Your sweaters are garbage.« (»Ihre Pullis sind Müll«), stellt The Atlantic fest. Aber nicht nur Konsumgüter sind betroffen. Ärzte beklagen in einem Fachartikel das immer dünnere Plastik bei Atemschläuchen – eine potenziell lebensgefährliche Entwicklung. Die besorgniserregende Überschrift: »Quality fade in medical device manufacturing«. »Quality fade« wird zwar meist mit »Qualitätsabbau« übersetzt, aber das suggeriert ein absichtliches Vorgehen, also jemanden, der da etwas abbaut. »Fading« hingegen bezeichnet ein Nachlassen, etwas, für das niemand konkret Verantwortung trägt. Tatsächlich ist beides der Fall.

[…]

Viele Verbraucher:innen haben das nagende Gefühl, die Dinge des Alltags würden auf merkwürdige Art schlechter. Darüber zu sprechen ist nicht einfach. Mit einer Ausnahme: Es gilt als legitim, industriell produzierte Lebensmittel zu kritisieren. Alle hassen diese Branche, und der Industrie-Insider Sebastian Lege bekommt mit seinen Fernsehshows, in denen er die »Tricks der Lebensmittelindustrie« genüsslich vorführt, jede Woche viele Stunden Sendezeit auf den Kanälen des ZDF. Aber seine Polemik geht manchmal auf Kosten der Fakten, denn wenn das Industrieprodukt besser ist als das handwerklich hergestellte (und das passiert sogar bei Brot), passt die Story nicht mehr.

Abgesehen von Lebensmitteln gilt die Kritik an Waren aber als rückwärtsgewandt (»Früher war alles besser«) oder frivol (»Uns geht es doch im Vergleich sehr gut«). Sich zum Konsum korrekt zu verhalten ist außerdem schwer, weil man sich ja nur konsumierend zu ihm verhalten kann: Kauf halt was anderes, wenn es dir nicht passt.

Aber damit will ich mich nicht abfinden. Die Dinge des Alltags sind nicht egal, denn gute Dinge machen gute Dinge mit uns – und schlechte Dinge schlechte. Wenn wir die schlechten Dinge befragen, die Bedingungen, unter denen sie entwickelt und vertrieben werden, erzählen sie uns von den Ursachen, Mechanismen und Anreizsystemen, die sie schlechter sein lassen, als sie müssten. 

Diesen Dingen möchte ich den altmodischen Namen »Krempel« geben. Krempel wie das auf Dachböden und in Kellern gesammelte Zeug, das ein Zwischenreich bewohnt, in dem die Dinge aufgegeben, aber noch nicht weggeworfen wurden. Krempel wartet nur darauf, abgelöst zu werden. Denn es ist die provozierende Vorläufigkeit von Dingen wie dem erwähnten Kochfeld, die sie zu Krempel macht. Ob es Sparmaßnahmen sind, die sich in schlechterer Materialqualität äußern, oder eine freidrehende Fortschrittssimulation, die Produkten unnötige Komplexität hinzufügt: Je verzweifelter das Vorgängerprodukt übertrumpft werden muss, desto Krempel.

[…]

Ein Ausgangspunkt für dieses Buch war die Annahme, dass wir als Konsumierende befähigt werden müssten, gute Produkte als solche zu erkennen und Krempel zurückzuweisen, mit einer Neuinterpretation der alten Disziplin der Warenkunde. Tatsächlich ist der Frage des »richtigen« Konsums aber mit schlichten Produktempfehlungen nicht beizukommen. Der Konsum ist viel mehr als die Anschaffung der »richtigen« Waren. Er ist einer der großen Schauplätze, auf denen sich der Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft abspielt. Wenn ich Butter kaufe oder einen pflanzlichen Brotaufstrich, wenn ich ein Deutschlandticket kaufe oder ein Auto finanziere, treffe ich individuelle Entscheidungen, aber ich treffe sie nicht im Vakuum. Butter schmeckt mir deutlich besser als das beste Ersatzprodukt, aber Großmolkereien produzieren neben Milch auch erschreckend viel CO2. Mit dem Auto kann ich schnell mal raus an einen See fahren oder sperrige Dinge transportieren, aber massenhafter Autobesitz bedeutet noch mehr CO2, laute Straßen und öde Parkplätze statt spielender Kinder unter kühlenden Bäumen. 

Im Konsum trifft mein vernünftiges Ich, das das Richtige tun will, für die Gesellschaft und den Planeten, auf mein unvernünftiges Ich, das sich vor allem um sich selbst sorgt und das neue Fahrrad, die neuen Sneakers, das neue Handy geil findet und einfach haben muss.

Schließlich schwebt über all diesen kleinen und großen Konsumkonflikten, die wir ständig mit uns selbst austragen müssen, die Forderung nach Konsumverzicht, denn der moralischste Konsum ist offensichtlich gar kein Konsum. Verbraucher:innen im engeren Wortsinn dürften im Idealfall gar nicht existieren. Sie müssten sich als Verwender:innen von der Zukunft geliehener Ressourcen verstehen. Doch wie soll das gehen, wenn es sich bei diesen Leihgaben um sinnlosen, frustrierenden, hinfälligen Krempel handelt? Wie soll das funktionieren, wenn die Herstellung von Krempel belohnt wird?

Gabriel Yoran: Die Verkrempelung der Welt
185 Seiten
Edition Suhrkamp
22,00€ (Österreich: 22,70€)

Jetzt im Buchhandel und hier online (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).